Helden Contra Corona – Erfahrungsbericht #5 „Ich muss mein kritisches Bild von Ämtern revidieren“

Bernhard Hahner Quelle: PR

Seit fast 100 Ausgaben widmet sich die WirtschaftsWoche wöchentlich den „Helden des Mittelstands“ und ihren kreativen Problemlösungen im betrieblichen Alltag. Wir haben nachgefragt, wie und mit welchen Ideen die findigen WiWo-Helden durch die Coronakrise kommen – heute bei Bernhard Hahner.

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Bernhard Hahner (55) ist Gründer und Chef der Hahner Technik GmbH, einem Stahlbauunternehmen aus dem hessischen Petersberg bei Fulda (220 Mitarbeiter, 35 Millionen Euro Umsatz). Vor den Folgen der Coronakrise ist auch sein Unternehmen nicht gefeit. Im Folgenden veröffentlichen wir seine Eindrücke und Einschätzungen im Wortlaut:

„Die Coronakrise verbraucht derzeit rund 50 Prozent meiner Zeitkapazität, Tendenz steigend. Für mich ist es gleichermaßen wichtig, meine Mitarbeiter zu schützen, aber auch, keine Panik zu verbreiten. Doch die Nerven liegen blank. Man braucht hier bisweilen mehr die Fähigkeiten eines Pfarrers als die eines Betriebswirts. Es kommt schnell zu Ausgrenzungsbewegungen innerhalb des Betriebs: War es unverantwortlich, dass dieser oder jener Mitarbeiter vor drei Wochen noch in den Skiurlaub oder in die USA geflogen ist? Da kippt schnell die Stimmung zwischen den Mitarbeitern in einer Pausenraumbesprechung. Ich kann es zwar nur schwer beurteilen, inwiefern wir hier in Gefahr sind, aber ich stelle fest: Die Angst ist da bei den Mitarbeitern.

Unsere Buchhaltung ist komplett auf mobile Arbeitsplätze umgestiegen, die Hälfte unserer Projektleiter auch. Gestern ist auch unser Vertrieb ausgezogen, so dass sich die Büros hier langsam entvölkern. Unser Werksgelände haben wir schon vor Wochen geschlossen, wir haben Einlasskontrollen. Spediteure etwa dürfen, wenn sie bei uns aufs Gelände fahren, ihre LKW nicht mehr verlassen. Ich habe extra Schilder in vier Sprachen drucken lassen. Die Fahrer bekommen aber gerne einen Kaffee in ihre Kabine gereicht. Und wenn unsere Mitarbeiter in der Werkstatt frühstücken, sitzen sie nicht mehr nah beieinander. Alle drei Tage mache ich eine kurze Versammlung und berichte über den aktuellen Stand. Ich merke, dass das momentan nötig ist. Diese Ungewissheit ist für meine Mitarbeiter unerträglich.

Was auffällt ist die überproportional hohe Krankheitsquote, die liegt aktuell bei 30 Prozent! Krankmeldungen sind ja jetzt ganz leicht per Telefon zu machen. Klar, die Leute haben Angst vor Kurzarbeit: Im Krankheitsfall liegt die Lohnfortzahlung bei 100 Prozent, bei Kurzarbeit nur bei 60 oder 67 Prozent. In gewisser Weise verstehe ich das ja, aber die Quote ist einfach zu hoch. Ich glaube da auch nicht an Zufälle.

Über die Banken zieht eine Antragsflut für Corona-Notkredite hinweg. Der Mittelstandsverbund warnt: Bis die alle abgearbeitet sind, dürfte es für viele Unternehmen zu spät sein. Eine pragmatische Lösung könnte helfen.
von Philipp Frohn

Wir haben mittlerweile vier Quarantäne-Fälle und seit kurzem auch einen Corona-Verdachtsfall. Hier wird es heikel, denn ohne Anweisung vom Gesundheitsamt kann ich gar nichts entscheiden. Denn wenn ich meinen Betrieb so organisiere, dass ich – aus welchem Grund auch immer – Liefertermine nicht einhalte, bin ich dafür verantwortlich und muss Vertragsstrafen zahlen. Wenn mir aber das Gesundheitsamt den Betrieb verbietet, ist es höhere Gewalt – dann gibt es auch keine Vertragsstrafe.

