Jobmotor Regelbruch als Erfolgsrezept für Mittelständler

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Unternehmerischer Regelbruch und seine Gründe

Dass Metz noch existiert, ist vor allem das Verdienst der alten Dame. Die Prinzipien der Metz-Strategie sollten so bleiben wie „unter dem Paul“, verfügte sie nach dessen Tod 1993: Qualität, Technik und Zuverlässigkeit, die Hochpreisphilosophie, das konservative Design und vor allem die Fertigung in Deutschland. Metz fertigt sogar die Kunststoffgehäuse selbst. „Ich habe das Unternehmen weitergeführt, weil ich verantwortlich bin für Fachhändler, Kunden und Mitarbeiter“, sagt Metz. Und Metz bleibt Metz. Die Witwe hat das Unternehmen in eine Stiftung überführt. „Heuschrecken mögen wir nicht“, sagt sie. Deutsch wie die Herstellung ist auch der Markt: Rund 90 Prozent der Metz-TV-Geräte bleiben in Deutschland, der Rest geht vornehmlich in die Schweiz und nach Österreich. Auch deshalb ist Metz, verglichen mit den großen Japanern, ein Zwerg. 129 Millionen Euro Umsatz erzielten die Nürnberger im letzten Jahr, so viel setzt mancher Wettbewerber in der Woche um.

Metz überlebt trotzdem – oder gerade wegen der Kleinheit des Unternehmens. Die Fachhändler sind mit dem System Metz glücklich. Ein Metz, den sie bei ihren meist älteren Kunden selbst installieren, bringt ihnen drei- bis viermal so viel Marge wie die meisten anderen Marken. Fünf Prozent Marktanteil hat Metz auf dem deutschen Fernsehmarkt. Und das, obwohl ein Metz doppelt so viel kostet wie vergleichbare Geräte. „Wir verkaufen eben nicht über den Preis“, betont Kotzbauer, „das ist in einer Branche, die den Slogan ,Geiz ist geil‘ erfunden hat, unser Regelbruch.“

Auf Bewahren als Regelbruch setzt auch Klaus Fischer. Sein Vater Arthur Fischer erfand den Plastikdübel und revolutionierte damit den Arbeitsalltag von » Hand- und Heimwerkern. Der Sohn, seit 1980 an der Spitze des 3800-Mitarbeiter-Unternehmens Fischerwerke aus Tumlingen im Schwarzwald, das heute neben den Dübeln auch Spielzeug und Automobilteile fertigt, setzt auf vernünftigen Einsatz von Technik: „Wir haben fast alle Roboter herausgenommen.“ Er hatte beobachtet, dass die Roboter weniger flexibel als Menschen sind. Roboter seien anfälliger, sagt er. Sie fallen aus und müssen immer wieder umgerüstet werden, wenn sie ein Stück in einer anderen Größe bauen müssen.

Entautomatisiert hat Fischer auch im Nachbarwerk Horb. Dort waren alte fahrerlose Transportsysteme für die innerbetriebliche Beförderung von Teilen im Einsatz. Das Problem: Die fahrerlosen Züge lieferten nicht dann, wenn Bedarf war, sondern nach einem vorgegebenen Fahrplan. Obwohl es das Familienunternehmen viel kostete, ließ er die Automatiksysteme schnell durch einen kleinen Zug ersetzen, der, von einem ausgebildeten Logistiker gesteuert, bedarfsgerecht den Transport der Teile im Unternehmen sicherstellt.

Regelbrechen, um erhalten zu können, ist die Devise von Wolfgang Grupp. Bekannt wurde sein Unternehmen Trigema durch den Affen in der TV-Werbung. „Hallo Fans!“ und dann der Hinweis des Unternehmers: „Wir werden auch in Zukunft nur in Deutschland produzieren.“ Genau gesagt: im schwäbischen Burladingen. Andere, selbst hochpreisige Modemacher haben ihre Produktion schon vor 30 Jahren aus Deutschland verlagert. Grupps Trick: geniale Selbstvermarktung, hohe Fertigungstiefe, Konzentration auf terminkritische Fertigung für Firmenkunden – und 1200 treue Mitarbeiter. Deren Kinder haben bei der Einstellung Vorrang. Wie Fischer hält Grupp die Automatisierung in Grenzen. Das ermöglicht kleine Losgrößen, wenn etwa ein Verein oder eine Firma kurzfristig Kleidung in den eigenen Farben mit Logo anfordert. Trigema kann dann in zwei Tagen liefern.

