Langjährige Marktführer Das Erfolgsgeheimnis der besten Mittelständler

Die Kombination aus langer Firmenhistorie und Marktführerschaft ist selten. Wie schaffen es Unternehmen über Jahrhunderte Krisen zu trotzen und auch weltweit an die Spitze zu kommen? Eine Spurensuche.

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Von Stephanie Heise, Lin Freitag, Nele Hansen, Anke Henrich, Hans-Jürgen Klesse, Rüdiger Kiani-Kreß, Andreas Wildhagen

Was im Gesellschaftervertrag stand, war fast 120 Jahre alt: Als Nachfolger an der Unternehmensspitze waren ausschließlich Männer vorgesehen, sie mussten mindestens 25 Jahre alt sein, über eine angemessene Schulbildung und eine Lehre als Hopfenhändler verfügen, dazu mindestens drei lebende Sprachen sprechen. "Das war nicht mehr zeitgemäß, das mussten wir ändern", sagt Regine Barth. Das taten die Familiengesellschafter Ende der Neunzigerjahre extra für sie: Heute ist die 42-Jährige die erste Frau an der Spitze von Joh. Barth & Sohn, dem 1794 gegründeten Weltmarktführer im Hopfenhandel.

Wie Barth aus Nürnberg gibt es viele Betriebe, die seit Jahrhunderten überleben und in ihrer Branche oder Nische in die Weltspitze aufgestiegen sind. Die 50 ältesten dieser deutschen Weltmarktführer hat Bernd Venohr, Münchner Wirtschaftsprofessor und Unternehmensberater, für die WirtschaftsWoche identifiziert. Neben wenigen Konzernen wie der Deutschen Post, die – 1490 gegründet – zu den führenden Paketbeförderern und Logistikern zählt, Merck – der Pharmariese mit Wurzeln im Jahr 1668 ist weltgrößter Hersteller von Flüssigkristallen für Flachbildschirme – oder dem Nutzfahrzeugbauer MAN (1758) sind dies vor allem Mittelständler.

"Innovation aus Tradition"

Unternehmen erreichen selten ein biblisches Alter. Älter als 100 Jahre sind laut Creditreform nur knapp 1,5 Prozent der aktiven deutschen Unternehmen. Das Durchschnittsalter schätzt die Wirtschaftsauskunftei auf nur 18 Jahre. Dennoch trotzt eine kleine Minderheit sogar über Jahrhunderte hinweg Krisen, Kriegen und drastischen Veränderungen in ihren Märkten – und hat es sogar an die Weltspitze geschafft. Mit "Innovation aus Tradition" wirbt etwa die 1482 gegründete Isabellenhütte aus dem hessischen Dillenburg, heute einer der weltweit führenden Hersteller von Thermo- und Widerstandslegierungen, die in Elektrotechnik, Elektronik oder Kraftwerken verwendet werden. "Solche Unternehmen sind seltene Unikate", sagt Experte Venohr.

Denn sehr alt werden vor allem Unternehmen wie Brauereien und Weinkellereien, weil es dort weniger technische Umbrüche gibt. Mit Produkten des täglichen Bedarfs schaffen es deutsche Unternehmen aber selten an die Weltspitze. Ausnahmen sind der Marzipanhersteller Niederegger, der Messerproduzent Zwilling oder die Porzellananbieter Meissen und BHS Tabletop.

Weltmarktführer sind deutsche Mittelständler eher in technisch orientierten Branchen. So sind allein 12 der 50 Unternehmen auf der Liste Maschinenbauer, die ihre Wurzeln oft in der Metallverarbeitung haben. So begann das älteste Unternehmen auf der Liste, Achenbach Buschhütten, 1452 als sogenannter Eisenhammer, der Eisenerz zu Schmiedeeisen verhüttete. Heute ist Achenbach Weltmarktführer für Alu-Folienwalzwerke.

