Tatsächlich ließ sich bis weit in die Neunzigerjahre in Deutschland mit Rollstühlen und Gehwagen traumhaft Marge erzielen. Für einen einfachen Rollstuhl zahlten die gesetzlichen Krankenkassen umgerechnet bis zu 800 Euro. Einen großen Teil sackte zwar der Sanitätshändler ein, aber 40 Prozent blieben den Herstellern wie Meyra. Als die Kassen Rabatte forderten, erfüllten die Unternehmen ihnen den Wunsch und erhöhten einfach ihre Listenpreise.
Doch lange konnte das nicht gut gehen. "Die Kassen zahlen inzwischen nur noch Fallpauschalen. Und die Leistungen sind in den vergangenen Jahren immer weiter zurückgegangen", sagt Jan Wolter vom Branchenverband Spectaris. Der einst 800 Euro teure Rollstuhl kommt heute aus China und kostet unter 80 Euro. "Mit Standardprodukten lässt sich kein Geld mehr verdienen", sagt Wolter. "Wer sich aber im Hochpreissegment etabliert hat, erzielt noch immer eine vernünftige Marge."
Genau dieser Erkenntnis aber verweigerte sich Gründer Meyer. Statt sich ganz auf neue, innovative Produkte zu konzentrieren, spielt er den Konsolidierer und Marktmacher. 1993 übernimmt er den Kieler Wettbewerber Ortopedia. Nach Einschätzung langjähriger Führungskräfte will Meyer damit amerikanischen Konzernen wie Sunrise Medical oder Invacare zuvorkommen, um deren Eintritt in den deutschen Markt zu verhindern.
Der Anfang vom Ende
Doch die Abwehrstrategie kommt den Mittelständler teuer, zu teuer. Statt zusammenzuarbeiten, machen sich Meyra und Ortopedia sogar Konkurrenz und verderben damit die Preise. Die Kaufsumme von umgerechnet fast 27 Millionen Euro belastet noch heute die Meyra-Bilanz. Die Übernahme leitet, wie sich bald herausstellt, den Anfang vom Ende der Traditionsmarke aus Ostwestfalen ein.
Viele Mitarbeiter ahnen davon nichts. Sie bewundern den Seniorchef ungebrochen, wie er noch mit 91 Jahren als Erster in die Firma kommt, obwohl auf dem Papier schon der Sohn das Sagen hat. Der Alte schreitet jeden Morgen durch die Hallen und spricht mit den Leuten. Dabei wird vergessen, dass der Sohn und Nachfolger über dem Ruhm des Vaters selber in die Jahre kommt. Als Meyer 2000 stirbt, ist Wilhelm junior bereits über 60. Nur sechs Jahre später stirbt auch er. Von heute auf morgen erbt Enkel Frank im Alter von 36 die Mehrheit am Unternehmen und wird geschäftsführender Gesellschafter.
Doch der neue Chef, berichten Wegbegleiter, ist kein Unternehmertyp. Es liegt ihm nicht, unbequeme Entscheidungen zu treffen. Den vier älteren Kollegen in der Geschäftsführung sei er unterlegen gewesen. Er selbst sagt, man habe sich gut verstanden, sich aber mit Entscheidungen schwergetan. 2010 erkrankt Frank Meyer schwer. Das bekommt dem Unternehmen schlecht. "Niemand sprach mehr miteinander", erinnert sich ein langjähriger Mitarbeiter aus dem Vertrieb.