Das Gottlieb Duttweiler Institut (GDI) befragte Verbraucher vor wenigen Monaten, welche Unternehmen besonders verantwortungsbewusst handelten. Hipp hatte die meisten Nennungen, gefolgt von Trigema und dem Drogeriemarkt dm des Anthroposophen Götz Werner. Beide Unternehmen sind wie Trigema mit ihrem Konzept Biobabynahrung (Hipp) oder dezentralisierte Drogeriekette in Qualitätsoptik (dm) Regelbrecher.

Regelbrecher alter Schule ist der Gründer des Windenergie-Betreibers Enercon Aloys Wobben. Wobben geht nach dem Muster vor: Warum sich über andere ärgern, wenn ich es selbst besser machen kann. Wobben baut nicht nur Windkraftanlagen, er betreibt auch Windparks. Während die Wettbewerber meist nur Komponenten montieren, stellt Wobben fast alles selbst her. Die Fertigungstiefe beträgt stolze 80 Prozent. Wobben lässt sich sogar die Schiffe für den Transport bauen. 1984 in einer Garage im ostfriesischen Aurich gegründet, hält die Firma heute einen Marktanteil in Deutschland von 50 Prozent und beschäftigt fast 8000 Menschen.

Wind ist auch das Thema des Bremer Reeders Niels Stolberg. Der blonde, jungenhaft wirkende 47-Jährige betreibt das erste Winddrachenschiff. Die Jungfernfahrt von Bremen nach Venezuela und zurück nach Norwegen ist beendet. Stolberg will jeden fünften Liter Schiffsdiesel mit der neuen Segeltechnik einsparen und sich und der Umwelt damit Gutes antun.

Stolberg ist gleich mehrfach Regelbrecher. Mit 35 gründete er – als andere Seetransport noch mit Containerschifffahrt gleichsetzten – die Spezialreederei für Großtransporte. Beluga ist mit 70 Schiffen auf See und 1600 Beschäftigen die größte Reederei ihrer Art weltweit.

Kleinteiliger gehen die Gebrüder Ulf und Lars Lunge vor. Die Brüder, die in Hamburg und Berlin sechs Läden für Laufschuhe betreiben, haben vor wenigen Wochen die Produktion ihrer Laufschuhmanufaktur im mecklenburgischen Dörfchen Düssin gestartet. In einem denkmalgeschützten Kuhstall eines ehemaligen Gutes sollen dereinst mehr als 15.000 Paar Schuhe entstehen. Doch die Lunges werden heute schon von Bestellungen überrollt. „Auftragsmangel ist nicht unser Problem“, sagt Lars.

Die Idee der Brüder: Nike oder Adidas lassen in Asien billig herstellen, geben dann aber eine Menge Geld für Werbung aus, wollen Gewinnmargen von 50 Prozent und verkaufen die Schuhe für bis zu 190 Euro. Dafür, so rechneten die Brüder aus, können sie auch die Schuhe in Deutschland machen.

Lunge, Grupp und Metz brechen die Regel,, indem sie im Hochlohnland Deutschland produzieren und verkaufen. Sie werden deshalb in Talkshows und Hochglanzbroschüren gefeiert. Einen Schritt weiter beim Regelbruch geht ein Mittelständler mit 80 Beschäftigten aus der Oberpfalz. Rolladen Braun, ein Spezialist für Türen, Wintergärten, Balkone betreibt sein Werk in Weiding kurz vor der tschechischen Grenze.

„Wir haben immer bedauert, dass die Grenze unser Einzugsgebiet halbiert“, sagt Wolfgang Braun, der mit seinen drei Brüdern die Geschäfte leitet. Als Tschechien der Europäischen Union beitrat, kamen die Brüder auf die Idee, einen tschechischen Mitarbeiter einmal zur Probe Aufträge einholen zu lassen. Die Tour war erfolgreich, obgleich die Preise des deutschen Herstellers 25 Prozent über vergleichbaren tschechischen Produkten liegen. „Die Tschechen schätzen deutsche Qualität“, sagt Braun, „und vor allem deutsche Geschäftstugenden wie Pünktlichkeit oder Vertragstreue.“

Heute betreibt Braun zwei Verkaufsbüros in Tschechien. Die Brüder hoffen, bald zehn Prozent ihrer Umsätze im Nachbarland zu machen. Die Produktion nach Tschechien zu verlagern hätten sie nie im Sinn gehabt. „Wir stehen zu Deutschland“, sagt Braun, „und wir haben eine soziale Verantwortung.“

Patriotismus – auch das ist ein Regelbruch in einer globalisierten Welt. Und offensichtlich kein Widerspruch zum Zwang, schwarze Zahlen schreiben zu müssen. „Der erfolgreiche Regelbrecher handelt nur auf den ersten Blick kontrafaktisch“, sagt Wieselhuber, „langfristig zieht er seinen Kritikern davon.“

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