Bekannt für Verlässlichkeit

Die Ehepaare der Wirtschaft
Brigitta und Titus Dittmann Titus Dittmann gilt als Vater der deutschen Skateboard-Szene. Mit seiner Frau ist er seit 1974 verheiratet - der gemeinsame Sohn Julius (links) führt mittlerweile die Familiengeschäfte. Nach missglücktem Börsengang bringt er heute Kindern in Afghanistan und Afrika das Skateboarden nahe. Seine Frau beantragte damals den "Reisegewerbeschein", um das Unternehmen zu gründen. Titus Dittmann konnte das nicht machen. Sein Beruf als Lehrer erlaubte es ihm nicht. Quelle: PR
Erivan und Helga HaubJahrelang prägten sie die Tengelmann-Gruppe: Erivan und Helga Haub. Sie heiraten 1958, elf Jahre später übernimmt Erivan Haub die Geschäftsführung des Familienunternehmens. Unter ihm expandiert Tengelmann zu einem der weltweit größten Handelsunternehmen. Helga Haub engagiert sich  vor allem für die Umwelt und verbannt 1984 Schildkrötensuppe aus dem Sortiment. Quelle: DPA
Gerd und Gabriele StrehleSie war jahrelang der kreative Kopf der Modefirma Strenesse, er der ökonomische. 1973 kommt Gabriele Strehle – damals noch Gabriele Hecke – als Designerin zu den Nördlinger „Bekleidungswerken Strehle“. Sie prägt das Unternehmen mit ihrer Handschrift und entwickelt die Marke Strenesse.  1985 heiratet sie Gesellschafter Gerd Strehle, 1998 erhält die Marke ihren Namenszusatz „Strenesse – Gabriele Strehle“, zwei Jahre später wird aus der Strehle GmbH die Strenesse AG. 2012 hat Gerd Strehle seinen Vorstandsvorsitz an seinen Sohn aus erster Ehe, Luca Strehle, abgegeben und hat den Aufsichtsratsvorsitz übernommen. Gabriele Strehle hat das Unternehmen daraufhin verlassen. Quelle: DPA
Bertha und Carl Benz Bertha Benz stammte aus einer wohlhabenden Familie. Weil sie sich ihr Erbe vorzeitig auszahlen ließ, konnte Carl Benz aus einem Vertrag mit einen Motorenbauer herausgekauft werden, so erzählt es die Urenkelin Jutta Benz im Interview mit Wiwo.de. Kaufmännisch begabt sei Carl Benz nicht gewesen: An der zweiten Firma Benz & Cie., die er gründete, war er lediglich mit zehn Prozent beteiligt. Dieses Unternehmen lief gut; Carl Benz war die meiste Zeit mit seinen Erfindungen beschäftigt. Bertha Benz soll Druck ausgeübt haben, es war schließlich auch ihr Geld, das in dem Unternehmen steckte. Quelle: Presse
Sonia und Willy BognerDas Unternehmer-Ehepaar ist seit 1972 verheiratet. Er ist der erfolgreiche Kaufmann, wie "Die Welt" schreibt; sie der kreative Kopf des Modeunternehmens. Willy sei der Chef, sie die Chefita - auf Gleichberechtigung habe Sonia Bogner keine Lust: Sie möchte nicht die ganze Verantwortung für die Firma tragen müssen. Quelle: Presse
Bertha und Gustav Krupp von Bohlen und HalbachDiese Szene aus dem ZDF-Dreiteiler „Krupp – Eine deutsche Familie“ von 2009 zeigt Gustav und Bertha Krupp von Bohlen und Halbach (dargestellt von Iris Berben und Thomas Thieme). Nach dem Tod ihres Vaters Friedrich Alfred Krupp war die noch minderjährige Bertha Krupp Alleinerbin des Stahlriesen Krupp. Auf Vermittlung von Kaiser Wilhelm II. heiratete sie den preußischen Adligen Gustav von Bohlen und Halbach. Das Paar durfte auf königlich-preußischen Erlass solange den Namen „Krupp von Bohlen und Halbach“ tragen, solange ihnen das Unternehmen persönlich gehörte. Quelle: dpa
Liz und Reinhard Mohn Elisabeth (Liz) Mohn war 17 Jahre alt, als sie Reinhard Mohn kennen lernte. Drei Kinder haben sie gemeinsam, die - bis auf einen Sohn - alle Anteile am Medienkonzern halten. Ihr wurde als Familiensprecherin das Recht eingeräumt, bis zu ihrem 80. Lebensjahr in alle Informationen und Besprechungen involviert zu sein. Während sich Reinhard Mohn bis zu seinem Tod 2009 immer mehr aus dem Geschäftsleben zurückzog, wuchs der Einfluss seiner Ehefrau gleichermaßen. Sie ist heute Aufsichtsratsmitglied bei Bertelsmann. Quelle: dpa

"Solche Unternehmen haben sich über die Jahrhunderte immer wieder angepasst und neue Nischen gefunden", sagt Venohr. Kein Unternehmen der Liste habe komplett sein Kerngeschäft gewechselt. Allerdings hätten im Rahmen ihres Sektors bei den meisten starke Veränderungen stattgefunden hin zu sehr komplexen Produkten.

