Innovations-Ranking Das sind Deutschlands innovativste Mittelständler

Eine Exklusiv-Studie im Auftrag der WirtschaftsWoche präsentiert die erfolg- und ideenreichsten deutschen Mittelständler. Mit welchen Methoden es den Besten gelingt, unablässig Neues auf den Markt zu bringen.

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Die 30 kreativsten Mittelständler
Rund 3000 Unternehmen mit einem Umsatz zwischen zehn Millionen und etwa einer Milliarde hat die Unternehmensberatungsberatung Munich Strategy Group für das WirtschaftsWoche-Ranking analysiert. Für 400 von ihnen haben die Berater nach der Auswertung von Experten-Interviews und Analysen einen Vergleichswert, den Innovations-Score ermittelt. In diesen fließt die Zahl der neuen Produkte und deren Marktchancen ein. Gleichzeitig hat MSG ermittelt, in welchem Maße die Innovationskultur im Unternehmen verankert ist. Die Top 30 der innovativen Mittelständler zeigt die folgende Übersicht. Quelle: Fotolia
Platz 30: VacomUmsatz: 16 Mio. EuroInnovations-Score: 135Das 1992 gegründete Unternehmen Vacom  gilt als einer der führenden Anbieter von Vakuumtechnik. Der Mittelständler aus Jena produziert unter anderem für Unternehmen aus Bereichen wie der Analytik, Elektronik, Optik, Solar- und Beschleunigertechnik. Quelle: Screenshot
Platz 29: Elementar AnalysesystemeUmsatz: 42 Mio. EuroInnovations-Score: 136Ob Kohlen-, Stick- oder Wasserstoff: Die Analyse nicht-metallischer Elemente ist das Kerngebiet des Geräteherstellers aus Hanau (Hessen). Quelle: Screenshot
Platz 28: GK SoftwareUmsatz: 27 Mio. EuroInnovations-Score: 138Das Technologie-Unternehmen GK Software aus Sachsen entwickelt und vertreibt spezielle Computer-Programme für den Einzelhandel - darunter Software für Kassen und Backoffice-Programme. Die börsennotierte Firma wurde 1990 gegründet. Quelle: PR
Platz 27: Walter Rau Neusser Öl und Fett AG Umsatz: 333 Mio. EuroInnovations-Score: 140Fett und Öl - damit verdient das Neusser Unternehmen Walter Rau Geld. Rund 200 Mitarbeiter veredeln pflanzliche Rohstoffe zu Spezial-Fetten für Lebensmittel. Quelle: Presse
Platz 26: WiloUmsatz: 1187 Mio. EuroInnovations-Score: 141Die Dortmunder Unternehmens-Gruppe zählt zu den führenden Herstellern für Pumpen und Pumpsysteme. Mehr als 7000 Wilo-Mitarbeiter arbeiten weltweit daran, Produkte für Wärme- und Klimatechnik sowie die Wasserversorgung zu entwickeln und zu produzieren. Quelle: dpa Picture-Alliance
Platz 25: Becker Marine SystemsUmsatz: 74 Mio. EuroInnovations-Score: 144Egal ob Luxus-Jacht oder Super-Tanke: Die Hamburger von Becker Marine Systems sind auf Ruder und Steuerungseinheiten für Schiffe spezialisiert. Das 1946 gegründete Unternehmen hat mittlerweile mehr als 110 Mitarbeiter und Büros in China, Singapur, Korea und Norwegen. Quelle: Presse

Deutschlands innovativste Unternehmerin ist 76 Jahre alt, lebt in einem Provinznest zwischen Schwäbischer Alb und Schwarzwald und erinnert äußerlich an eine italienische Operndiva. In Wahrheit gebietet die Seniorin mit dem tiefschwarzen Haar jedoch über ein höchst erfolgreiches Unternehmen: den Medizintechnik-Hersteller Karl Storz in Tuttlingen an der Donau. Der ist mit seinen Endoskopen für Chirurgen und mit seinen Operationssälen Deutschlands innovativster Mittelständler.

