Investoren Retter aus Fernost

Investoren aus dem Reich der Mitte drängen nach Deutschland. Die Ängste vor den Firmenkäufern aus Fernost sind oft groß. Viele Mittelständler haben jedoch gute Erfahrungen gemacht. Einem Bielefelder Traditionskonzern sicherten die chinesischen Eigentümer sogar das Überleben.

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Fall für zwei: Vorstandschef Heer und Finanzchefin Ying Zheng gelang die Wende Quelle: Frank Reinhold für WirtschaftsWoche

Reinhard Kottmann kennt bei Dürkopp Adler jeden der 240 Mitarbeiter im Werk Bielefeld, jede Schraube und jede Maschine. In 44 Jahren bei dem Bielefelder Nähmaschinenhersteller hat er sich vom Kaufmannslehrling bis zum Generalbevollmächtigten für Finanzen und Controlling hochgearbeitet. Mit Hingabe erklärt der 59-Jährige die Technik der Industrie-Nähmaschinen, präsentiert alte Autos, Fahrräder und Motorroller, die Dürkopp auch mal gebaut hat.

„Die Metallbearbeitung war damals noch nicht so weit. Deswegen sind die Felgen aus Holz“, sagt Kottmann und zeigt auf die Räder eines weinroten, offenen Wagens aus dem Jahr 1910. „Der fährt!“, fügt er begeistert hinzu. „Zum 150. Firmengeburtstag haben wir den wieder flottgemacht.“ Das war vor einem Jahr – fast hätte Dürkopp Adler das Jubiläum nicht mehr erlebt.

In der Krise 2008 sackte der weltweite Umsatz am Markt für Industrienähmaschinen um 60 Prozent ab. Der Umsatz von Dürkopp brach um mehr als die Hälfte von 113 Millionen auf 52 Millionen Euro ein; das Bielefelder Unternehmen schrieb zweistellige Millionenverluste.

Die Rettung brachte die Shang Gong Holding, die 2005 bereits 94,5 Prozent der Dürkopp-Aktien gekauft hatte. Die Chinesen lösten alte Verbindlichkeiten ab und schossen frisches Kapital nach. „Sie haben alles getan, um mit uns zusammen das Schiff wieder flottzumachen“, lobt Dürkopp-Vorstandschef Werner Heer. „Ich bezweifle, dass ein deutscher Gesellschafter in der damaligen Situation den Mut dazu aufgebracht hätte.“

Kapital Vorhanden

Investoren aus China werden in Deutschland noch immer häufig als Invasoren gesehen. Viele Unternehmen fürchten, die neuen Herren aus Fernost hätten es vor allem darauf angelegt, sich Marken, Wissen und Patente unter den Nagel zu reißen, die alten Standorte zu schließen und die Produktion nach Asien zu verlagern.

Tatsächlich haben viele deutsche Mittelständler positive Erfahrungen mit chinesischen Eigentümern gemacht. So ging der Werkzeugmaschinenbauer Schiess aus dem bayrischen Aschersleben 2004 nach einer Insolvenz an die Shenyang Machine Tool Group, einen der weltgrößten Maschinenbauer. Seither hat Schiess seinen Umsatz auf 50 Millionen Euro verdreifacht. Auch die Maschinenbauer Waldrich Coburg aus der gleichnamigen oberfränkischen Stadt sowie Wohlenberg aus Hannover konnten ihre Erlöse unter der Regie chinesischer Eigentümer deutlich steigern.

Interesse an mittelständischen Unternehmen

Nähen für den Weltmarkt: Manager Kottmann hat den Absatzmarkt China im Blick Quelle: Frank Reinhold für WirtschaftsWoche

Deutsche Unternehmen sind bei den Chinesen gefragt: 2011 wechselten nach Schätzungen der Wirtschaftsprüfer von KPMG bereits Unternehmen im Wert von mehr als einer Milliarde Euro in chinesische Hände – so viel wie nie zuvor. Zu den Unternehmen, die jetzt Eigentümern aus dem Reich der Mitte gehören, zählen auch der Computerhersteller Medion sowie die Autozulieferer Saargummi und Preh.

„In China ist sehr viel Kapital vorhanden, das vernünftig angelegt werden will, und deutsche Firmen sind für Chinesen interessant“, sagt Peter Bartels, Leiter Mittelstand im Vorstand der Wirtschaftsprüfung und Beratung PricewaterhouseCoopers (PwC). „Gerade viele mittelständische Unternehmen überzeugen mit großer Innovationskraft. Und sie haben in den vergangenen Jahren sich und ihre Produktion immer effizienter organisiert.“

Besonders abgesehen haben es die Investoren auf Betriebe, deren Technologie sie auf dem chinesischen Markt verkaufen und damit wachsen können. „Sie suchen strategische Investitionen“, sagt Bartels, „sie schauen nicht so sehr auf Quartalszahlen.“ Stark gefragt seien derzeit Maschinenbauer und Automobilunternehmen.