Sehr lange überleben Unternehmen nur dann, wenn sie erstens die Innovationszyklen erfolgreich mitmachen und zweitens bei Familienunternehmen – dazu zählen 85 Prozent der Firmen auf der Liste – den Übergang von Generation zu Generation gut meistern. Letzteres funktionierte in der Regel am besten, wenn der Betrieb ungeteilt an einen Erben ging.

Die 20 ältesten Weltmarktführer Deutschlands

Konservative Finanzierung und immer neue Entwicklungen

Wie der erste Punkt gelingen kann, analysiert der ehemalige Royal Dutch/Shell-Manager und Buchautor Arie de Geus ("The Living Company"). Er identifiziert vier Faktoren für Langlebigkeit und erfolgreiche Unternehmensentwicklung:

  • Langlebige Unternehmen sind sensibel für Entwicklungen in ihrem Umfeld und richten ihr Kerngeschäft rechtzeitig neu aus – wieder und wieder.
  • Sie zeichnen sich durch festen Zusammenhalt und ausgeprägte Identifikation mit der Firma aus – das gilt für alle Mitarbeiter, nicht nur für die Führung.
  • Sie erlauben ihren Mitarbeitern Freiräume und tolerieren auch exotische Experimente abseits des Kerngeschäfts, solange sie die Existenz nicht gefährden.
  • Sie betreiben eine konservative Finanzierungs- und Ausgabenpolitik mit wenig Abhängigkeit von Banken. Aufgrund ihrer gefüllten Kasse können sie so bei dem Betreten von Neuland oder der Übernahme anderer Unternehmen frei agieren.

Das hervorstechendste Merkmal alter Unternehmen sieht William O’Hara, emeritierter Professor der Bryant University im US-Staat Rhode Island, in der Verpflichtung auf einen Integritätsstandard: "Dieser Wert unterscheidet sie von der Konkurrenz. Sie sind bekannt für Verlässlichkeit und haben sich einen Ruf erarbeitet, Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten und die Menschen vor Ort fair zu behandeln."

Traditionen fortführen

Bei Familienunternehmen kämen das Vertrauen unter den Familienmitgliedern, die Fähigkeit zur Konfliktlösung und die Leidenschaft oder das Pflichtgefühl, die Tradition fortzuführen, hinzu. "Keiner möchte den Makel tragen, einer Dynastie den Todesstoß zu geben", sagt O’Hara, der in seinem Buch "Centuries of Success" 20 alte Familienunternehmen beschreibt.

Die sechs von der WirtschaftsWoche vorgestellten Unternehmen haben das alles über die Jahrhunderte gemeistert – auch wenn das eine oder andere zwischenzeitlich mal in Existenznöte geriet.

1. Der Hopfenhändler Joh. Barth&Sohn

Regine Barth Quelle: Dieter Mayr für WirtschaftsWoche

Das Wetter meint es in diesem Jahr nicht gut mit dem Hopfen, es war zu kalt und zu trocken. Die Pflanzen gleichen noch bräunlichen Büschen und haben wenig gemein mit den meterhohen, sattgrünen Hopfenranken, die im Herbst das Naturbild in Teilen Bayerns, Baden-Württembergs und Sachsen-Anhalts prägen. Doch bis der Sommer sich verabschiedet, werden sie noch kräftig wachsen, ist sich Regine Barth sicher. Aber die Chefin des Nürnberger Hopfenhändlers Joh. Barth & Sohn, weiß auch: Jede Ernte ist anders. "Mein Vater predigte den Spruch jedes Jahr, jetzt hört man ihn genauso oft von mir", sagt sie.

Barth ist 26 Jahre alt, als eines Nachts das Telefon klingelt. Am anderen Ende der Leitung ist ihr Vater, fragt, ob sie die Firma übernehmen will. Regine Barth schreibt gerade an ihrer BWL-Abschlussarbeit über Personalmarketing, vom Hopfenhandel hat sie bisher keine Ahnung. In der Familie Barth ist die Rollenverteilung klassisch: Während Vater und Sohn im Wohnzimmer über Hopfenpreise diskutieren, sitzen Mutter und Tochter lieber in der Küche und unterhalten sich über Schule, Freunde, Nachbarn. Doch als sich der Bruder überraschend gegen die Nachfolge entscheidet, soll Regine Barth zusammen mit ihren zwei Cousins das Unternehmen führen. Sie nimmt sich einen Monat lang Zeit, denkt nach, sagt zu. Und löst damit eine Revolution in der 219-jährigen Firmengeschichte aus, denn zuvor sah der Gesellschaftervertrag nur Männer an der Spitze vor.