Das ist das Ergebnis eines Rankings, das die Münchner Unternehmensberatung Munich Strategy Group (MSG) exklusiv für die WirtschaftsWoche erstellt hat. Dazu haben MSG-Gründer Sebastian Theopold und seine Mitarbeiter insgesamt 3000 Mittelständler für ihre Studie analysiert. Ergebnis ist eine Liste der 50 innovativsten deutschen Mittelständler. Unter den Top-Innovatoren finden sich vor allem Maschinenbau-Unternehmen sowie Spezialisten für Mess- und Regeltechnik, Software und Medizintechnik. Gewinner Storz schaffte es gleichzeitig ins Finale des Deutschen Innovationspreises.

Gerade die deutschen Medizintechniker hätten einen riesigen Innovationssprung gemacht, sagt Ranking-Autor Theopold: „Da tauchen neben Siemens viele junge, innovative Medizintechnik-Firmen auf, die es vor einigen Jahren noch gar nicht gab.“

Allerdings offenbart das Ranking auch Schwächen. Unter den Top 50 finden sich kaum Biotech-Medikamentenhersteller. „Für sie sind die Markteintrittsbarrieren wegen der hohen Entwicklungskosten sehr hoch“, sagt Autor Theopold. Und in den USA stehen für die Biotechs mehr Kapitalgeber bereit. Ebenfalls schwach sind die deutschen Mittelständler bei der Nanotechnologie, die potenzielle Basis für neuartige Solarzellen oder Speichermedien.

Wie die Besten zu ihren Erfolgen kommen, lesen Sie im Twitter-Stil mit maximal 140 Zeichen pro Satz auf den folgenden Seiten.

Innovationen in der Medizin-Technik

Sybill Storz Quelle: Stefan Thomas Kröger für WirtschaftsWoche

Platz 1: Storz #Kundenversteherin

Tuttlingen, Donau. Schwäb. Alb im Osten, Schwarzwald im Westen. Ganz netter Ort, viel Landschaft, total #Provinz. War früher schlimmer. Karstboden, arme Bäuerchen, lange Winter, viel Zeit zum Rumbasteln, Rumtüfteln, für Heimarbeit. Heute 400 Medizintechnik-Unternehmen auf 35 000 Einwohner, entstanden aus einer Messerschmiede von 1867. Aesculap ist der Ortsriese, Tochter von B. Braun Melsungen, Medizin- und Krankenhaus-Konzern aus Nordhessen. Größe ist nicht alles.

Innovativer als B. Braun ist Karl Storz, Nummer eins im Innovationsranking der deutschen Mittelständler. High Tech, wo man hinschaut bei #Storz. Spezialität: Endoskope für Chirurgen zum Operieren ohne große Schnitte, moderne OP-Säle. Kein Wunder, bei so einer Chefin. Sybill Storz, zarte 76, hat noch immer die Hände straff an den Zügeln, sagt letztlich, wo es langgeht.

Wo die Innovationen herkommen? O-Ton der Chefin: „Der Arzt sagt uns, was er will. Das hat schon mein Vater so gehalten.“ Die alte Dame, ganz der Vater und Unternehmensgründer Karl. Forschte auch schon mit Ärzten an medizinischen Geräten.

Aha, Kundenversteherin also. Storz: „Bei uns denkt sich nicht die Marketingabteilung aus, was die Ärzte wohl gebrauchen könnten.“

Noch’n Gedicht der Chefin: „Der Kunde ist König. Das bringen wir neuen Mitarbeitern als Erstes bei.“ Das Detail macht’s: Die Idee, wo etwa die Kamera an Endoskopie-Geräte angebracht wird, stammt häufig von den Ärzten, die operieren. Ärzte loben Storz. Außendienstler träten bescheiden auf und würden flexibel auf Wünsche reagieren.

