Merziger Werk schließt Die Gründe für das Aus von Villeroy & Boch Fliesen

Im Unternehmensarchiv von Villeroy und Boch in Merzig werden Firmenunterlagen und historische Produkte der V&B AG erfasst und gesammelt. Darunter historische Fliesen. Quelle: imago images

Sind das die Vorboten der Rezession? Villeroy & Boch Fliesen schließt das Werk im Saarland. Der türkische Eigentümer begründet dies mit gestiegenen Energiekosten. Deutschland sei „wirtschaftlich unattraktiv“. Stimmt das?

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Das Ende für die Mitarbeiter hatte sich zumindest auf dem Flurfunk schon seit einiger Zeit angekündigt. Bereits im April brodelte die Gerüchteküche in der saarländischen Kreisstadt Merzig. Jetzt ist aus dem Raunen und Gemunkel eine traurige Gewissheit geworden: Villeroy & Boch Fliesen (V&B Fliesen) schließt sein Werk vor Ort und will die gesamte Produktion in die Türkei verlagern. Dort hat die Eczacıbaşı Holding, die die Fliesensparte vor einigen Jahren von der Villeroy & Boch AG übernahm, ihr Stammwerk. Der deutsche Traditionskonzern hat mit alledem nichts zu tun.

Rund 200 Mitarbeiter sind von der Schließung betroffen und müssen sich vermutlich ab dem Jahr 2023 nach neuen Jobs umsehen. Bis zum März des Folgejahres läuft noch ein Standortsicherungsvertrag. Jörg Schwall, Chef von V&B Fliesen betont: „Für unsere rund 200 betroffenen Mitarbeiter werden wir Maßnahmenpakete schnüren, die es erlauben, die individuell am besten geeignete Lösung zu finden.“

Es ist nicht der einzige Rückschlag für Merzig. Bereits zuvor war klar geworden, dass auch die Logistikabteilung von V&B Fliesen nach Polch in Rheinland-Pfalz umziehen wird, lediglich die Verwaltung bleibt zurück. Für die Stadt ist das eine mehr als schlechte Nachricht wie Bürgermeister Marcus Hoffeld sagt: „Die Verlagerung der Produktion dieses alteingesessenen Traditionsunternehmens ist ein herber Verlust für unsere Stadt und die gesamte Region“, sagt er und betont, dass den größten Schaden die 200 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer tragen. Man würde nun versuchen, „berufliche Perspektiven zu finden.“



Im Saarland reihen sich die Abwanderungen in eine unschöne Reihe ein. Bereits im Juni hatte Ford angekündigt, sein Werk in Saarlouis dicht zu machen und hatte damit mehr als 4000 Arbeitnehmer in große Sorge versetzt. Entsprechend frustriert ist auch die Landespolitik. Wirtschaftsminister Jürgen Barke (SPD) spricht von nicht weniger als einem „Schlag ins Gesicht für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“. Für ihn gibt es keinen nachvollziehbaren Grund, warum die Unternehmensentscheidung so gefallen ist. Im Gegenteil: Die Politik habe erst vor Kurzem die „volle Unterstützung“ für die Umwandlung zu einer wasserstoffbasierten Produktion am Standort zugesichert, heißt es aus dem Wirtschaftsministerium des Saarlandes.

Doch warum macht der türkische Betreiber das Werk dann eigentlich zu? Wer nach den Gründen für den neuerlichen Einschnitt sucht, der findet schnell zwei Versionen. Da ist die, die die V&B per Mitteilung verschickt. In der heißt es, die Kosten für Energie, Transporte, Verpackung und für Rohstoffe seien mittlerweile zu hoch. Allein die Kosten für Gas seien in der Spitze um 500 Prozent gestiegen, teilt eine Sprecherin mit, dazu komme noch das hohe Lohnniveau in Deutschland. Das mache „die Produktion von Fliesen wirtschaftlich unattraktiv“, so das Unternehmen. So weit, so plausibel.

Doch wer Roland Strasser anruft, der bekommt eine ganz andere Version der Dinge geschildert. Strasser ist Landesbezirksleiter IG BCE Rheinland-Pfalz/Saarland, also der Interessenvertreter der Bergbau, Chemie und Energie aus Sicht der Arbeitnehmer. Die Stimmung, sagt er gegenüber der WirtschaftsWoche, sei jetzt „ganz unten“. Sie alle hatten gehofft, dass die Produktion am Ende doch in Merzig bleiben könne, immerhin hatten sie im firmenbezogenen Verbandstarifvertrag viele Zugeständnisse an den Besitzer gemacht: 40 statt 38 Stunden pro Woche arbeiten die Mitarbeiter seit über 20 Jahren und sie waren Strasser zufolge auch extrem flexibel, wenn neue Großaufträge reinkamen. „Dass all das nichts genützt hat, ist natürlich frustrierend“, sagt Strasser. 

Dabei hätte es durchaus Konzepte für die Zukunft eines Werkes in Merzig gegeben: Umstellung auf Wasserstoff oder eine neue Produktpalette mit höheren Margen seien nur einige der Bausteine gewesen. „Aber das wollte offenbar niemand. Denn dafür hätte es Investitionen gebraucht und der türkische Besitzer hat an diesem Standort seit Jahren nicht mehr richtig investiert“, wirft Strasser dem Besitzer vor. Auch empfindet er die angeführten Gründe weniger als externe Schocks, sondern hausgemacht – beispielsweise beim Gas. Hier hätte sich die Firma frühzeitig mit langen Lieferverträgen absichern müssen, meint Strasser. „Dass das nicht getan wurde, ist einfach schlechtes Management.“

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Strasser und seine Kollegen stellen sich nun auf eine heiße Diskussion ein. Denn offiziell will V&B Fliesen das Werk bereits in diesem Jahr schließen, der Standortsicherungsvertrag läuft aber noch bis zum März 2023. Strasser zufolge könnten erst dann auch Kündigungen ausgesprochen werden und vorher müsse V&B Fliesen die Mitarbeiter bezahlen. „Darauf werden wir pochen“, sagt er.

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