Der letzte von 364 Händlern

Der Anfang ist schwer. Barth ist blond, zierlich und muss besonders hart arbeiten, um in der Männerwirtschaft akzeptiert zu werden: Ihr erstes von mehreren Jahren der Einarbeitung verbringt sie auf den Hopfenfeldern, lernt Grundlagen und Standorte wie Großbritannien, Amerika, Tasmanien und die bayrische Hallertau kennen, das größte zusammenhängende Hopfenanbaugebiet der Welt.

Seit dem 14. Jahrhundert wird Hopfen in Deutschland angebaut. Nürnberg entwickelte sich aufgrund der Nähe zur Hallertau Mitte des 19. Jahrhunderts zum Zentrum des grünen Goldes. Damals gab es 364 Händler, heute ist nur noch einer übrig geblieben: Joh. Barth & Sohn. Das Unternehmen setzte als erstes auf ein Vollsortiment und verschaffte sich früh Zugriff auf alle Hopfenanbaugebiete der Welt. 30 Prozent des globalen Hopfens werden heute über den Weltmarktführer mit seinen 600 Mitarbeitern gehandelt.

Der Rohstoff wird bei den Bauern eingekauft und dann an Brauereien wie Krombacher und Warsteiner weiterverkauft, aber auch an die Pharmaindustrie, die daraus Tee oder Tabletten herstellt.

Forschung zusammen mit den Kunden

Für Regine Barth sind es die Mitarbeiter und ihre Ideen, die das Unternehmen so wertvoll machen. Vor 100 Jahren entwickelte ein findiger Mitarbeiter eine Verpackung, die den Hopfen auch auf langen Überseetransporten schützt. Vor 50 Jahren war Joh. Barth & Sohn der erste Händler, der spezielle Sorten aus England und Belgien importierte. Vor 16 Jahren gründete ein leitender Angestellter eine Forschungsbrauerei, die mit den Kunden zusammen Brauprozesse optimiert. Barth knüpft mit klugen Köpfen an diese Erfolge an: "Wir suchen immer nach proaktiven Mitarbeitern, Menschen, die bereit sind, auch Kritik zu äußern."

Seit 2003 führt die heute 42-Jährige zusammen mit ihren Cousins Stephan und Alexander das Unternehmen in der achten Generation. Alle drei haben Kinder, ob eines die Nachfolge antritt, ist noch ungewiss. Barth will ihren 13-jährigen Sohn nicht drängen: "Wenn er einen anderen Beruf ergreifen will, werde ich ihn unterstützen." Für die Nachfolge zieht sie auch einen externen Manager in Betracht. Denn so wie jede Ernte anders ist, so ist es auch jeder Mensch. Und nicht jeder ist der geborene Hopfenhändler – auch wenn er einer Dynastie des grünen Goldes entspringt.

2. Leonie, Spezialist für Kabelbäume und -systeme

Klaus Probst Quelle: PR

Für Muslime ist Mekka der heiligste Ort. Die Kaaba, das würfelförmige Gebäude auf dem Gelände der Großen Moschee, sollte jeder besucht haben.

Ähnlich wichtig ist für Katholiken der Vatikan und der Besuch eines Hochamts im Petersdom, vor allem, wenn es an hohen Feiertagen vom Papst zelebriert wird.

Ein Unternehmen aus Nürnberg ist für die beiden so unterschiedlichen Orte ein unverzichtbarer Lieferant: die Leoni AG. Zu deren Sortiment gehören besonders fein gewirkte, vergoldete Metallfäden. Bei der Kaaba sind daraus die Koranverse gestickt, die das riesige schwarze Tuch schmücken, das die Wände verhüllt. Der Vatikan wiederum ist Großabnehmer für die Goldfäden, weil daraus Borten und Tressen gemacht werden, die die Festgewänder der Würdenträger zieren.

Unbewusste Nutzung

Diese Leonischen Waren – die Bezeichnung geht auf die französische Stadt Lyon und den spanischen Ort Léon zurück, aus denen die ersten, aus feinen Metalldrähten hergestellten Erzeugnisse stammten – sind Wurzel und Namensgeber des Unternehmens, das heute Verkabelungen für Autos, Schiffe und Flugzeuge herstellt, aber auch für Kühlschränke, Röntgengeräte, Windkrafträder oder Flughäfen. "Jeder Konsument in Deutschland hat pro Tag – meist unwissentlich – 30 bis 50 Mal mit unseren Produkten zu tun", sagt Klaus Probst, der Leoni seit knapp elf Jahren leitet.

