Insolvenzen Das Finanzamt gewinnt immer

Eine Reform sollte die Insolvenzordnung gerechter machen. Doch in der neuesten Fassung fehlt ein wichtiges Wörtchen des Originalentwurfs. Der Fiskus würde sich nun deutlich besser stellen als alle übrigen Gläubiger. 

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Auch in der Wirklichkeit müssen Insolvenzverwalter jeden Stein umdrehen. Quelle: dpa

Düsseldorf Gerade mal 20.000 Euro waren noch da, als Bauunternehmer Michael Peters*) vor zwei Jahren Insolvenz für seine Tiefbaufirma anmelden musste. 20.000 Euro – das hätte nicht einmal gereicht, um den 16 Mitarbeitern ihre restlichen Monatslöhne zu bezahlen. Ein Insolvenzverfahren hätte gar nicht erst eröffnet werden können.

Peters hatte sich bei einem Großauftrag verspekuliert. Er hatte eine fünf Millionen teure Tunnelvortriebsmaschine für das Bohren einer Fernwärmeleitung gekauft. Der Auftrag platzte, fünf Millionen waren in den Sand gesetzt. Zwei Jahre kämpfte Peters noch, dann kam die Pleite. Er konnte seine mächtigsten Gläubiger nicht mehr bedienen.

Für Insolvenzverwalter Sven-Holger Undritz von White & Case war es ein Routinefall. Er prüfte, ob sich einige Gläubiger kurz vor Schluss vorgedrängelt und noch rasch ihr Geld eingetrieben hatten. Damit hätten sie gegen § 131 der Insolvenzordnung verstoßen. Dieser verbietet es Gläubigern, sich beim Schuldner auf Kosten der übrigen Gläubiger zu bedienen, wenn schon erkennbar ist, dass der Schuldner nicht mehr zahlen kann.

Im Fall Peters wurde der Insolvenzverwalter schnell fündig. Bis zum Schluss hatten Fiskus und Krankenkasse den Unternehmer gedrängt, pünktlich alle Abgaben zu bezahlen. Andernfalls hätte die Zwangsvollstreckung gedroht und Peters hätte nie mehr einen öffentlichen Auftrag bekommen. Damit hatte sich die öffentliche Hand auf Kosten aller anderen Gläubiger beim Schuldner bedient. 

168.000 Euro holte Undritz von Sozialversicherungen und Finanzamt allein bei Peters insolventer Tunnelbau-Tochter zurück. Das Verfahren konnte eröffnet werden. Die Mitarbeiter bekamen mit insgesamt 80.000 Euro ihre letzten Löhne ausbezahlt. Die übrigen Gläubiger konnten mit einer zweistelligen Quote rechnen.

„Anfechtung“ ist der Fachbegriff, wenn ein Insolvenzverwalter Zahlungsvorgänge rückgängig macht, weil sie gegen die Regeln verstoßen. Sobald kurz vor Ende noch eine Zwangsvollstreckung im Spiel war, galt diese bislang regelmäßig als anfechtbar. Finanzämter greifen besonders häufig zu diesem Mittel. Denn sie können ebenso wie die Sozialversicherungsträger eine Zwangsvollstreckung anordnen, ohne dass sie die Gerichte dafür bemühen müssen.

Eigentlich braucht die Insolvenzordnung gar keine Reform, meinen manche Verwalter. Gewerkschafter sehen es anders. Es sei immer wieder vorgekommen, dass sich Mitarbeiter langwierig und teuer über das Gericht ihre Löhne erstritten haben, beschweren sie sich.  Kurz danach ging ihre Firma pleite und sie mussten das erstrittene Geld wieder an den Verwalter zurückgeben. Rechtsexperte Ralf-Peter Hayen vom Deutschen Gewerkschaftsbund Gewerkschafter zählte allein zwischen 2011 und 2015 insgesamt 34 Fälle, in denen Arbeitnehmer sich Löhne erstritten hatten und der Insolvenzverwalter sie dann wieder kassiert hat.

Deswegen sollte nun § 131 neu formuliert werden: „Gerichtlich“ erwirkte Zwangsvollstreckungen sollen nicht mehr automatisch bedeuten, dass der Gläubiger von der drohenden Zahlungsunfähigkeit gewusst hat und sich auf Kosten der übrigen Gläubigerschar bedient hat. Mitarbeiter, die um ihr Geld kämpfen oder auch kleine Lieferanten, die von der prekären Lage ihres Schuldners gar nichts wussten, hätten damit größere Chancen, ihr mühselig erkämpftes Geld zu behalten.


