Mittelstand Industriekonzern Zollern: Adel verpflichtet

Karl Friedrich von Hohenzollern-Sigmaringen beweist mit dem Industriekonzern Zollern, dass der Hochadel mehr kann, als nur gepflegt zur Jagd zu gehen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Karl Friedrich von Hohenzollern-Sigmaringen: Kleiner, feiner Global Player Quelle: Martin Wagenhahn für WirtschaftsWoche

Gewiss, der Herr ist gut erzogen. Doch selbst ihm fällt es schwer, in diesem Moment diesen ganz speziellen Habitus zu zügeln, eine aristokratische Langeweile, die seine Sätze dehnt, als stünden sie stellvertretend für den langen Atem der fast 1000 Jahre alten Familiengeschichte: „Heuschrecken“, spricht der Erbprinz, „werden ja nur bis zu zehn Wochen alt. Sie können uns nichts anhaben.“ Seine Durchlaucht Karl Friedrich Erbprinz von Hohenzollern-Sigmaringen – Spross aus dem fürstlichen, schwäbischen Familienzweig – fasst seinen Widerwillen gegen kurzfristiges Gewinnstreben in beinahe verächtliche Worte.

Dabei versteht er sich selbst ganz gut aufs Geld verdienen: Nach einigen zähen Jahren hat er die Zollern-Gruppe auf die Erfolgsspur zurückgeführt. Er sorgte maßgeblich dafür, dass sich der Umsatz des Industrieunternehmens in den vergangenen 15 Jahren nach seinen Angaben auf heute mehr als 530 Millionen Euro verfünffacht hat, die Zahl der Mitarbeiter von 1200 auf fast 3000 gestiegen ist und die Blaublüter-Truppe heute auch mithilfe von Zukäufen als kleiner, feiner Global Player mit 17 Ablegern in Europa, Amerika und Asien aktiv ist. Ein 100 Millionen Euro schweres Investitionsprogramm hat sich das Unternehmen genehmigt, mit dem es die 600-Millionen-Euro-Umsatzschwelle knacken will.

Wie das gehen soll? Der Prinz – gekleidet im smarten Business-Outfit und nicht wie sonst bei Fürstens üblich, als habe er den gesamten Frankonia-Jagdbekleidungskatalog durchgebucht – bittet mit lockerer Handbewegung in den Salon seiner Burg Sigmaringen, ruft den Butler in schlosstauglicher Tonstärke herbei und blättert mit einer Tasse Tee in der Hand durch die Charts seines Industriereiches. Das ruht auf fünf Säulen: Stahlprofile, Gießereitechnik, Antriebstechnik, Maschinenbauelemente und Gleitlagertechnik, mit denen er allein im vergangenen Jahr ein steiles Wachstum von 25 Prozent und einen Gewinn von 33 Millionen Euro erwirtschaftete.

Vermögen wird auf 500 Millionen Euro geschätzt

Karl Friedrich ist Beiratsvorsitzender der Zollern-Gruppe und zugleich Generalbevollmächtigter der Unternehmensgruppe Fürst von Hohenzollern, die auch noch den Waldbesitz – den nach derer von Fürstenberg sowie derer von Thurn und Taxis drittgrößten in Deutschland – sowie das Immobilienvermögen der Familie verwaltet. Insgesamt wird das Vermögen des Sigmaringer Zweiges derer von Hohenzollern auf 500 Millionen Euro geschätzt.

Über die steigenden Gewinne redet der Erbprinz nicht, dafür umso ausführlicher über die Geschichte seines schwerindustriellen Familienbetriebs, der so gar nicht zum abgehobenen Bild des Hochadels passen will: „Die Urzelle von Zollern war eine Eisenhütte.“ Die Stahlschmelze, die 1708 den Betrieb aufnahm, ist seit 1878 stillgelegt. Sie ist im Werk Laucherthal, fünf Minuten Autofahrt von Sigmaringen entfernt, zu einer Art Museum ausgebaut, in dem Kunden bei Empfängen stilecht zu einem Glas Champagner gebeten werden. Seine Geschäfte macht das in einen Konzern aufgefächerte Zollern-Unternehmen mittlerweile nur noch mit Stahl- und Gießereiprodukten, die in unterschiedlichen Geschäften „als Spezialitäten“ angeboten werden, sagt der Fürst.