Gemeinsame Geschichte

Nähmaschinenbauer Dürkopp hat mit seinem Eigentümer Shang Gong gute Erfahrungen gemacht. Die gemeinsame Geschichte der beiden Unternehmen begann 2005. Damals brauchte Dürkopp einen neuen Investor. Bis dahin gehörten die Bielefelder zum Autozulieferer Schaeffler aus Herzogenaurach. Dürkopp produziert Nähmaschinen für die Autoindustrie; damit lassen sich Polster, Gurte oder Airbags fertigen. Schaeffler wollte sich auf Wälzlager und Getriebe konzentrieren.

Dürkopp schlug Schaeffler Shang Gong als Käufer vor. Die beiden Nähmaschinenproduzenten kannten sich seit Jahren. Shang Gong war erst kurz zuvor privatisiert worden. Die Stadt Shanghai hält noch 26 Prozent der Aktien, 74 Prozent werden an der Börse gehandelt. Die Chinesen lockte vor allem das Know-how von Dürkopp, die Bielefelder hatten die Absatzchancen in China im Blick. „Genäht wird heute in Südostasien und dort hauptsächlich in China“, sagt Vorstandschef Heer, „mehr als 60 Prozent unseres Absatzmarktes liegen dort.“ Etwa 80 Prozent aller Industrienähmaschinen werden dort hergestellt.

„Damals gab es etliche Vorbehalte – bei Mitarbeitern, Banken, bei Kunden und Lieferanten“, erinnert sich Manager Kottmann. Sie fürchteten Technologieklau, Produktionsverlagerungen und Standortschließungen. Solche Fälle hat es mehrfach gegeben. Weil Shang Gong aber Dürkopp den Zugang zum chinesischen Markt eröffnete und sich die Produktpaletten gut ergänzen, kam die Übernahme schließlich zustande.

Auf Forderungen verzichtet

Der Austausch zwischen China und dem in Bielefeld ansässigen Unternehmen findet primär bei Telefonkonferenzen und E-Mail-Kontakt statt. Quelle: REUTERS

Drei Jahre später, 2008, schlug die Weltwirtschaftskrise voll auf die Textilindustrie durch, die verarbeitenden Betriebe verschoben Investitionen in neue Geräte. Während andere Unternehmen in Deutschland noch über wirtschaftliche Probleme klagten, handelte Shang Gong bei Dürkopp schon. „Firmen in China sind direkt oder indirekt staatlich gesteuert, deswegen musste das durch die entsprechenden Gremien“, sagt Heer. „Dennoch haben sie mit einer unglaublichen Geschwindigkeit und Geradlinigkeit agiert.“

Schnell sorgten die neuen Eigentümer für frisches Kapital. Zu Details möchten sich die Chinesen nicht äußern. Zudem verzichtete Shang Gong auf Forderungen in Millionenhöhe gegen Dürkopp Adler. Der Geschäftsbereich Fördertechnik (Transport- und Sortieranlagen für hängende Bekleidung) wurde an das österreichische Unternehmen Knapp verkauft.

Gute Zusammenarbeit

Seit der Rettung agieren die Chinesen wenig auffällig. Min Zhang, der Vorstandsvorsitzende von Shang Gong, leitet den Aufsichtsrat von Dürkopp. Als „geduldigen, sachlichen Mann, westlich orientiert“, charakterisiert Betriebsratschef Klaus-Jürgen Stark seinen Aufsichtsratschef. Die Sitzungen des Gremiums finden mal in Deutschland, mal in China statt. Dürkopp-Finanzchefin Ying Zheng sitzt in Shanghai, der Kontakt mit Bielefeld läuft über Telefonkonferenzen und E-Mails. Im Vorstand wird Englisch gesprochen; Dürkopp bilanziert nach dem internationalen Rechnungslegungsstandard IFRS.

Die chinesischen Manager sind in Bielefeld kaum greifbar. „Man kann auch nicht mehr wie früher bei Schaeffler einfach mal zum Telefonhörer greifen, um Probleme zu besprechen“, sagt ein Mitarbeiter.

