Stuttgart. Das Büro von Insolvenzverwalter Volker Grub ist wohl ein Traum für jeden Schwaben. Aus dem Fenster überblickt man den Stuttgarter Talkessel, wie das Zentrum der baden-württembergischen Landeshauptstadt im Volksmund heißt. Und wenn die Sonne scheint, dann leuchten die Dächer der Schwaben-Metropole in rot und orange.
Grubs Idylle zerbricht im Flur. Dort türmen sich die Akten seines derzeit meist beachteten Insolvenzfalls. Aufschrift: „Hess AG“. Tausende Seiten voll mit Zahlen und Bilanzen. Es könnten die stummen Zeugen eines der größten Mittelstands-Skandale sein, die Baden-Württemberg in den vergangenen Jahren erlebt hat. Die Unterlagen dokumentieren den Aufstieg und Niedergang des insolventen Schwarzwälder Leuchtenbauers Hess, der im Oktober 2012 an die Börse ging und keine vier Monate später pleite war. Der Fall, sagt Grub, nimmt immer größere Ausmaße an.
Die Chronologie des Hess-Skandals
Hess startet an der Frankfurter Börse.
Der Aufsichtsrat entlässt die Vorstände Christoph Hess und Peter Ziegler fristlos wegen des Verdachts auf Bilanzmanipulation.
Die Staatsanwaltschaft Mannheim nimmt Ermittlungen gegen die Vorstände auf.
Banken sperren Guthaben und Kreditlinien.
Die Hess AG meldet Insolvenz an.
Volker Grub wird Insolvenzverwalter.
Das Unternehmen startet als GmbH neu. Von der alten Hess AG bleiben nur noch die Hülle – und ein Berg Schulden.
Die Staatsanwaltschaft Mannheim lässt die Ex-Vorstände Christoph Hess und Peter Ziegler wegen Verdunklungs- und Fluchtgefahr festnehmen. Gegen Auflagen kommen beider wieder frei.
Insolvenzverwalter Grub verkündet den Verkauf der Hess GmbH an den niederländischen Lichtspezialisten Nordeon.
Der Insolvenzverwalter geht inzwischen davon aus, dass die Bilanzen des Unternehmens bis zum Börsengang um mindestens 45 Millionen Euro geschönt worden sind. Bislang war von 26 Millionen Euro die Rede. Der ehemalige Hess-Finanzvorstand Peter Ziegler ließ über seinen Steuerberater Lutz Büttner ausrichten, dass diese Summe „total abwegig“ sei. Ziegler legt Wert auf die Feststellung, dass die Vorwürfe Grubs „nur eine einfache Behauptung“ seien und Grub die mehrfach versprochenen, geänderten Bilanzen in testierter Form bislang schuldig geblieben sei. Grub hält dagegen: „Das ganze Ausmaß ist wahrscheinlich noch größer“, sagte Grub bei der Vorstellung des lange erwarteten Sonderprüfungsberichts. „Aber alles, was wir nicht direkt belegen konnten, haben wir außen vorgelassen.“
Mit Blick auf die damaligen Vorstände Christoph Hess und Peter Ziegler berichtete Insolvenzverwalter Grub von einer Wende: „Die Existenz von Schattengesellschaften wird nicht mehr bestritten.“ Hess und Ziegler hätten diese ihm gegenüber lediglich als „Bad-Bank-Gesellschaften“ bezeichnet, auf die schlechte Geschäfte ausgelagert worden seien. Hess war nicht für eine Stellungnahme erreichbar. Ziegler ließ ausrichten, dass es keine Trendwende gebe, der „Begriff Schattengesellschaften“ sei eine Wortschöpfung des Herrn Grub und dies „ohne jeglichen Hintergrund“. Das Bad-Bank-Modell zur Auslagerung von potenziellen Risiken im Interesse der Hess AG sei zu „keiner Zeit strittig“ gewesen.
Ein graues Bild
Die Ex-Manager hatten immer wieder bestritten, Bilanzen manipuliert zu haben. Die Stuttgarter Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ebner Stolz hält nun dagegen – und listet in ihrem gut 170 Seiten starken Bericht detailliert auf, welche Bilanzpositionen in den sechs Jahren vor dem Börsengang geschönt worden sein sollen. Das Papier ist auf der Internetseite der Hess AG abrufbar.
Die meisten Abweichungen beruhten auf Scheinrechnungen, sagte Wolfgang Russ von Ebner Stolz. Allein hier liege der Umfang bei rund 26 Millionen Euro. Daneben hätten die damaligen Vorstände Christoph Hess und Peter Ziegler Kreisgeschäfte getätigt. So sei in einem Fall etwa die selbe Maschine mehrfach innerhalb des Konzerns verkauft und der Erlös am Ende in die Bilanz der Hess AG gebucht worden. Außerdem seien drohende Verluste riskanter Derivategeschäfte nicht korrekt verbucht worden. Auch hierzu war Hess nicht zu erreichen.
Ziegler ließ ausrichten, dass zwar Maschinen verkauft worden seien, diese aber nicht im Rahmen von Scheingeschäften, sondern „ganz normal mit Belegen und ordnungsgemäßer Verbuchung“. Die Angelegenheit sei zudem bereits vor Gericht, sagte Büttner. Auch die Bewertung der Derivategeschäfte sei in Abstimmung mit Wirtschaftsprüfern erfolgt und im maximal zulässigen Umfang gebildet.
Als Reaktion auf den Sonderprüfungsbericht hat Insolvenzverwalter Grub die beiden Ex-Manager auf Schadenersatz über insgesamt 2,76 Millionen Euro verklagt. Den Aktionären sei nun der Schaden durch den Kauf der Aktien aus der Insolvenzmasse zu erstatten. Die Hess AG hatte bei dem Börsengang im vergangenen Herbst knapp 36 Millionen Euro eingenommen.
Volker Grub wird der Fall noch eine Weile beschäftigen. „Ich gehe davon aus, dass das Insolvenzverwahren noch mindestens fünf Jahre lang läuft“, sagte er. Beim Blick aus dem Fenster zeigt sich ein graues Bild. Der Stuttgarter Talkessel liegt unter einer dicken Wolkendecke.