Etwa in der Automobilindustrie. Zollern baut Teile, vor allem Turboladerräder – das sind Drehteile von Abgasturbinen, die die Leistung von Motoren erhöhen. Zollern liefert diese Räder an den US-Turboladerhersteller Borg Warner, der wiederum für den feinen deutschen Autobauer Porsche produziert. Zollern-Teile stecken auch in MAN-Lastern – Turbo made by Erbprinz. Auch für andere Automobilzulieferer fertigt Zollern. Für diese Spezialität hat Zollern – als Zulieferer von Zulieferern – einen Marktanteil von 50 Prozent, in Europa.

Bei Zollern zog in den vergangenen Jahren nicht nur das Turboladergeschäft mächtig an, auch als Gleitlagerhersteller hat der Erbprinz einen europäischen Marktanteil von 50 Prozent erobert, im Spezialsegment der Lager für Zwei-Takt-Schiffsdieselmotoren der Marke MAN, deren Motoren weltweit jedes zweite Schiff antreiben.

Schließlich mischt Zollern auch in der Energietechnik mit. Das Unternehmen produziert Getriebe für Windkrafträder und zählt alle großen Windflügelhersteller zu seinen Kunden. Außerdem fertigt Zollern Präzisionsgetriebe, die speziell in Apparate der Satellitentechnik eingebaut werden – hier bestreitet der Erbprinz einen Weltmarktanteil von 20 Prozent. Das Imperium stützt sich auf Solides.

Es könnte wirklich alles so eindrucksvoll sein, wäre da nicht eine kleine Peinlichkeit im Portfolio verborgen – das Geschäftsfeld Aerospace, das mit einem Umsatz von zehn Millionen Euro gerade mal mickrige zwei Prozent Weltmarktanteil für Flugzeugausrüstung erringt. Die kommen auch dem Fürsten „ausbaufähig“ vor. Eine emphatischere Aussage will ihm unangemessen erscheinen – und erst recht, womit er diese zwei Prozent zurzeit erwirtschaftet.

So liefert Zollern für verschiedene Airbus-Modelle die Pumpe der Bordtoilette, die aufgrund der Gewichtsanforderungen notgedrungen nicht viel wiegen darf, gerade mal 150 Gramm – „lachen Sie nicht!“, sagt da der Prinz. Zum Glück fertigt das fürstliche Unternehmen jedoch nicht nur das Abort-Equipment, sondern auch Gehäuse für Airbus-Bordcomputer und Teile für Landeklappen – dieses Geschäft mit dem deutsch-französischen Konzern EADS will Karl Friedrich kräftig ausbauen. Das Aerospace-Programm soll aus seinem Zwei-Prozent-Erker herausbugsiert werden. Aerospace-Programm – klingt ja auch besser als Klo-Pumpe.

Auch im edlen Porsche stecken Quelle: dpa

Mag der Fürst bei Zollern allgegenwärtig wirken, regiert er doch nicht allein. Die Königsdisziplinen der Antriebs- und Fördertechnik werden mit bürgerlicher Hilfe nach vorn getrieben, wenn auch entschieden großbürgerlicher. Der Multi-Unternehmer Adolf Merckle (unter anderem Ratiopharm, Arzneigroßhandel Phoenix) ist seit 1989 mit 50 Prozent an der Zollern-Holding beteiligt. Dem offiziell einflusslosen – tatsächlich strategisch dominierenden – Zollern-Beirat, dem der Erbprinz vorsitzt, gehört Merckles ältester Sohn Ludwig an; es ist ein offenes Geheimnis, dass Merckle Zollern gern vollständig übernehmen möchte – allein, beim Erbprinzen stößt er auf Granit. Stattdessen sinnt der wohl selbst darüber nach, den Merckle-Anteil zurückzukaufen. So treiben sie die Gruppe gemeinsam voran – das im vergangenen Jahr verabschiedete Investitionsprogramm in Höhe von 100 Millionen Euro wäre ohne Kapitalkraft von Merckle kaum zu stemmen gewesen.