Die Chinesen ließen ihm weitgehend freie Hand, sagt Vorstandschef Heer. Die strategische Ausrichtung besprechen beide Seiten gemeinsam. Einmal ist Heer aber mit seinen Eignern aneinandergeraten. „Die Chinesen wollten mit uns unbedingt ins Mengengeschäft einsteigen, wo sich schon 90 Prozent der Wettbewerber tummeln“, sagt Heer, der Dürkopp Adler wegen der Differenzen zwischen 2006 und 2009 den Rücken kehrte. Dann holten die Chinesen ihn zurück, weil sie merkten, dass ihre Idee nicht funktionierte. Inzwischen setzt Dürkopp vorwiegend auf hochautomatisierte Nähmaschinen, die nur wenige Wettbewerber anbieten und die bis zu 50.000 Euro kosten.

Extreme Bedingungen

Diese Maschinen sind der ganze Stolz von Finanzmanager Kottmann. In der Folterkammer, wie sie bei Dürkopp heißt, ist er in seinem Element. Hier testet Dürkopp bei Temperaturen von mehr als 30 Grad und hoher Luftfeuchtigkeit die neu entwickelten Nähmaschinen unter extremen Bedingungen. Sie müssen drei Monate lang nonstop laufen bei Temperaturen, wie sie in Südostasien herrschen. „Nur wenn sie die Folterkammer überstehen, sind sie gut genug für die Produktion“, sagt Kottmann.

Kein Markt für Haushaltsnähmaschinen

Präzise Schnitte: Die Chinesen interessiert das Know-how von Dürkopp Quelle: Frank Reinhold für WirtschaftsWoche

Mit 4.000 Stichen pro Minute rattern die Maschinen in der überhitzten Halle. Normale Haushaltsnähmaschinen bringen es auf 700, 800 Stiche. Die stellt Dürkopp nicht mehr her: Da es in den Industrieländern kaum noch nähende Hausfrauen gibt und Dürkopp in den Entwicklungsländern nicht mit Billiganbietern konkurrieren kann, ist der Markt zu klein geworden.

Kottmann führt ein Spitzenexemplar vor. Er tippt auf einem Touchscreen-Monitor, ein roter Lichtstrahl blitzt auf. Der Laser fixiert den Stoff, er steuert die Nähnadel, mit Druckluft wird das Tuch durch die Maschine gelotst, alles computergesteuert. Ein paar Sekunden später ist eine Innentasche eingenäht. Kottmann: „Eine gute Arbeiterin schafft an dieser Maschine 2.200 Hosen am Tag. Per Hand wären es keine 150.“

Mittlerweile hat sich sogar noch ein zweiter chinesischer Investor an den technisch versierten Bielefeldern beteiligt. Der Nähmaschinenhersteller Zoje mit 1.700 Mitarbeitern hält 29 Prozent der Aktien, Shang Gong noch 65,5 Prozent. Der Rest befindet sich in Streubesitz.

Technologieklau ist für Kottmann immer noch kein Thema: Auf die Kompetenz der langjährigen deutschen Mitarbeiter könnten die Chinesen nicht verzichten, sagt er. „Wenn sie die Anlagen hier abbauen und nach China bringen, kriegen sie es in der Qualität nicht hin. Da haben sie nichts von. Die sind clever genug, die Kuh in Europa nicht zu schlachten, sondern gut zu füttern, damit sie weiter Milch gibt.“

Inzwischen helfen die Deutschen den Chinesen in Entwicklung und Produktion – und gewinnen selbst dabei. Denn seine Einstiegsmodelle konnte Dürkopp nicht mehr kostendeckend in Deutschland herstellen, muss den Kunden aber die ganze Palette anbieten. Sie werden inzwischen in chinesischen Produktions-Joint-Ventures produziert. Dürkopp kann sicher sein, dass die Maschinen den Standards des Unternehmens genügen: Die Bielefelder haben die Modelle selbst mit entwickelt.

Positive Entwicklung

Seit 2010 wächst das Geschäft wieder rasant. Im ersten Halbjahr 2011 erzielten die Bielefelder einen Umsatz von 47 Millionen Euro – fast so viel wie im gesamten Krisenjahr 2009. „Unsere Auftragsbücher sind prall gefüllt“, sagt Kottmann, der von einer Rezession noch nichts spürt: Die Nachfrage aus Asien ist stark, das Geschäft in Europa und den USA zieht an.

Dass das Unternehmen eine solche Zukunft hat, hat es den Chinesen zu verdanken, die Dürkopp Adler in den Verlustjahren 2008 und 2009 die Stange gehalten haben. 2010 erwirtschaftete Dürkopp bereits wieder einen operativen Gewinn von 5,9 Millionen Euro. Im ersten Halbjahr 2011 waren es bereits 5,3 Millionen Euro.

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