Helden contra Corona – Erfahrungsbericht #20 „Ich wurde als Krisenprofiteur und Abzocker beschimpft“

Eigentlich fertigt das Unternehmen von Henrik Roth Accessoires aus Holz – etwa Fliegen oder Uhren. Wegen der Coronakrise hat Roth die Produktion auf Atemschutzmasken umgestellt. Quelle: Presse

Henrik Roth war einer der ersten Unternehmer, der seine Produktion wegen Corona auf die Herstellung von Atemschutzmasken umstellte. Wie es Roth seitdem ergangen ist, schildert der „Held des Mittelstands“ in einem Tagebuch.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Henrik Roth ist Mitgründer und Geschäftsführer von BeWooden. Und er war zu Beginn der Corona-Krise einer der ersten Unternehmer, der seine Produktion auf die Herstellung von Atemschutzmasken umstellte. Seitdem haben sich viele andere Unternehmen zu ähnlichen Schritten entschieden. Roths 2013 gegründetes Unternehmen aus Bad Vilbel bei Frankfurt produziert in Prag Modeaccessoires wie Holzfliegen und Armbänder für Damen und Herren. In unserer Rubrik „Helden des Mittelstands“ haben wir im März von Roths Produktionsumstellung berichtet. Wie es dem Unternehmer und seiner Firma seitdem ergangen ist, schildert er in einem Tagebuch:

Montag, 16. März
Tschechien ruft den Lockdown aus und wir müssen unsere zwei BeWooden-Läden dort schließen. Zeitgleich geht auch in unserem Online-Shop die Nachfrage nach unseren Accessoires aus Holz stark zurück. Unser Marketing- und Vertriebsteam in Frankfurt, inklusive mir, ist aber noch weit weg von dem Gedanken, dass es uns in Deutschland ähnlich hart treffen könnte. Wir rechnen mit höchstens 30 bis 40 Prozent weniger Umsatz im stationären Handel in den kommenden Wochen, aber das würden wir schon überleben – dachten wir zumindest. In Tschechien steigt derweil die Nachfrage nach Behelfsmasken rapide an. Wir entscheiden uns kurzerhand, von unseren wenigen Näherinnen 200 Masken herstellen zu lassen und diese vor Ort zu spenden. Über Facebook berichten wir von dieser Spendenaktion.

Dienstag, 17. März
Die Telefone laufen heiß, weil viele Firmen über den Facebook-Post auf uns aufmerksam geworden sind. Unsere Näherinnen sind eifrig, schaffen aber trotzdem kaum mehr als 100 Masken pro Tag. Dabei liegen uns mittlerweile Anfragen über 150.000 Masken vor, die wir natürlich mit unserer kleinen Manufaktur nicht bedienen können. Wir starten einen Hilfeaufruf: Jeder der eine Nähmaschine zuhause hat, solle mit nähen. Gleichzeitig führe ich Telefonate mit unseren Partnern aus dem stationären Handel. Ich wollte einfach wissen, wie sie die Situation einschätzen. Die Reaktionen der Händler sind schockierend: „Katastrophe! Seit zwei Tagen mache ich nur wenige Hundert Euro Umsatz mit meinen vier Filialen“ oder „Wenn das so weiter geht, kann ich im April dicht machen.“

Donnerstag, 19. März
Ich führe ein Krisentelefonat mit meinen vier Mitgründern in dem wir harte Sparmaßnahmen besprechen und diskutieren, wie ein Worst-Case Szenario aussehen könnte. Mittlerweile ist durch die vielen freiwilligen Helfer und die Produktionskapazität in unserer eigenen Manufaktur in Tschechien der Masken-Output auf rund 500 Masken pro Tag gestiegen. Wir launchen unsere Masken in unserem tschechischen Online-Shop. Die Nachfrage ist nach wie vor sehr hoch. In der Zwischenzeit ändert sich auch die Situation in Deutschland. Meinen Kollegen und mir wird bewusst, dass die Nachfrage nach unseren üblichen Accessoires auch hierzulande stark zurück gehen wird. Was nun?