Zum Umsatz von 3,8 Milliarden Euro 2012 steuern die Leonischen Waren nur noch rund ein Promille bei, 75 Prozent entfallen auf Autozulieferungen, der Rest auf Medizintechnik, Infrastruktur oder alternative Energien. Bei einadrigen Fahrzeugkabeln ist das 1569 von Anthoni Fournier als Metallwerkstatt gegründete Unternehmen, das heute mit 60 000 Mitarbeitern in 32 Ländern produziert, Weltmarktführer. Rund zehn Millionen Kilometer wurden davon 2012 produziert.

Vom einzelnen Kabel zum Kabelsystem

Die starke Position ist darauf zurückzuführen, dass Leoni sein Kerngeschäft – die Herstellung und Weiterverarbeitung dünner Kupferdrähte – immer wieder weiterentwickelt und neu definiert hat. Entstanden aus den Metallfäden zuerst dekorative Dinge wie Weihnachtsschmuck oder Brokatstoffe, kamen später Haushaltsprodukte wie Teesiebe dazu. Und statt nur Kabel herzustellen, spezialisierte sich die im MDax gelistete Leoni auf komplette Kabelsysteme und -bäume. Das Sortiment reicht von Kupferleitungen für die Endoskopie, die inklusive Isolierung dünner sind als ein Haar, bis zu armdicken Kabeln für Windrädern.

Zweites Erfolgskriterium ist die stark vorangetriebene Globalisierung. Die Produktion von Kabelbäumen für Autos ist vor allem Handarbeit. Gefertigt wird darum zu mehr als 90 Prozent an Standorten mit vergleichsweise niedrigen Lohnkosten. Für europäische Kunden wird vorwiegend in Osteuropa und Nordafrika produziert, für die US-Autohersteller in Mexiko, die Kabel für Autos aus Asien kommen aus China.

Dank der breiten geografischen Aufstellung spürt Leoni bisher relativ wenig von der europäischen Autokrise. Trotzdem hat Probst den nächsten Anpassungsschritt eingeleitet: Um die Abhängigkeit vom Autogeschäft zu verringern, will der 59-Jährige den Anteil der Kunden aus Infrastruktur und Energieerzeugung ausbauen.

3. Der Musikverlag Schott Music

Peter Hanser-Strecker Quelle: Klaus Weddig für WirtschaftsWoche

Ob 1770 oder 2013: Letztlich macht Peter Hanser-Strecker das Gleiche wie die fünf Inhaber-Generationen des Mainzer Verlags Schott Music vor ihm. Der 70-Jährige mit der Vorliebe für bunte Schals verkauft oder vermietet Noten an Musiker und kassiert im Auftrag der Komponisten Lizenzgebühren, wenn ein Stück aus dem Verlagsfundus irgendwo erklingt.

Und doch würde Gründer Bernhard Schott beim renommierten Verlag für klassische Musik zunächst wenig mehr wiedererkennen als die Notenbände für die heute rund 30 000 lieferbaren Musikstücke und die Zentrale in einem Patrizierhaus der Mainzer City. Denn wo Schott Noten von Hand über die Stichplatten verteilte, helfen heute Computersysteme, dass Musiker weltweit den richtigen Ton finden, von Barock-Chorälen bis Partituren Neuer Musik.

Offen für Innovationen

Vertraut wäre dem Urahn aber das Geschäftsprinzip Hanser-Streckers, dessen Großvater 1874 den Verlag vom Gründerenkel Franz Schott kaufte. So konservativ der Familienbetrieb mit 260 Mitarbeitern agiert und sich gegen die Veröffentlichung von Bilanzen ebenso sträubt wie gegen Bankkredite, so offen ist er für Innovation – oder "Musik plus alles", wie Hanser-Strecker seine Philosophie nennt. 1824 gründet Schott in Antwerpen das erste Auslandsbüro. Neun weitere folgen von New York bis Tokio. Hinzu kommen Partner in 19 Ländern. Dieses Netz erlaubt höhere Auflagen und Einnahmen. So hat Schott Top-Künstler an sich gebunden von einst Richard Wagner bis zuletzt Frank Zappa.

