Langjährige Marktführer Das Erfolgsgeheimnis der besten Mittelständler

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5. Der Stahlspezialist Dillinger Hütte

Karlheinz Blessing Quelle: Andrew Wakeford

Karlheinz Blessing ist ein ungewöhnlicher Top-Manager. Nicht nur, dass der Chef der Dillinger Hütte ein 327 Jahre altes Unternehmen führt: Der heute 56-Jährige hat bis 1994 einen Lebensweg beschritten, der ihn eher zum Politiker qualifiziert hätte. SPD-Mitglied Blessing ist Gewerkschaftsmitglied und arbeitet in den Achtzigerjahren in der Zentrale der IG Metall in Frankfurt. Er ist Anfang der Neunziger Bundesgeschäftsführer der SPD, bis er als Arbeitsdirektor in den Vorstand der montanmitbestimmten Dillinger Hütte eintritt und 2011 ihr Chef wird. Er steht damit in einer langen Tradition: Seit frühen Tagen pflegt das Management der Stahlschmelze einen engen Schulterschluss mit den Beschäftigten. Heutzutage ist das Unternehmen zum Beispiel stolz auf die eigene Kita, die "Kleinen Hüttenbären".

Schon Ende des 19. Jahrhunderts betreibt die 30 Kilometer nordwestlich von Saarbrücken gelegene Hütte ein eigenes Spital für die Beschäftigten und ist Vorreiter für soziale Verantwortung. Die Klinik gibt es heute nicht mehr, aber die mitarbeiterfreundliche Führung zieht sich wie ein roter Faden durch die Firmengeschichte.

Keine Scheu vor Risikos

Nur schöne Worte? Blessing betont, dass viele seiner 7854 Mitarbeiter diese Einbindung dermaßen wertschätzen, dass sie "seit vier oder mehr Generationen im Unternehmen beschäftigt sind". Langfristige Investitionsbereitschaft statt kurzfristiger Gewinnerwartung, Innovationsfreude sowie Personal- und Kundenorientierung schon in der Frühzeit formuliert das Unternehmen in seiner Chronik als "Dillinger Tugenden" über drei Jahrhunderte.

So wurde etwa 1804 in der Hütte das erste Blech auf dem Kontinent gewalzt statt gehämmert, was die Qualität deutlich steigerte. Heute ist Dillinger einer der wenigen Spezialisten für Grobbleche mit außergewöhnlichen Abmessungen. Dafür braucht es riesige, teure Anlagen, zudem handelt es sich meist um Einzelprojekte – das damit verbundene Risiko scheuen offenbar die meisten anderen Stahlunternehmen.

Für Besucher der Hütte ist es ein imposantes Schauspiel, wenn etwa der zehn Meter hohe Dickblechwender – eine Art haushohe bewegliche Zange – ein tonnenschweres Stahlblech im Walzwerk unter dem Dröhnen der Antriebsmotoren in die richtige Position für die Verarbeitung bringt. So werden zum Beispiel Schiffsbleche zugeschnitten und gewalzt wie die Außenhaut der "Queen Mary 2". Die Saarländer produzieren auch Fundamente für Ölplattformen und Offshore-Windparks.

Gefahr aus Russland

"Wir wollen in der Nische immer der größte Produzent sein", unterstreicht Blessing die Tradition. Bei nahtlos geschweißten Pipelinerohren für Öl- und Gastransporte wie die Gasleitung unter der Ostsee (Nord Stream) ist ihm das gelungen. Doch gibt es seit einigen Monaten keine Bestellungen mehr; neue, billigere Konkurrenten aus Russland machen den Saarländern bei Pipelines das Leben schwer. Zudem lahmt die Stahlkonjunktur insgesamt. Damit sei womöglich die Eigenständigkeit der Dillinger gefährdet, da weitere Fusionen die Antwort auf die Marktschwäche sein könnten, fürchtet ein Branchenexperte.

In Dillingen wurde die Verzahnung zwischen deutscher und französischer Industrie lange vor Airbus und EADS praktiziert. Der Sonnenkönig Ludwig XIV. gestattet dem Marquis Charles Henri de Lenoncourt 1685, eine Eisenhütte vor den Toren der damals französischen Festung Saarlouis zu errichten. 1809 wird das Unternehmen Aktiengesellschaft. Französischen Einfluss gibt es noch heute: Der Inder Lakshmi Mittal hält mit seinem luxemburgischen Stahlkonzern ArcelorMittal, der vom französischen Management der früheren Arcelor beeinflusst ist, 30 Prozent an der Hütte.

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