Helden Contra Corona – Erfahrungsbericht #11 „Wir verweigern einer ganzen Berufsgruppe die Hygiene“

Roland Rüdinger Quelle: PR

Der Lkw-Spediteur Roland Rüdinger, ein „Held des Mittelstands“, sorgt sich in Corona-Zeiten um seine Fahrer: Wo sollen sie unterwegs auf die Toilette, wo etwas essen, wenn Betriebe abriegeln und Gaststätten schließen?

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Roland Rüdinger ist Gründer und geschäftsführender Gesellschafter der Rüdinger Spedition im baden-württembergischen Krautheim, nordöstlich von Heilbronn. Seine Firma beschäftigt rund 430 Mitarbeiter und erwirtschaftet 49 Millionen Euro.

„Noch haben wir all unsere 190 Lkw auf der Straße. Die Transporte laufen planmäßig, es gibt im Moment genügend Geschäft. Aber ich befürchte, dass wir nach Ostern in Kurzarbeit gehen werden müssen – aus zwei Gründen. Zum einen bekommen wir das Schließen der großen Werke mit mindestens einer Woche Verzögerung zu spüren, dann nämlich, wenn kein Nachschub mehr benötigt wird. Zum anderen fahren viele Polen fürs Osterfest nach Hause. In der Zeit habe ich also wenig polnische Konkurrenz. Man muss wissen: In Deutschland werden fast 50 Prozent aller Transportfahrten von Osteuropäern durchgeführt, das kann man ganz einfach an der Mautstatistik der Bundesrepublik ablesen. Und der überwiegende Teil davon sind Polen. Und ist Ostern vorbei, kommen die polnischen Fahrer zurück, dann wird’s für uns schwierig.

Aber die Situation an den Grenzen macht die Lage noch komplizierter – temporär zu unserem Vorteil. Betriebe können über sogenannte Laderaumbörsen freie Lkw beauftragen, wie gesagt kommen deren Fahrer meist aus Polen oder Litauen. Aber diese sind gerade weniger auf dem Markt verfügbar. Denn die dürfen laut Gesetz nur drei innerdeutsche Transporte machen, danach müssen sie Deutschland wieder verlassen, weil sie nicht zum Binnenmarkt gehören. Beim Grenzübertritt gab es in letzter Zeit aber viele Probleme. Wir hörten etwa von polnischen Grenzbeamten, die aufwändige Gesundheitschecks durchführen ließen. Ich habe den Eindruck, jedes europäische Land erfindet gerade seine eigenen Regeln, ob man jemanden in Quarantäne nimmt oder nicht. Das ist wahrscheinlich auch ein Grund, weshalb wir momentan noch genügend Aufträge haben. Wir beschäftigen 220 Fahrer, die wohnen alle in Deutschland, und derzeit werden sie auch von anderen Betrieben für Fahrten gebucht.

Die Fahrer aus Osteuropa kosten teilweise nur die Hälfte, rein über den Preis verdrängen sie uns. Deshalb haben wir uns spezialisiert. Wir haben die Löhne unserer Fahrer erhöht, wir bieten dafür kompliziertere Dienstleistung an: komplexe Ladungssicherung, unterschiedliche Abladesituationen und -techniken. Denn was man auf politischer Ebene so denkt, man könnte einfach priorisieren zwischen wichtigen und unwichtigen Transportgütern – das funktioniert in der Praxis nicht so einfach. Eine bunte Mischung auf einem Lkw zu sichern und zu transportieren ist anspruchsvoller, das kann nicht jeder.

Ich trage zur Willensbildung bei, auch in Berlin. Ich bin Vizepräsident des Speditionsverbands Baden-Württemberg, sowie Interimsvorsitzender des Fachausschusses Straßengüterverkehr im Bundesverband Spedition und Logistik in Berlin. Ich war bisher Vize-Vorsitzender. Der bisherige Vorsitzende hat vor einem Vierteljahr das Mandat niedergelegt. Vor 14 Tagen hätten Neuwahlen stattfinden sollen, die wurden aber wegen Corona abgesagt. Der Verband berät die Bundesregierung, also vor allem den Bundesverkehrsminister, mit welchen Maßnahmen man auf die Krise reagieren sollte. Der Hauptgeschäftsführer ist das Sprachrohr, und meistens fragt er auch Unternehmer, wie zum Beispiel mich. Ich bin deshalb in Berlin momentan deutlich näher angedockt als bei meiner Heilbronner IHK.

