Vorausschauende Wartung in der Industrie 4.0 Der größte Störfaktor ist der Mensch

Aufzüge von Thyssenkrupp Quelle: ThyssenKrupp AG

Die Maschine weiß, in welchem Zustand sie ist und kann frühzeitig Hilfe rufen. Predictive Maintenance – vorausschauende Wartung – gilt als Eintrittskarte für Industrie 4.0. Doch der Nutzen ist derzeit überschaubar.

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Für viele Menschen ist es der Alptraum schlechthin: Im Aufzug stecken zu bleiben. Mit Platzangst in der engen Kabine ausharren zu müssen, kommt öfter vor, als man weithin denkt. Mehr als zwölf Millionen Aufzüge gibt es weltweit. Sie befördern eine Milliarde Menschen pro Tag – da kann schon mal der eine oder andere kaputtgehen. Deshalb stehen die Aufzüge auf der Welt jedes Jahr in der Summe 190 Millionen Stunden still. Das darf nicht sein, findet Thyssenkrupp und hat MAX entwickelt. Dabei finden selbstlernende Computerprogramme in den Betriebsdaten aller Aufzüge des Herstellers weltweit Muster, die auf drohende Ausfälle hindeuten, etwa aufgrund verschlissener Teile. Das Kontrollzentrum wird dann alarmiert und schickt das Wartungspersonal los, um das Teil auszutauschen – noch bevor es zum Ausfall kommt.

Was beim Fahrstuhl Kunden zufrieden stellt, kann bei der Produktionsmaschine in der Fabrik teure Ausfälle verhindern – und so Millionen sparen.

Predictive Maintenance – vorausschauende Wartung – treibt die Industrie um wie kaum ein anderes Thema. Mit Sensoren und schlauen Algorithmen Ausfälle verhindern und Kosten sparen – das gilt als die Killeranwendung von Industrie 4.0. Doch fragt man Unternehmen, was sie wirklich davon halten, ist das Resultat ernüchternd. „Das Bullshit-Niveau ist beim Thema Predictive Maintenance leider ziemlich hoch“, findet Jochen Schlick, Mitgründer von Staufen-Neonex. Die Stuttgarter Unternehmensberatung begleitet Mittelständler beim Einstieg in Industrie 4.0 und lotet mit ihnen neue Geschäftsmodelle zur vorausschauenden Wartung aus.

Eine Umfrage von Staufen-Neonex unter 394 Betrieben des produzierenden Gewerbes zum Stand von Predictive Maintenance brachte ernüchternde Resultate. Zwei Drittel der Unternehmen geben an, so eine Lösung bereits einzusetzen – oder glauben es zumindest. Bei näherer Betrachtung entpuppen sich viele Umsetzungen aber bestenfalls als Condition Monitoring, also als reine Beobachtung des Betriebs einer Maschine ohne Sensorik und Vorhersagealgorithmus. Mitunter ist der einzige Sensor an der Maschine das Ohr des Bedienpersonals.

Eher der Realität entspricht die Antwort auf diese Frage: „Wie beurteilen Sie allgemein das Leistungsvermögen der aktuell am Markt verfügbaren Predictive-Maintenance-Angebote?“. Die Mehrheit von 74 Prozent hält die verfügbaren Anwendungen für ausbaufähig oder schätzt ihren Nutzen noch gering ein. Ein Fünftel traut sich kein Urteil zu, ist sich also möglicherweise unsicher, was unter dem Begriff überhaupt zu verstehen ist. Nur sechs Prozent bewerten das Leistungsvermögen als hoch oder sehr hoch.

Bevor Jochen Schlick mit seinen Kunden eine Strategie ausarbeitet, unterhält er sich mit dem Management und dem Bedienpersonal, wie dieses mit Störungen umgeht. Viele der Betriebe reagieren erst, wenn der Defekt bereits aufgetreten ist – von vorausschauender Wartung also keine Spur. „Diese ereignisbasierte Wartung ist nicht nur die häufigste, sondern oft auch die sinnvollste“, empfiehlt der promovierte Maschinenbauingenieur.

Der Grund: Die meisten Ausfälle sind keine Folge von Verschleiß, sondern von menschlichen Unzulänglichkeiten. Ein Gabelstapler fährt gegen die Maschine, ein Werkzeug ist falsch eingemessen – das komme leider viel zu oft vor, klagt Schlick. „Erst wenn sie alle diese Fehler ausschließen können, lohnt es sich, über Predictive Maintenance nachdenken.“ Hinzu kommt: In der typischen Herstellungsprozessen wie Zerspanung oder Umformung gehen im Schnitt nur wenige Prozent der Standzeiten einer Maschine auf das Konto einer technischen Nichtverfügbarkeit. Fast 20 Prozent der Zeit werden Maschinen umgerüstet, sogar die Vesperpausen des Personals sorgen für mehr Maschinenstillstand. Im Schnitt arbeiten Maschinen nur die Hälfte der Zeit wirklich produktiv.

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Besucher aus Holland in bayerischem Blauweiß prosten sich beim Münchner Oktoberfest zu. Quelle: dpa

Wer also die Maschinenverfügbarkeit steigern will, sollte erst andere Hebel in Bewegung setzen und seine Hausaufgaben machen. So fehlt an vielen Maschinen eine Dokumentation, die Auskunft gibt, was bei Defekten zu tun ist. Hier bringen schon kleine Digitalisierungsprojekte deutliche Fortschritte, zum Beispiel ein QR-Code am Bedienpult, über den man mit dem Smartphone oder Tablet die Dokumentation für Maschine und Teile abrufen kann. Oder ein Produktionsinformationssystem, das auf großen Bildschirmen anzeigt, wenn es an bestimmten Arbeitsplätzen zu Verzögerungen kommt.

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