Zudem nutzen die Eigentümer früh neue Techniken: Lithografie-Druck Ende des 18. Jahrhunderts, ein Online-Shop für Noten 1998 und jüngst Übungsapps auf dem iPad. Auf die digitale Welt, sagt Hanser-Stecker, "müssen wir als Verlag konstruktiv reagieren, wenn wir weiter erfolgreich sein wollen". Gassenhauer wie Ludwig van Beethovens "Für Elise" mögen gratis online stehen, weil die Verlagsrechte 70 Jahre nach dem Tod eines Komponisten enden. Doch die Mainzer werben, ihre Noten seien dank der speziellen Schrift lesbarer und nutzerfreundlicher, weil Musiker sie an Stellen umblättern können, die den Spielfluss weniger stören. Zudem bietet Schott neben online nicht legal zu findenden geschützten Werken auch selten gespielte freie Stücke, die im Internet schwer zu finden sind

"Das Interesse an Musik ist vorhanden"

Zu guter Letzt investiert Schott gezielt in neue Produkte. Neben Übungsbüchern, die dem Nachwuchs das Musizieren mit Arrangements von Pophits schmackhaft machen, veröffentlicht Schott wissenschaftlich aufgearbeitete Neuausgaben bekannter Musikstücke. Die sind erneut urheberrechtlich geschützt und bringen Lizenzgebühren. Dazu investiert der Verlag in zeitgenössische Musik. Wegen hoher Anlaufkosten und seltenen Aufführungen fürchten Buchhalter das zwar genauso wie Freunde Bach’schen Wohlklangs. Doch die guten Nasen der Chefs spüren immer wieder Dauerbrenner auf wie Carl Orffs "Carmina Burana" oder das Werk des klassischen Modernen Hans Werner Henze.

So ist Hanser-Strecker um die Zukunft nicht bange. "Das Interesse an Musik ist vorhanden", sagt er. "Wir müssen nur nachdenken, wie wir sie an den Mann bringen."

4. Katz-Gruppe, Hersteller von Bierdeckeln

Daniel Bitton Quelle: Berthold Steinhilber für WirtschaftsWoche

Auf ihn knallen Kellner Bleistiftstriche, er kommt eckig daher oder rund, er soll Fliegen vom Biergenuss abhalten und macht Werbung für das ausgeschenkte Kaltgetränk: der Bierdeckel.

1892 erfindet ihn der Dresdner Unternehmer Robert Sputh. Zehn Jahre später stellt ihn das Unternehmen Katz aus Weisenbach bei Karlsruhe erstmals industriell her. Heute produziert Katz rund 2,9 Milliarden Stück pro Jahr und beherrscht damit rund 70 Prozent des weltweiten Bierdeckelmarktes. Zwar musste das Unternehmen 2009 Konkurs anmelden, doch Katz schaffte es dank neuester Technik, effizienterer Produktion und hoher Anpassungsfähigkeit zurück an die Weltspitze .

Angefangen hat bei Katz alles mit Bahnschwellen und Telegrafenmasten. 1716 errichtet Johann Georg Katz ein Sägewerk, in dem später auch Verbindungsstücke zwischen den Schienen hergestellt werden. Das Werk produziert dabei viele Holzabfälle. Gründer-Nachfahre Casimir Katz besitzt auch eine kleine Brauerei. Er überlegt, was man anstelle der üblichen unhygienischen Filz-Untersetzer benutzen könnte – und startet 1903 eine Bierdeckelproduktion.

Vom Holzbrei zum Bierdeckel

Direkt am Flüsschen Murg im nördlichen Schwarzwald fahren heute Laster mit Holzstämmen auf dem Katz-Gelände vor. Das Holz wird entrindet, geschliffen, gemahlen und mit Wasser zu einer dicken Pampe verrührt. Der Holzbrei wird auf eine Kartonmaschine verteilt und gepresst.

Ein größerer Kapitalbedarf für moderne Maschinen führt dazu, dass der Bierdeckelhersteller 1962 in eine AG umgewandelt wird. Von 2000 an fällt Katz in die Hände verschiedener Private-Equity-Gesellschaften. "Die haben nur Geld aus dem Unternehmen gezogen und nichts mehr investiert", sagt der heutige Geschäftsführer Daniel Bitton. Zudem sorgt der sinkende Bierkonsum für weniger Bedarf an Bierdeckeln. Katz versucht, Wettbewerber mit Kampfpreisen zu verdrängen – und muss 2009 Insolvenz anmelden.