Samstag, 21. März
Ich beschließe, dass wir auch in Deutschland helfen müssen. Gleichzeitig kann das natürlich auch eine Chance für BeWooden sein, in den nächsten Monate liquide zu bleiben. Gemeinsam mit meiner Freundin, einer Kommunikationsexpertin, formulieren wir eine Pressemitteilung und schicken sie an deutsche Zeitungen. Ich wollte unbedingt lokale Firmen unterstützen und hier eine Gewinnsituation für alle schaffen: Während wir dringend eine höhere Kapazität für die Maskenproduktion brauchen, bekommen lokale Schneidereien keine Aufträge mehr. Ich schreibe fünf Manufakturen in Frankfurt und Berlin an. Am gleichen Tag bekomme ich noch zwei Rückrufe: „Wir wollen mitmachen.“

Sonntag, 22. März
Ich rufe Maria an, die Gründerin von „von Jungfeld“. Ich möchte sie für eine gemeinsame, deutschlandweite Initiative begeistern. Normalerweise produziert „von Jungfeld“ nachhaltige Socken. Ich möchte Maria aber unbedingt an Bord haben, weil sie viel Know-how in Sachen Produktqualität beisteuern kann. Zeitgleich vertiefe ich die Gespräche mit anderen Manufakturen.

Montag, 23. März
Wir haben uns mit Maria und ihrem Mitgründer Lucas getroffen, ein gemeinsames Foto gemacht und die Zusammenarbeit offiziell gestartet. Zudem habe ich weitere Manufakturen angerufen, um auf eine tägliche Kapazität von 1300 Masken (inklusive unserer Manufaktur in Tschechien) zu kommen. Mit den Fragen, wie das Produkte aussehen soll und aus welchen Material es sein soll, sind wir ein wenig überfordert. Gummiband? Stoffband zum Binden? Baumwolle? Fragen über Fragen. Die ersten Kliniken und Ärzte rufen an, da sie einen Beitrag über uns im Radio gehört haben. Sie brauchen dringend zwischen 200 und 500 Masken.

Dienstag, 24. März
Wir gehen mit drei Angeboten online: Kaufe eine Maske für dich (10 Euro), kaufe eine Maske und wir spenden (15 Euro; wir produzieren aus den zusätzlichen 5 Euro neue Soli-Masken), Soli-Maske (0 Euro; diese Maske wurde von einem solidarischen Mitmenschen vorher gespendet). So können wir auch für hilfsbedürftigen Menschen Masken zur Verfügung stellen. Ohne Werbung im Online-Shop laufen die ersten Bestellungen ein. Tag für Tag verbessern wir die Produktbeschreibungen, fügen Bilder hinzu, sprechen mit Journalisten und versuchen weitere Manufakturen in Deutschland anzusprechen. Unser Ausstoß liegt bei rund 1500 Masken pro Tag.

Wenig Schlaf und Beleidigungen in sozialen Medien

Donnerstag, 26. März
Das Feedback in der Öffentlichkeit ist durchweg positiv. Wir starten nun auch aktiv mit Werbung und können uns vor Nachfrage kaum retten. Parallel gelingt es uns noch mehr Manufakturen aus Deutschland für die Initiative zu begeistern, obwohl mittlerweile viele Schneidereien auch andere Anfragen haben. Wir bekommen unsere erste große Bestellung einer Klinik. Die Kapazität soll in der kommenden Woche auf rund 2500 Masken pro Tag steigen. Wir müssen im Kunden-Service komplett umdenken und neue Prozesse aufsetzen, da wir solch einen Ansturm nicht gewohnt sind. Was uns besonders freut: Die Idee von der solidarischen Maske geht auf. Viele Menschen spenden und daher bekommen viele Menschen eine kostenlose Maske.