Deshalb musste ich gestern schnell handeln. Telefonisch habe ich beim Gesundheitsamt in Fulda natürlich niemanden erreicht, also habe ich mich kurzerhand ins Auto gesetzt und bin da hingefahren. Draußen standen Schilder, man dürfe das Gebäude nicht betreten, aber offenbar hatte ein Besucher vor mir die Tür aufgelassen, also bin ich schnell rein. Im 2. Stock habe ich auch direkt den Verantwortlichen gefunden, aber ich wurde dann des Gebäudes verwiesen. Vielleicht war es auch unverantwortlich von mir. Aber ich habe mir noch schnell die Telefonnummer des Fachgebietsleiters geholt, den habe dann direkt vom Auto aus angerufen. Abends hat mich die zuständige Ärztin zurückgerufen und wir haben gemeinsam festgelegt, dass mein Betrieb bis zum Testergebnis weiter laufen kann. Der Mitarbeiter hat heute einen Abstrich gekriegt, das Ergebnis soll in wenigen Tagen vorliegen.

Als Unternehmer war mein Bild von Ämtern bisher recht kritisch – aber das muss ich jetzt revidieren: Das war super gut, hochprofessionell. Ich war ja angewiesen auf deren Handlungsanweisung. Und die haben das sehr gut gemacht, mit Ruhe und Verbindlichkeit. Die Ärztin hat mich übrigens mit unterdrückter Nummer angerufen, finde ich auch verständlich. Aber nochmal: ein großes Lob an das Gesundheitsamt!

Mein Geschäft läuft im Übrigen noch wunderbar, wir haben noch keine Engpässe. Auch unsere Lieferketten funktionieren. Wir haben unsere Lager gut gefüllt. Was wir aber merken: Bei öffentlichen Ausschreibungen werden die Termine verschoben – mal eben um drei, vier Wochen nach hinten. Auch im Bauwesen läuft es noch gut, da kann ich keinen Einbruch erkennen. Derzeit bauen wir etwa die Stahlkonstruktion für ein großes Parkhaus in Aschaffenburg und eine Außenkranbahn für ein Fertigbetonwerk in Erfurt. Und im Auftrag einer Künstlerin schweißen wir Stahlrohre für eine 15-Meter-Skulptur, die wir nach München liefern. Noch haben einige Pensionen und Hotels geöffnet, wir kriegen sowas noch hin.

Ich erwarte aber zeitverzögerte Einbrüche. Dafür bereite ich Maßnahmen im betriebswirtschaftlichen Sinne vor. Natürlich haben wir schon Stundungsanträge beim Finanzamt gestellt, für die Einkommens-, Gewerbe- und Umsatzsteuer. Wir reagieren, bevor die Krise entsteht. Ich verlasse mich da mehr auf die Sachen, die ich direkt beeinflussen kann, als auf Hilfspakete, die irgendwann vielleicht mal kommen, und von denen ich nicht weiß, wie kompliziert sie zu beantragen sind.

In unserer Automotive-Sparte werden wir nächste Woche in Kurzarbeit gehen müssen. In der Autoindustrie läuft ja im Moment gar nichts. Und falls wir bald einen positiven Corona-Fall haben sollten, wird das natürlich auch Folgen haben. Weil der nun getestete Mitarbeiter an einer maßgeblichen Stelle sitzt und mit vielen Leuten in Kontakt war, müsste ich im Zweifel wohl bis zu 18 Leute im Stahlbau nach Hause schicken. Dann wird die Fertigung zum Erliegen kommen, dann würden wir hier in weiten Teilen in Kurzarbeit gehen müssen.

Aber auch damit werden wir lernen umzugehen. Als Unternehmer ist man grundoptimistisch. In der Bauwirtschaft etwa sind Projekte langfristig angelegt: Wenn das Fundament schon gegossen ist, wird der Rest auch irgendwann kommen. Wir sind gut aufgestellt. Wenn das jemand überlebt, dann sind wir das!“

Mehr zum Thema: In der Rubrik Helden des Mittelstands porträtiert die WirtschaftsWoche regelmäßig einen Mittelständler, der eine Herausforderung kreativ, mutig und klug gemeistert hat. Doch was tun diese Helden gegen die Coronakrise? Wir haben nachgefragt. Alle Folgen der Serie „Helden Contra Corona“ finden Sie hier.

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