Die Rettung kommt durch den Papierhersteller Koehler aus Oberkirch bei Baden-Baden, der Katz aufkauft. Sanierer Bitton führt den Betrieb wieder an die Weltspitze, indem er die Produktion effizienter macht, neue Geschäftszweige erschließt und seine Produkte wieder teurer verkauft.

Digitale Bierdeckel gibt es nicht

So stellt Katz auch Einlegepappe für Käse, große Werbeschilder für Supermärkte oder Bitte-nicht-Stören-Schilder für Hotels her. 30 Prozent tragen die neuen Geschäftsfelder heute zum Umsatz bei.

Und kosteten Bierdeckel zu Kampfzeiten rund 6,50 Euro pro 1000 Stück, verkauft Bitton sie jetzt für durchschnittlich rund elf Euro. "Natürlich sind viele Brauereien zur Konkurrenz abgewandert, aber viele sind auch wiedergekommen, weil wir sehr gute Technik und einen Top-Service haben", sagt der 48-Jährige. Neue Wettbewerber fürchte er nicht: "Bei den geringen Gewinnmargen braucht man viel Erfahrung. Die Druckmaschinen sind teuer und müssen für die Bedruckung der Pappe speziell angepasst werden."

Bitton ist es gelungen, bei einem Umsatz von 39,5 Millionen Euro 2012 die Rendite wieder auf elf Prozent zu hieven. Weltweit beschäftigt Katz 248 Mitarbeiter. Die müssen kaum fürchten, dass ihr Produkt irgendwann ausstirbt: Digitale Bierdeckel sind noch nicht im Angebot.

5. Der Stahlspezialist Dillinger Hütte

Karlheinz Blessing Quelle: Andrew Wakeford

Karlheinz Blessing ist ein ungewöhnlicher Top-Manager. Nicht nur, dass der Chef der Dillinger Hütte ein 327 Jahre altes Unternehmen führt: Der heute 56-Jährige hat bis 1994 einen Lebensweg beschritten, der ihn eher zum Politiker qualifiziert hätte. SPD-Mitglied Blessing ist Gewerkschaftsmitglied und arbeitet in den Achtzigerjahren in der Zentrale der IG Metall in Frankfurt. Er ist Anfang der Neunziger Bundesgeschäftsführer der SPD, bis er als Arbeitsdirektor in den Vorstand der montanmitbestimmten Dillinger Hütte eintritt und 2011 ihr Chef wird. Er steht damit in einer langen Tradition: Seit frühen Tagen pflegt das Management der Stahlschmelze einen engen Schulterschluss mit den Beschäftigten. Heutzutage ist das Unternehmen zum Beispiel stolz auf die eigene Kita, die "Kleinen Hüttenbären".

Schon Ende des 19. Jahrhunderts betreibt die 30 Kilometer nordwestlich von Saarbrücken gelegene Hütte ein eigenes Spital für die Beschäftigten und ist Vorreiter für soziale Verantwortung. Die Klinik gibt es heute nicht mehr, aber die mitarbeiterfreundliche Führung zieht sich wie ein roter Faden durch die Firmengeschichte.

Keine Scheu vor Risikos

Nur schöne Worte? Blessing betont, dass viele seiner 7854 Mitarbeiter diese Einbindung dermaßen wertschätzen, dass sie "seit vier oder mehr Generationen im Unternehmen beschäftigt sind". Langfristige Investitionsbereitschaft statt kurzfristiger Gewinnerwartung, Innovationsfreude sowie Personal- und Kundenorientierung schon in der Frühzeit formuliert das Unternehmen in seiner Chronik als "Dillinger Tugenden" über drei Jahrhunderte.

So wurde etwa 1804 in der Hütte das erste Blech auf dem Kontinent gewalzt statt gehämmert, was die Qualität deutlich steigerte. Heute ist Dillinger einer der wenigen Spezialisten für Grobbleche mit außergewöhnlichen Abmessungen. Dafür braucht es riesige, teure Anlagen, zudem handelt es sich meist um Einzelprojekte – das damit verbundene Risiko scheuen offenbar die meisten anderen Stahlunternehmen.

Für Besucher der Hütte ist es ein imposantes Schauspiel, wenn etwa der zehn Meter hohe Dickblechwender – eine Art haushohe bewegliche Zange – ein tonnenschweres Stahlblech im Walzwerk unter dem Dröhnen der Antriebsmotoren in die richtige Position für die Verarbeitung bringt. So werden zum Beispiel Schiffsbleche zugeschnitten und gewalzt wie die Außenhaut der "Queen Mary 2". Die Saarländer produzieren auch Fundamente für Ölplattformen und Offshore-Windparks.