Eine Frage, die wir gerade diskutieren: Soll man in der Corona-Zeit jene Beschränkung aufheben, wonach Osteuropäer nur maximal drei Fahrten innerhalb Deutschlands machen dürfen? Da ist es wichtig, was einem die Unternehmer so zurückmelden, etwa wo es wirklich Engpässe gibt. Es sieht derzeit so aus, dass durch den Wegfall der Automobilbranche genügend Frachtraum vorhanden ist. Und es wäre ja nicht besonders intelligent, wenn deutsche Transportunternehmer Kurzarbeit beantragen, während die Osteuropäer die Arbeit machen.

Das größte Thema bei unseren Fahrern ist aber ein anderes: Sie kommen unterwegs kaum mehr auf die Toilette. Bei Kunden gibt es einen Ausladeprozess, der dauert. Und irgendwann hat ja jeder mal ein menschliches Bedürfnis. Aber viele Unternehmer machen derzeit ihre Betriebe zu, die wollen keine Fremden haben. Unsere Fahrer müssen dann Formulare ausfüllen und angeben, wo sie in letzter Zeit waren. Und sie dürfen keinen Kontakt haben auf dem Betriebsgelände. Viele Betriebe sind ja regelrecht stolz darauf, dass sie abriegeln und sich einigeln. Das mag für sie ja auch richtig sein, aber für unsere Fahrer ist das schlecht.

Großhandelslager, Maschinenbauer, Industriebetriebe – egal, wohin sie kommen: Es will sie gerade keiner mehr. Vor Corona war es selbstverständlich, dass die Fahrer am Zielort auch mal duschen können. Jetzt darf der Fahrer nur noch schnell seine Ware ablagen – aber vor Ort mal auf die Toilette gehen? Das ist schwierig. Und jedes Mal extra auf die Autobahn fahren, nur um eine Raststätte zu finden, ist auch keine Lösung. Viele unserer Fahrer wollen deshalb nun unter der Woche mindestens einmal am Firmenstandort vorbeikommen, damit sie hier duschen können. Da machen sie natürlich auch mal Umwege. Kann ich ihnen aber nicht verübeln. Wir feiern gerade Hygiene – aber hier verweigern wir einer ganzen Berufsgruppe die Hygiene.

Ein anderes Problem: Wie verpflegen sie sich unterwegs, wenn fast die gesamte Gastronomie geschlossen ist? Da bleiben auch nur noch Autobahnraststätten und Tankstellen, die ja durch eine besondere Preiswürdigkeit glänzen.

Seit fast 100 Ausgaben widmet sich die WirtschaftsWoche den „Helden des Mittelstands“ und ihren kreativen Problemlösungen im betrieblichen Alltag. Wie begegnen diese Unternehmer der Coronakrise? Heute: Arasch Jalali.
von Mario Brück

Aber wie gesagt: noch sind wir in der glücklichen Lage, voll arbeiten zu können – wenngleich die Perspektive schlechter wird. Bautransport macht 20 Prozent unseres Umsatzes aus. Wir liefern Dachlichtkuppeln, Drehtüren, viele sperrige Gegenstände. Und Baustellen laufen ja noch ganz stabil. Hoffentlich wird das nicht stärker reguliert. Weitere 20 Prozent machen wir mit Lagergeschäft: Bei mir in der Region lagere ich Teile, die andere versenden möchten. Unsere Lager laufen gerade voll, weil die Absätze nicht da sind. Was uns dagegen weh tut, sind die weggefallenen Messetransporte: Wir liefern massive Werkzeugmaschinen, große Messestände. Wir sind der Spezialist fürs Große. Messetransporte machen normalerweise vier bis fünf Prozent vom Gesamtumsatz aus – das fällt nun einfach weg.

Und auch ein anderer Teil unseres Kerngeschäftes fehlt: Wohnwagen-Zulieferungen machen knapp zehn Prozent unseres Umsatzes aus. Was glauben sie, wie viele Wohnwagen gerade verkauft werden? Mein Nachbar macht Wohnwagenfenster, der ist ein sehr großer Kunde von uns. Der macht noch Restauslieferungen, vermutlich macht er diese Woche zu. Wie lange, weiß keiner. So lange, bis die Welt wieder Wohnwagen kauft.

Insgesamt gehe ich davon aus, dass unser Umsatz in diesem Jahr rund 15 Prozent weniger sein wird. Das ist ziemlich sicher. Es können aber auch 25 Prozent sein. Das ist offen, wie bei einer Richterskala, nur in die andere Richtung.“

Mehr zum Thema: In der Rubrik Helden des Mittelstands porträtiert die WirtschaftsWoche regelmäßig einen Mittelständler, der eine Herausforderung kreativ, mutig und klug gemeistert hat. Doch was tun diese Helden gegen die Coronakrise? Wir haben nachgefragt. Alle Folgen der Serie „Helden Contra Corona“ finden Sie hier.

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