Die Idee, den umtriebigen Unternehmer an Bord zu holen, hatte noch Karl Friedrichs Vater Friedrich Wilhelm. Die Gruppe brauchte einen kapitalstarken Partner. Die Banken pochten darauf. Vorher waren die Geschäfte des Hauses eher märchenhaft von einer „Fürstlich-Hohenzollerschen Hüttenverwaltung“ besorgt worden und von eher wechselhaftem Erfolg gekrönt. Über allen Aktivitäten – inklusive der Verwaltung des riesigen, 15.000 Hektar umfassenden Waldbesitzes – wachte damals noch ein leibhaftiger „Hofkammerpräsident“. Den schaffte der Erbprinz ab. Der mittlerweile 56-jährige Diplomkaufmann – der eigentlich Ingenieur werden wollte, dann aber in Fribourg auf Wirtschaft studierte und sein Zahlengedächtnis bei Banken, auch drei Jahre in New York, schärfte – übernahm 1987 das Erbe seines Vaters, krempelte das archaische Unternehmen um und begann, zusammen mit den Merckles ein profitables Unternehmen zu schmieden.

Unternehmen "gut in die nächsten Jahrhunderte führen"

Kann es Schöneres geben, als nach dem Kaffee im Burgsalon von hohen Zinnen hinabzusteigen, sich einen Wagen aus dem Fuhrpark zu schnappen – einen BMW oder einen Porsche 911, Baujahr 1973 – und ins Werk Laucherthal zu preschen, um nach dem Rechten zu sehen?

Wenn es im BMW durch das sonnige Sigmaringen geht, hin zum Stammwerk – entlang der Donau, vorbei an Siedlungen der Zollern-Beschäftigten und der früheren Residenz der Bergwerkdirektoren —, dann legt der Fürst eine DVD von „Charly and the Jivemates“ ein. Dort singt eine rauchige Stimme Balladen, begleitet von einem Saxophonisten: Es ist der Erbprinz selbst, der einst die Jazzhochschule in Bern besuchte und heute noch gern zum Sax greift. Wenn er nicht gerade im Maschinenbaugeschäft mitmischt, tritt er mit seiner Band auf, im von vulgären Ausschweifungen weitgehend freien Nachtleben von Stuttgart. Gelegentlich tutet er bei Stadtfesten von Sigmaringen mit, das ist dann eine Sensation für die Einheimischen, die sich immer wieder ungläubig fragen: Wohnt er tatsächlich da oben auf der Burg? Ja, lautet die Antwort, und das eigentlich schon immer. Schon seine Mutter hat ihn von droben als kleinen Jungen mittags zum Essen gerufen.

Mittlerweile lebt Karl Friedrich mutterseelenallein auf Burg Sigmaringen, von Frau und Kindern getrennt – um ihn herum neben alten Gemälden nur alte Saxophone, Charts der Firma und die Zugluft des Schlosses. Wenn der norddeutsche Butler mit dem aufgewärmten Abendessen über den roten Teppich der Fürstenwohnung eilt, blickt der Prinz zufrieden auf das Erreichte und prophezeit: „Die Hohenzollern wachsen.“ Soll keiner glauben, dass das Fürstengeschlecht und seine Firma zum alten Eisen gehören.

Und wenn Seine Durchlaucht einen Blick in die Zukunft richtet, dann nicht wie ein als Heuschrecke geschmähter Finanzinvestor auf das nächste oder übernächste Nahziel, ein Quartal vielleicht oder zwei, sondern weit darüber hinaus: „Wir achten darauf, dass wir dieses Unternehmen gut in die nächsten Jahrhunderte führen.“ Darunter macht es ein Hohenzollern nicht.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%