von Stephanie Heise, Hans-Jürgen Klesse, Jürgen Salz, Mario Brück

Umsatzstark im Ausland

Von der Übersetzerin zur Chefin: Storz hat Fremdsprachenkorrespondentin gelernt. 1996 Übernahme des Geschäfts. Tuttlingens berühmteste Unternehmerin: mehrere Ehrendoktortitel, zum Beispiel von den Universitäten Tübingen und Dundee in Schottland. Heute riesiger Laden, 1,3 Milliarden Euro Umsatz, typisch solide Schwaben, jedes Jahr Gewinn gemacht, seit der Gründung 1945. Von Tuttlingen aus in die Welt: Drei Viertel des Umsatzes stammen aus dem Ausland. 6700 Mitarbeiter weltweit, 2000 in Tuttlingen. Der Erfolg kommt vom großen Angebot: Etwa 8000 Produkte stehen im Katalog, oft besser als die Konkurrenz, allerdings auch teurer.

Immer was Neues bei Storz: Mobiles Endoskop namens Tele Pack X lässt sich wie ein iPhone über den Bildschirm steuern. Matriarchin Storz will noch immer alles wissen. Liest Berichte der Außendienstler. Beim Lesen fällt ihr zuweilen auf, dass vor allem junge Mitarbeiter im Umgang mit Kunden besser werden könnten. Dann gibt es sicherlich auch schon mal einen Hinweis an den Vorgesetzten. Das kann dann wohl auch ungemütlich werden.

Wie lange bleibt die Chefin noch? Ungewiss. Sohn Karl-Christian leitet die Forschung, aber noch mischt die Mutter munter mit. Sie denkt wohl noch nicht ans Aufhören. Fährt auf Promis ab, Fotos mit Papst Benedikt und Frankreichs Ex-Staatschef Jacques Chirac. Storz sagt, sie würde der @wiwo gern einmal das Anwendungszentrum für die neuesten Operationsgeräte in Berlin vorführen. Ah, Berlin, ist bestimmt mehr los als in Tuttlingen, #hauptstadtbonus.

Silber für Klebstoff-Spezialisten

Werner Utz (rechts), Chef von Uzin Utz, hat mit seinem Unternehmen schon viele Preise gewonnen. Quelle: Presse

Platz 2: Uzin Utz #Menschenkenner

Klebstoff für Bodenbeläge, old, older, oldest Economy, denkt wohl jeder. Ein bisschen Uhu, ein bisschen Patex, fertig ist die Paste. Uzin Utz (komischer Name) stellt Klebstoff für Bodenbeläge her. Wie wird ausgerechnet so einer zweitinnovativster Mittelständler Deutschlands? Übrigens: „Uzin“ ist ein Kunstwort, zusammengesetzt aus dem Familiennamen „Utz“ und „Industrie“.

Uzin-Utz-Chef Werner Utz schwört unbeirrt auf seine Methode: „Wir stellen die richtigen Leute ein.“ Klingt so alt wie Klebstoff, oder? Mooooment! In Altem kann auch viel Neues stecken. Wichtig ist, dass man es richtig macht. Uzin Utz in Ulm wäre ja sonst nicht so innovativ. Innovativ ist bei Uzin Utz der Ansatz. Erste Regel des Chefs: „Das Wollen der Bewerber ist manchmal wichtiger als ihr Können.“

Motivierte Mitarbeiter

Auf die erste folgt die zweite Regel. Originalton Firmenchef Utz: „Motivation ist wichtiger als gute Noten.“ Alle schlauen Dinge sind drei. Wie Utz das Wollen und die Motivation entdeckt? Ganz einfach: „Durch Intuition.“ Früher hatte Utz ausgetüftelte Fragebögen für die Einstellungsgespräche. Heute sagt er: „Das Bauchgefühl ist besser.“

Bitte, bitte nicht aufhören zu lesen! Utz schwafelt nicht, seine Sätze haben System. Der Mann hat immerhin Arbeitspsychologie studiert. Die Anwendung psychologischer Erkenntnisse, das ist bei dem Familienunternehmen der Schlüssel zu Innovationen.

