So könnte sie aussehen, die Fabrik der Zukunft: luftig, hell und aufgeräumt. Jede Menge Freiflächen rechts und links, von Stress ist hier bei den 1.200 Mitarbeitern in den Montageinseln wenig zu spüren. Der Automatisierungs- und Steuerungsspezialist Festo fertigt in Ostfildern seit einem halben Jahr rund 10.000 unterschiedliche Produkte aus der gut dreimal so großen Angebotspalette.
Was das Werk so besonders macht, ist das Konzept: Hier wird nicht nur schon nach den Grundprinzipien einer digital vernetzten Produktion gefertigt. Festo bereitet seine Mitarbeiter auch auf die Arbeitswelt der Zukunft vor - in einer eigens errichteten und integrierten Lernfabrik und im laufenden Betrieb.
"Die Digitalisierung bringt eine erhebliche Zunahme der Dynamik. Die Menschen darauf vorzubereiten, erreicht eine neue Dimension", sagt Theodor Niehaus, Vorstand von Festo Didactic, dem Bildungsstandbein des Automatisierungsspezialisten.
"Diese Mitarbeiter brauchen ganz andere Kompetenzen." Denn Entwicklung, Produktion und Vertrieb immer stärker über IT und Software technisch zu vernetzen, ist die eine Herausforderung im Zeitalter von Industrie 4.0. Die Beschäftigten darauf vorzubereiten, die andere. In den Chefetagen der Industrie dämmert langsam die Erkenntnis, dass die klassischen Ausbildungswege dafür nicht mehr ausreichen könnten. Ein wichtiges Thema auf der diesjährigen Hannover Messe.
Denn die Anforderungen wachsen. Zwar lernen die mit Sensoren gespickten und softwaregesteuerten Maschinen immer besser, sich selbst zu organisieren und auch zu korrigieren. Wie die autonom arbeitende Montagestraße für die Herstellung von Ventilen beispielsweise. Über 40 Meter lang und modular so aufgebaut, kann die Anlage gleich 76 Produktvarianten produzieren lassen, ohne dass sie einmal umgerüstet werden muss.
Wenn es irgendwo hakt, meldet sich die Fertigungsstraße automatisch, auch wenn die Qualität mal nicht der Norm entsprechen sollte. Gut 450 einzelne IP-Adressen sind hier verbaut, um jedes fertige Teil über die Anbindung an das Internet zurückverfolgen zu können, so eine vorausschauende Wartung zu ermöglichen oder den Energieverbrauch jedes Moduls einzeln zu messen. Ein Mechaniker kommt nur noch, wenn er gerufen wird.
Doch wenn es hier mal hakt, wird es kompliziert: Ist es die IT, die für den Aussetzer verantwortlich ist? Was sagen mir die Echtzeitdaten, die die Anlage unaufhörlich liefert? Muss ich die ganze Anlage stilllegen, um ein defektes Teil auszutauschen? "Künftig wird es keine festen Lösungswege mehr geben", sagt Niehaus.
Wie einfach war da noch die alte, die analoge Berufswelt. Da reichte es für einen Mechatroniker aus, sich an den vorgegebenen Wartungsplänen abzuarbeiten und dann einzuspringen, wenn die Maschine oder Anlage einmal aufmuckte.
"Früher lief der Betriebselektriker mit dem Lötkolben rum, heute kommt er mit dem iPad", sagt Niehaus. Im digitalen Zeitalter muss er viel stärker Entscheidungen mit großer Tragweite selbstständig treffen, sich in der IT, Elektronik, Mechanik und der virtuellen Realität gleichermaßen gut auskennen und idealerweise ein Grundproblem - sollte es eines sein - so erfassen können, dass er gleich eine allgemeingültige Lösung auch für andere Maschinen gleichen Typs entwickeln kann.
Wo die Maschine den Mensch ersetzt
Die folgenden Branchen und Berufe werden laut der Studie "The future of employment" von Forschern der Oxford University mit hoher Wahrscheinlichkeit in einigen Jahren von Automatisierung erfasst werden – in Gestalt von Maschinen, Robotern oder Programmen, ganz oder in Teilen.
- Taxifahrer
- Chauffeure
- Busfahrer, allgemeine Beförderung, U-Bahnen
- Kuriere
- Piloten
Quelle: The future of employment, Oxford University
- Schwertransporte
- Lokführer
- Kranführer
- Baggerfahrer
- Logistiker, Disponenten, Lagertätigkeiten
- Analysten
- Finanzmathematiker
- Buchhaltung/Rechnungswesen
- Steuerberater
- Controller
- gefährliche Berufe
- Arbeiter in Diamant- und Metallminen
- Buchhaltung/Rechnungswesen
- Konstruktion, Wartung, Reparatur, Installation
- Verpackungswesen
- Uhrreparaturen
- Controller
- Laborarbeiten
- Diagnostik
- Biologen
- Pflegekräfte
- Operateure in der Medizin
- Bedienungen
- Call-Center (alle Bereiche), Telefonagenten
- Makler
- Landschaftsgärtner
- Parkwächter
- Düngen, Säen, Ernten
- Einzelhandel: Verkäufer, Kassierer
- Journalisten (Teile der Sportberichterstattung, Roboterjournalismus)
- Anwälte, Anwaltsgehilfen
- Berufe in Hotels und Großküchen
- Bibliothekare
- Straßenbau
Festo hat aus diesen neuen Anforderungen der digitalen Arbeitswelt seine Schlüsse gezogen und gleich neben den Produktionsanlagen unter demselben Hallendach eine kleinere Lernfabrik installiert. Während des laufenden Betriebs melden sich die Festo-Arbeiter aus der Produktion ab, um sich mit neuen Problemstellungen vertraut zu machen - mal 20 Minuten, mal eine Stunde, vielleicht auch für einen ganzen Tag.
