Missglückte Nachfolge Der tiefe Fall des Rollstuhlgiganten Meyra

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Auf Lieferungen musste man wochenlang warten

Zugleich verliert Meyra sein Gesicht im Markt. "Der alte Herr Meyer hat sich noch drei Mal im Jahr bei mir gemeldet. Die neuen Geschäftsführer haben das nicht mehr gemacht", berichtet Richard Kollisch, Chef des Reha Vital Verbundes, eines der größten Kunden des Unternehmens. Stattdessen fällt der einstige Marktführer immer häufiger wegen Qualitäts- und Lieferproblemen negativ auf. "Wo die Konkurrenz ihre Rollstühle in zwei Tagen ausgeliefert hat, musste man bei Meyra wochenlang warten", sagt Kollisch.

Schuld war krasses Missmanagement. Meyra suchte sich falsche Partner in China. Zudem hatte der Sohn des Gründers den Rollstuhlhersteller zu einem komplizierten Geflecht aus Produktions- und Vertriebsgesellschaften aufgebaut. Insolvenzverwalter Hans-Peter Burghardt, der seit März dieses Jahres über das Unternehmen wacht, brauchte nach eigenen Angaben Wochen, um alle
Verflechtungen zu durchschauen. Und das bei einem Unternehmen, dessen Jahresumsatz seit 2008 deutlich unter 100 Millionen Euro liegt. "So etwas habe ich noch nie gesehen", sagt Burghardt. "Die waren nur mit sich selbst beschäftigt."

Zweistelliger Millionenbetrag

Dass es auch anders gegangen wäre, zeigt Topro. Der norwegische Rollator-Hersteller hat aus biederen Gehwagen für Senioren ein Lifestyleprodukt gemacht, das ­gutes Geld bringt. Mehr als 350 000 Rollatoren haben die Skandinavier in Deutschland bisher verkauft. Stückpreis: bis zu 470 Euro. "Wir wachsen jedes Jahr zweistellig", sagt Deutschland-Chef Thomas Appel.

Der neue Meyra-Eigentümer – vermutlich aus Polen – wird vom Versagen der Meyers nichts mitbekommen. Er erwirbt nur die Maschinen, Gebäude und Produktionsmittel – nicht aber die Schulden. Die offenen Rechnungen summieren sich auf einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag. Gläubiger sind je zur Hälfte Lieferanten und die drei Banken HSH Nordbank, IKB und Commerzbank.

Den restlichen Meyra-Mitarbeitern bleiben nur die Erinnerungen an die guten ­alten Zeiten – und die Hoffnung, dass der neue Investor den Hochlohn-Standort in Ostwestfalen nicht irgendwann dichtmacht. "Unsere Produkte unterscheiden sich. Und im Osten steht made in Germany immer hoch im Kurs", sagt ein Meyra-Mitarbeiter. Die heile Welt von früher wird
dadurch aber nicht mehr nach Kalletal-Kalldorf zurückkehren.

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