Gefahr aus Russland

"Wir wollen in der Nische immer der größte Produzent sein", unterstreicht Blessing die Tradition. Bei nahtlos geschweißten Pipelinerohren für Öl- und Gastransporte wie die Gasleitung unter der Ostsee (Nord Stream) ist ihm das gelungen. Doch gibt es seit einigen Monaten keine Bestellungen mehr; neue, billigere Konkurrenten aus Russland machen den Saarländern bei Pipelines das Leben schwer. Zudem lahmt die Stahlkonjunktur insgesamt. Damit sei womöglich die Eigenständigkeit der Dillinger gefährdet, da weitere Fusionen die Antwort auf die Marktschwäche sein könnten, fürchtet ein Branchenexperte.

In Dillingen wurde die Verzahnung zwischen deutscher und französischer Industrie lange vor Airbus und EADS praktiziert. Der Sonnenkönig Ludwig XIV. gestattet dem Marquis Charles Henri de Lenoncourt 1685, eine Eisenhütte vor den Toren der damals französischen Festung Saarlouis zu errichten. 1809 wird das Unternehmen Aktiengesellschaft. Französischen Einfluss gibt es noch heute: Der Inder Lakshmi Mittal hält mit seinem luxemburgischen Stahlkonzern ArcelorMittal, der vom französischen Management der früheren Arcelor beeinflusst ist, 30 Prozent an der Hütte.

6. Achenbach Buschhütten, die Walzwerkanlagenspezialisten

Axel und André Barten Quelle: PR

Achenbach Buschhütten hat sich den Ehrentitel des ältesten deutschen Weltmarktführers dort erworben, wo sich aus Sicht der Rheinländer Fuchs und Hase gute Nacht sagen: rechts vom Rhein im tiefsten Siegerland, in Buschhütten, Gemeinde Kreuztal – ein very hidden champion. Das eigentümergeführte Familienunternehmen liefert Walzwerkanlagen in alle Welt, machte 2011 rund 60 Millionen Euro Umsatz, davon 84 Prozent im Ausland.

Wenn Chef Axel E. Barten die Firmenhistorie Revue passieren lässt, lebt selbst das Mittelalter wieder auf. Gutenberg druckt seine ersten Bücher, die Osmanen ziehen aus, Konstantinopel zu erobern, und die drei Brüder der Familie Busch bauen 1452 in den grünen Hügeln des Siegerlandes ihren Eisenhammer.

1846, knapp 400 Jahre nach der Gründung, stellt Achenbach vom wasserrad-getriebenen Eisenhammer um auf eine moderne, mit Ruhrgebietskohle betriebene Eisengießerei. 1888 entsteht das erste Walzkraftwerk für Eisenbleche, 1927 folgt das erste Bandwalzwerk, und so geht es weiter bis heute. Aus dem Eisenhammer ist ein mittelständischer High-Tech-Maschinenbauer gewachsen, der weltweit führend ist bei Alu-Feinband- und Folienwalzwerken.

Die Lernfähigkeit ist entscheidend

Der 63-jährige Barten repräsentiert die siebte Generation der Eigentümerfamilie, die den Betrieb 1846 übernahm. Sohn André stieg 2009 ein. Da konnte Barten senior zeigen, ob er lebt, was er predigt: "Um als Unternehmen so lange am Markt zu bleiben, ist neben planvoller Strategie und sensibler Intuition auch die Lernfähigkeit eines Unternehmers entscheidend."

Der damals 27-jährige Wirtschaftsingenieur nahm ihn beim Wort und setzte die komplette Fertigung neu auf. Der Vater zuckte, aber er stimmte zu.

Von seinen Ingenieuren lernt Barten den gelegentlichen Segen des Nichthandelns. "Ich wollte den Auftrag für ein komplexes Anlagenprojekt von hoher Referenzbedeutung übernehmen", erzählt der Maschinenbau-Ingenieur mit 30 Jahren Berufserfahrung. "Es unterschied sich deutlich von unseren bisherigen Projekten." Doch seine Ingenieure hätten ihn in intensiven Diskussionen davon überzeugt, dass die Risiken in diesem Projekt überwogen hätten. Bartens Erkenntnis: "Stabile Werte zu haben ist für einen Unternehmer an sich ja positiv. Aber lernen zu wollen bedeutet auch eine Kultur der Selbstreflexion." Nur so entwickele sich ein Unternehmen in entscheidenden Umbruchsituationen erfolgreich weiter.

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