Samstag & Sonntag, 28. & 29. März
Das Wochenende nutze ich um liegengebliebene Aufgaben zu erledigen und mal ohne Telefonate in Ruhe zu arbeiten. Es war eine harte Woche mit wenig Schlaf und im Schnitt rund 13 Stunden Arbeitszeit.

Montag, 30. März
Die Masken-Nachfrage in unserem tschechischen Online-Shop geht zurück. Müssen wir damit auch in Deutschland rechnen? Sollten wir ab jetzt aufpassen, wie viele Masken wir bei unseren Manufakturen in Deutschland in Auftrag geben? Mittlerweile müssen wir auch mit Beleidigungen und Beschimpfungen in sozialen Medien klarkommen. Viele Menschen bezeichnen uns als Krisenprofiteure, via Xing werde ich als Abzocker bezeichnet.

Dienstag bis Freitag, 31. März bis 3. April
In diesen Tagen stellt sich eine Art Normalität im neuen Arbeitsleben ein: neue Manufakturen ansprechen, neue Masken-Designs in unserem Online-Shop launchen, Interviews geben, im Kunden-Service aushelfen, Firmenanfragen beantworten und bedienen. Dazwischen immer wieder die schockierenden, aber auch gleichzeitig überaus dankbaren Nachrichten von Menschen, die sich unsere kostenlose Soli-Maske bestellt haben. Mittlerweile stellen wir 25.000 Masken in der Woche her.

Montag, 6. April
Wir holen uns Hilfe für den Kunden-Service und erweitern das Team durch eine neue Aushilfe. Sie kümmert sich nur um E-Mails und Anrufe. Eine Anekdote aus dem Kunden-Service, welche ich nicht fassen konnte: Ein Kunde beschwert sich darüber, warum seine 50 bestellten (kostenlosen!) Soli-Masken noch nicht da sind. Er droht sogar mit einer Klage, wenn wir nicht sofort die Versandkosten in Höhe von 4,90 Euro zurückerstatten. Unsere Logistik läuft auf Hochtouren: An einem Tag verschicken wir so viele Pakete wie sonst in zwei Monaten. Wir ziehen auch erstmals Bilanz: Bis heute wurden über 3000 Masken gespendet. Wir suchen uns zwei neue Spendenprojekte (ein Altersheim in meiner Heimatstadt Bad Vilbel und ein Pflegeheim über stayhomeandsew.de). Leider steigt die Nachfrage nach den kostenlosen Soli-Masken und wir müssen ein Limit von zwei Soli-Masken pro Bestellungen festlegen.

Dienstag, 7. April
Wir bekommen eine Anfrage von einer großen Fernseh-Show und der Mode-Online-Händler „About You“ zeigt Interesse an unseren Masken. Die Haltung zu „Masken tragen“ in Deutschland scheint sich zu verändern.

Donnerstag, 9. April
Mit der kompletten Umstellung auf die Maskenproduktion konnten wir in den vergangenen Tagen die Umsätze aus dem Stammgeschäft wieder auffangen. Wir mussten daher bis heute auch keinen unserer Mitarbeiter wegen der Coronakrise entlassen. Ganz im Gegenteil: Wir benötigten immer noch Verstärkung für Service, Logistik und Kommunikation. Wir haben auch bis heute keine staatliche Hilfe beantragt. Ich glaube, dass es sehr viel andere Firmen gibt, denen es derzeit schlechter geht als uns. Dennoch schauen wir sehr vorsichtig in die Zukunft und haben sämtliche Investitionen vorerst gestoppt.

Mehr zum Thema
In der Rubrik Helden des Mittelstands porträtiert die WirtschaftsWoche regelmäßig einen Mittelständler, der eine Herausforderung kreativ, mutig und klug gemeistert hat. Doch was tun diese Helden gegen die Coronakrise? Wir haben nachgefragt. Alle Folgen der Serie „Helden Contra Corona“ finden Sie hier.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%