Utz übernahm die Firma 1978 von seinem Vater Willi Utz. Seitdem gilt im Personalmanagement die Devise „Wertschöpfung folgt Wertschätzung“. Die Devise Wertschöpfung durch Wertschätzung mündet bei Utz in Fördern durch Fordern.

Wertschätzung durch Lob reicht dem Chef nicht, es muss Lob + Prämien sein. Uzin Utz ist ja kein Kindergeburtstag. Weil Prämien für Innovationen nur funktionieren, wenn Neues messbar ist, misst Utz viel. Ergebnis: Neuheitsquote. Die Formel versteht jeder: Neuheitsquote = Anteil jener Produkte am Gesamtumsatz, deren Einführung weniger als fünf Jahre zurückliegt.

Kein Wunder, dass Uzin Utz weit vorn ist im Ranking der @wiwo. Neuheitsquote 2013: 58 Prozent. Umsatz: 207 Millionen Euro. 940 Mitarbeiter. Nur zum Vergleich: Als Werner Utz das Unternehmen 1978 übernahm, hatte es 100 Mitarbeiter, und der Umsatz lag bei zwölf Millionen Euro.

Die Schwaben sind keine Eigenbrötler, die ihr Bauchgefühl ausleben. Seit 1997 an der Börse. Seitdem ein halbes Dutzend Firmenübernahmen. Vorstandschef Utz lässt nicht ab von seinem Credo: „Die wichtigste unternehmerische Entscheidung ist die Personalentscheidung.“ Was bei Uzin Utz niemals passieren darf: Dass die Mitarbeiter Informationen über das Unternehmen als Erstes aus der Zeitung erfahren. Was bei Uzin Utz immer passiert: Führungspositionen werden ausschließlich durch Mitarbeiter aus dem eigenen Haus besetzt. Innovationen durch #Karrierechancen.

Biofirma auf dem Treppchen

Platz 3: Euroimmun #Vorerxerzierer

Nicht schlecht für einen Mittelständler. Überall in der Zentrale in Lübeck Perserteppiche, Betriebskindergarten und Hort. Das nennt man Wohlfühlatmosphäre. Der Chef, Winfried Stöcker, Professor, absolut unprätentiös, duzt jeden, lässt sich duzen. Euroimmun ist Nummer drei unter den innovativen Mittelständlern. Die Wohlfühlatmosphäre ist der eine, der Chef der andere Erfolgsfaktor.

Stöcker ist Dauererfinder. Er ersann Biochips, die Autoimmunerkrankungen erkennen, bei denen sich der Körper selbst bekämpft. Der Euroimmun-Chef lebt vor, was er erwartet. Privat ist er Hobbykoch. Prompt forschte er jahrelang an der perfekten Konfitüre. Kürzlich hat Stöcker mal wieder was entwickelt: ein Spülverfahren, um seine immunologischen Tests zu perfektionieren.

Von Lübeck in die Welt

Innovativ und erfolgreich: Euroimmun macht aktuell 150 Millionen Euro Umsatz, zu drei Vierteln im Ausland, 15 Prozent Rendite. Wird es knifflig, schalten Mediziner Stöcker und sein Vorzeigelabor ein. „Da analysieren wir schwierige Proben für die Laborärzte.“ Kunden sind für Stöcker wie Ideenspender. „Etwa 1000 Laborärzte und -techniker kommen jedes Jahr nach Lübeck, geben uns Anregungen.“ Was Euroimmun macht, hat Gewicht in der Medizin. Stöcker zertifiziert und berät Laborärzte beim Qualitätsmanagement.

Stöcker setzt darauf, dass seine Leute machen, was er vorlebt. Gemeinsam Ziele entwickeln. Wie die jemand erreicht, ist dem Chef egal. Alle drei Monate tagen bei Euroimmun die 45 Abteilungsleiter. Da diskutieren dann alle, woran als Nächstes gearbeitet wird. Schönes machen Stöckers Leute nicht: Rattenleber und Schweinehirn in ultradünne Scheiben schneiden, um darauf Blutproben zu analysieren.

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