Um die Statue Luthers am Wittenberger Marktplatz wird das Gedränge und Geschiebe unter den Touristen an dessen Gedenktag immer dichter. An der Häuserzeile mit den beiden renovierten Häusern von Babiš schieben sich die Massen vorbei und schielen neugierig durch die Schaufenster in das erleuchtete Haus. Über drei Stockwerke hat Babiš hier das sogenannte Science-Center errichten lassen. Es ist ein Museum über Chemie im Agrarbereich und soll subtil die Marke des heimischen Chemieparks stärken. Drei Millionen Euro hat Babiš in die multimedialen Schaustücke gesteckt. Zugleich ist Babiš mit dieser Investition in die Mitte Wittenbergs gerückt.
Wittenbergs Oberbürgermeister Torsten Zugehör steht im wehenden Mantel vor dem Museum und spricht deutlich aus, was dieses Museum für die Beziehung zwischen der Stadt und ihrem reichen Gönner bedeutet: „Mit dem Museum am Marktplatz ist Herr Babiš in die gute Stube der Stadt gerückt.“ Allzu kritische Töne pflegt man in der „guten Stube“ offenbar nicht. Zwar moniert Wittenbergs Oberbürgermeister, dass er das Museum partout nicht vor der Eröffnung sehen durfte, und bemängelt die „nicht immer gegebene Transparenz“. Doch das ist nur ein Nebensatz in der Hymne auf Babiš’ Investitionen und sein soziales Engagement in Wittenberg. Ministerpräsident Haseloff ist an möglichen Interessenkonflikten von Babiš offenbar gar nicht interessiert. Danach gefragt, antwortet er: „Herr Babiš ist ein erfolgreicher Unternehmer, der in Wittenberg Einmaliges leistet.“
Der Grund, warum Babiš in Wittenberg so hofiert wird, ist in der Geschichte der Lutherstadt zu suchen. Der Mauerfall traf Wittenberg wie so viele Städte im Osten fundamental. Die maroden Betriebe waren nicht konkurrenzfähig und zogen kaum Investoren an. Weil Berlin keine Stunde mit dem Zug entfernt liegt, lag die Landflucht ohnehin näher als die kargen Aussichten in der Kleinstadt. Doch während Wittenberg nach 1989 in Schockstarre verharrte, legte Babiš in Tschechien inmitten der Trümmer des Kommunismus eine atemberaubende Karriere als Kapitalist hin. 1993 gründete Babiš mit einem Kollegen den Düngemittellieferanten Agrofert, der damals gerade eine Handvoll Mitarbeiter zählte. Heute beschäftigt sein Konzern rund 34.000 Mitarbeiter und umfasst die gesamte Lieferkette von der Saat bis zum fertigen Brotlaib. Weil seinem Konzern Anfang der 2000er-Jahre noch ein Ammoniakwerk fehlte, griff Babiš dort zu, wo andere nur Verluste sahen: im Chemiepark von Wittenbergs Stadtteil Piesteritz. 2002 übernahm Babiš die Stickstoffwerke in dem Chemiepark (SKW Piesteritz). Seitdem sind die Wege von Babiš und Wittenberg eng miteinander verknüpft.
Fährt man vom Wittenberger Marktplatz gen Westen, stößt man im Stadtteil Piesteritz unausweichlich an einen markanten blauen Zaun. „Alles hinter dem Zaun ist Babiš-Land“, sagt SKW-Chef Rüdiger Geserick. Geserick steht in der obersten Reihe eines Vorlesungssaales im Ausbildungstrakt des Werksgeländes und zeigt durch das Fenster auf die Werksteile. Links steht das Medicum genannte Ärztecenter samt Fitnessbereich. Unter dem Fenster schaufeln die Bagger gerade das Fundament für die neue Kita. Und rechts spannt sich ein grüner Zaun um die neue Brotfabrik von Lieken, die gerade fertig gestellt wird.