
Magnus Meier dachte an nichts Böses als er die Mail eines guten Kunden öffnete. Der Geschäftsführer eines mittelständischen Zulieferers in der Automobilbranche war dann jedoch rasch ernüchtert. Eine Beschwerde. Keine über zu späte Lieferungen oder mangelnde Qualität. Sie enthielt Andeutungen und Hinweise auf Ungereimtheiten innerhalb Meiers Unternehmen. Ein Niederlassungsleiter wurde namentlich erwähnt. Meier vertiefte sich in die Unterlagen und war erschüttert. Sein langjähriger Mitarbeiter hat dem Kunden eine deutlich höhere Summe in Rechnung gestellt. Das unrechtmäßige eingeforderte Geld gab er an den Manager beim Kunden, der über die Einkäufe entschied. Der Niederlassungsleiter hatte den Zuschlag, der Manager auf der anderen Seite Extra-Geld - und Meier? Der hatte den Schaden.
Der ehrliche Kaufmann, wie der deutsche Mittelständler sich gerne sieht, ist nicht gefeit vor Wirtschaftskriminalität. Und Experten sind sich sicher: Mittelständler unterschätzen die Gefahr, die von Korruption ausgeht. Umfragen zeigen – insbesondere mittelständische Unternehmen sehen das Risiko vor allem bei anderen - aber das ihr eigenes Unternehmen betroffen sein könnte, blenden sie aus.
Dabei kommt eine Studie des Wirtschaftsprüfers KPMG zur Wirtschaftskriminalität in Deutschland aus dem Jahr 2016 zu dem Ergebnis: „80 Prozent der 500 befragten Unternehmen sehen ein hohes oder sehr hohes Risiko für deutsche Unternehmen, von wirtschaftskriminellen Handlungen betroffen zu sein. Bezogen auf das eigene Unternehmen sehen allerdings lediglich 32 Prozent der Befragten ein solches Risiko.“
Das Risiko wird unterschätzt

Eine gefährliche Fehleinschätzung – besonders bei den kleineren und mittleren Unternehmen. „Gerade für sie besteht ein großes Risiko durch Wirtschaftskriminalität und das höchste Risiko davon durch Korruption“, sagt Professorin Tanja Rabl von der Technischen Universität Kaiserslautern. Sowohl direkte als auch indirekte finanzielle Konsequenzen sind für kleine und mittlere Unternehmen aufgrund geringerer finanzieller Ressourcen schwerwiegender als für Großunternehmen.
Neben hohen Bußgeldern drohen hohe Gewinnabschöpfungen und Steuerstrafzahlungen, die schnell die Existenz gefährden. Korruptionsdelikte werden nach dem Strafgesetzbuch mit Geld- und Gefängnisstrafen von bis zu fünf Jahren geahndet. Zudem zählen neben den offensichtlichen strafbaren Handlungen wie Vorteilsnahme und Vorteilsgewährung, Bestechung und Bestechlichkeit auch Unterschlagung, Untreue, Betrug, Falschbilanzierung und steuerrechtliche Delikte zu den Tatbeständen – Korruption ist damit alles andere als ein Kavaliersdelikt.
Wichtig für Geschäftsführer wie Meier: Neben der persönlichen Strafbarkeit der einzelnen Mitarbeiter macht sich unter Umständen auch die Geschäftsleitung strafbar und kann zur Rechenschaft gezogen werden. „Wenn jemand Korruption in seinem Unternehmen zulässt, etwa weil er keine angemessenen Kontrollmaßnahmen schafft, dann hat auch derjenige ein Haftungsproblem“, sagt Otto Geiß, Zweiter Vorsitzender des Deutschen Netzwerks Wirtschaftsethik (DNWE).
Korruption: Typische Rechtfertigungen
Die Rechtfertigungen stammen aus einer Broschüre von Prof. Dr. Tanja Rabl, Anna Werner, Maren Albrecht vom Lehrstuhl für Personalmanagement, Führung und Organisation der Technischen Universität Kaiserslautern, die in Zusammenarbeit mit dem Bundesverband mittelständischer Wirtschaft (BVMW) herausgegeben wurde und die KMU einen Einstieg in das Thema Korruptionsprävention ermöglichen soll.
„Aber es steht doch nirgends geschrieben, dass ich das nicht darf.“
„Es war die einzige Möglichkeit, unseren Gewinn zu steigern.“
„Es hatten doch alle etwas davon.“
„Warum denn? Weil die Mitbewerber leer ausgehen? Tja, so ist das Geschäft.“
„Andere machen da noch ganz andere Sachen, um an Aufträge zu kommen.“
„Ich habe nur versucht, die gute Geschäftsbeziehung zu unserem Kunden zu erhalten.“
„Wieso soll ich die guten Beziehungen, die ich über Jahre hinweg mühsam aufgebaut habe, nicht auch nutzen?“
„Immerhin habe ich den Auftrag für unser Unternehmen an Land gezogen.“
Ein Unternehmenslenker, der unaufmerksam oder gar untätig bleibt, ist so im Sinne eines Korruptionsverschuldens mitverantwortlich. „Auch das führt zu einem Bußgeld – und das kann mittlerweile bis zu zehn Millionen Euro betragen“, sagt Geiß. „Auch eine Gewinnabschöpfung ist nicht selten und dann kann es für ein Unternehmen auch richtig teuer werden.“