Horrorszenarien wird es nicht geben
In Modellanlagen werden eigens Fehler eingebaut, deren Ursache es zu finden gilt. "Wir orientieren uns dabei stark an der Praxis", sagt Klaus Zimmermann, Leiter Vertrieb, Training und Consulting bei Festo Didactic. Gefundene Lösungen könnten gleich in die Produktion übertragen werden. "So wird aus der Lernfabrik ein Innovationstreiber für die reale Fabrik."
Frank Riemensperger, Deutschlandchef des Beratungsunternehmens Accenture, ist überzeugt, dass dieses Projekt Modellcharakter für weite Teile der Industrie haben kann. "Die Verlegung des Lernorts direkt in die Fabrik, die digitale Ausbildung in kleinen Schritten - vielleicht ist das die Arbeitsweise, wie wir sie auch künftig in Berufsschulen einsetzen müssen."
Das Familienunternehmen Festo bringt jede Menge Erfahrungen mit auf dem Gebiet der technischen Weiterbildung. Vor 50 Jahren gründete Festo die Bildungssparte, die mehr als 900 Mitarbeiter beschäftigt und mit externen Kunden gut 150 Millionen Euro Umsatz erzielt. Weltweit werden Colleges, Universitäten oder Berufsschulen mit industrietauglichen Lerngeräten ausgerüstet.
Die Bundeswehr gehört zu den Kunden, die sich ein Trainingszentrum für Soldaten hat ausstatten lassen, die eine Rückkehr in die zivile Berufswelt planen. Aber auch Audi hat ein Lernzentrum bei Festo gekauft, um Mitarbeiter im mexikanischen Werk Puebla fit für den Bau des neuen Q5 zu machen.
Zimmermann und Niehaus sind sich bewusst, dass trotz aller Schulung nicht jeder die Hürden der neuen digitalen Arbeitswelt nehmen wird: "20 bis 30 Prozent sehen sich nicht in dem Aufgabenbereich", sagt Zimmermann. "Die gehen dann in die Produktion. Auch dort brauchen wir Menschen mit höherer Qualifikation."
Bei dem Tempo der Digitalisierung besteht laut Zimmermann zudem die Gefahr, dass noch mehr Mitarbeiter an den höheren Anforderungen scheitern werden. Eine Lösung sei, vor allem junge Menschen parallel zur etablierten Berufsausbildung auf die neuen Herausforderungen einzustimmen: "Das müssen wir schaffen, und zwar sehr früh."
Die Entwicklung der Industrie
Industrieära: 1784
Technologische Revolution: Mechanische Produktion mit Wasser-/Dampfkraft
Transformatorischer Wandel: Substitution von Arbeit durch Kapital,; Prozessstabilität und Geschwindigkeit
Quelle: "Digital Industry – Connecting the Dots" von Oliver Wyman
Industrieära: 1870
Technologische Revolution: Elektrisch betriebene Massenproduktion
Transformatorischer Wandel: Arbeitsteilung ("Taylorismus"); Durchgängigkeit von Prozessen
Industrieära: 1969
Technologische Revolution: Produktionsautomatisierung durch Elektronik und IT
Transformatorischer Wandel: Business Process Reengineering; Prozessqualität und Lean
Industrieära: heute
Technologische Revolution: Digitalisierung durch cyber-physische Seyteme, Vernetzung und Big Data
Transformatorischer Wandel: "Digitale Industrie"; Die technologische Revolution schafft die Voraussetzung für die Hebung des wahren Werts durch Prozessverbesserung
Experten wie Markus Lorenz von der Boston Consulting Group sehen das ähnlich. Zwei Drittel der aktuellen Belegschaft lasse sich qualifizieren, schätzt er. "Ich werde aber keine Menschen für Data Analytics begeistern können, die 30 Jahre lang an einer Maschine gestanden haben." Dennoch zählt der 4.0-Experte die deutsche Industrie zu den Gewinnern der Digitalisierung - auch auf dem Arbeitsmarkt.
Unter dem Strich werde es zu einem Zuwachs von 300.000 bis 400.000 neuen und hochqualifizierten Jobs kommen, so seine Schätzung. "Ich bin mir allerdings nicht hundertprozentig sicher, ob es hierzulande genügend Leute dafür geben wird", sagt er. "Wenn nicht, werden diese Menschen aus anderen Teilen der Welt zu uns kommen." Accenture-Chef Riemensperger verweist darauf, dass es noch mindestens zehn bis 15 Jahre dauern wird, bis die industrielle Produktion durchweg digitalisiert sein wird - das entschärfe das Problem: "Die Horrorszenarien, die immer wieder auftauchen, wird es so nicht geben", sagt er. "Schon jetzt zeigt sich, dass 4.0-Abläufe nicht an dem Menschen vorbeigehen, sondern ihn integrieren. Er wird sogar zum wichtigsten Steuerelement der 4.0-Lösungen."