Weder Gewerkschafter, noch Unternehmer sind glücklich

Die Betonung hätte in der Änderung auf „gerichtlich“ gelegen. Die von Finanzämtern angeordneten Zwangsvollstreckungen wären nach wie vor automatisch anfechtbar. Denn ein Finanzamt muss dafür nicht erst vor Gericht ziehen und kommt damit deutlich schneller ans Geld als die übrigen Gläubiger.

Plötzlich aber ist das Wörtchen „gerichtlich“ aus dem Entwurf verschwunden. Mit der Konsequenz, dass auch die Finanzämter grundsätzlich ihr mit Zwangsmitteln eingetriebenes Geld behalten dürfen. Es sei denn, der Insolvenzverwalter kann nachweisen, dass die Behörde oder die Krankenkasse um den Zustand des Schuldners gewusst hat. Die Beweislast wäre damit umgekehrt. Der Insolvenzverwalter muss belegen können, dass dem Finanzamt über die Nöte des Schuldners bekannt waren.

„Das wird gerade bei kleineren Firmen oft nicht möglich sein“, glaubt Insolvenzverwalter Undritz. Dort sei die Dokumentation von Geschäftsvorgängen oft lückenhaft. Der Aufwand, um dem Finanzamt Fehlverhalten nachzuweisen und Beträge zurückzuholen, stünde dann in keinem Verhältnis mehr zum Ergebnis.  Die kleine Änderung im § 131 würde bedeuten, dass jedes zweite Insolvenzverfahren nicht mehr eröffnet werden könnte, schätzen Experten. Es komme sehr häufig vor, dass die Finanzämter noch bis zum Schluss abkassieren und für die anderen Gläubiger dann nichts mehr übrig bleibt.

Dass Insolvenzverwalter viele Millionen vom Staat zurückholen können, stört den Fiskus schon lange. Der neu formulierte Regierungsentwurf ist seit 2005 bereits der dritte Versuch, den Finanzämtern Privilegien zu sichern. Diesmal könnte der Auslöser der Fall Teldafax gewesen sein. Nach der Pleite des Stromanbieters holte der Insolvenzverwalter mehr als 100 Millionen Euro vom Bund zurück. Der geänderte Regierungsentwurf wird deshalb auch „Lex Teldafax“ genannt.

Das Wort „gerichtlich“ möchten die großen Interessenverbände nun unbedingt wieder im Gesetzestext haben. „Wir wollten mehr Rechtssicherheit im Geschäftsverkehr erreichen. Mit dem jetzigen Entwurf geht die Regierung teilweise einen großen Schritt zurück“, sagt Rechtsexperte Bernhard Stehfest vom Bundesverband der Deutschen Industrie. „Der neue § 131 würde für viele Verfahren das Aus bedeuten.“

Und auch Gewerkschafter Ralf-Peter Hayen pocht auf das Wörtchen „gerichtlich“. Eine Privilegierung des Fiskus hätte eine „erhebliche Verringerung der Insolvenzmasse“ zur Folge und würde die Aussichten auf eine Fortführung insolventer Unternehmen und damit den Erhalt von Arbeitsplätzen drastisch verringern.

Auch quer durch die Parteien haben Abgeordnete erkannt, dass hier eine Bevorzugung von Staat und Krankenkassen als Reform getarnt daherkommt. „Durch die Streichung des kleinen Wortes 'gerichtlich' können quasi durch die Hintertür alte, aus der Konkursordnung bekannte Fiskal- und Sozialversicherungsprivilegien wieder Einzug halten“, wetterte der Abgeordnete Karl-Heinz Brunner (SPD) in einer ersten Bundestags-Debatte.  Auch Heribert Hirte (CDU/CSU) zeigte sich von „großer Sorge“ erfüllt, weil dann „anschließend nicht mehr genügend Geld für die Arbeitnehmer und einen Sozialplan zur Verfügung steht.“

Bernhard Stehfest vom Bundesverband der deutschen Industrie (BdI) meint, die Finanzämter sollten lieber rechtzeitig ein Insolvenzverfahren anstoßen, anstatt bis zum Schluss mittels Zwangsvollstreckung zu kassieren. „Gerade die Finanzämter müssten doch frühzeitig  wissen, ob ein Unternehmen zahlungsunfähig ist. Sie haben schließlich Einsicht in die Bücher.“ Sie könnten früher als ein kleiner Lieferant die Lage erkennen und Insolvenz beantragen.

Dass ein Schuldner rechtzeitig die Reißleine zieht, hätte sich im Nachhinein auch Michael Peters gewünscht. Zwei Jahre lang habe er noch viel eigenes Vermögen in seine Firma gesteckt, um sie zu retten. „Das Geld ist verloren. Ich wünschte, die Insolvenz wäre viel früher gekommen.“

*) Name geändert

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