Movinga-Chef Finn Hänsel „Wir sind zu schnell gewachsen“

Vom gefeierten Start-up zum Problemfall: Die Umzugs-Plattform Movinga hat ein Drittel der Mitarbeiter entlassen. Der neue Geschäftsführer Finn Hänsel erklärt im Interview, wie sich die Firma in Zukunft aufstellen will.

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Jochen Cassel, Finn Hänsel, Christoph Müller-Guntrum (von links) sollen das Unternehmen wieder auf Kurs bringen. Quelle: Movinga

Bis vor kurzem galt die Umzugs-Plattform Movinga in Berlin als Vorzeige-Start-up. Große Investoren wie Rocket Internet beteiligten sich. Dann kam der tiefe Fall: Es wurden Märkte zugemacht und ein Drittel der Mitarbeiter entlassen. Die Gründer gingen. Der neue Geschäftsführer Finn Hänsel erklärt, wie es dazu kommen konnte - und wie sich die Firma in Zukunft aufstellen will.

Herr Hänsel, zuletzt lief es nicht so gut bei Movinga. Im Juni haben Sie 180 Leute entlassen, und Ihre Gründer gleich mit.
Da muss ich etwas klarstellen: Die Gründer haben die Firma auf eigenen Wunsch und im besten gegenseitigen Einvernehmen verlassen. Es stimmt aber leider, dass wir uns von knapp 120 Mitarbeitern trennen mussten, da wir zwei Länder geschlossen haben. Mit Praktikanten und freien Mitarbeitern waren es sogar noch etwas mehr. Das ist uns nicht leicht gefallen.

Wie kam es überhaupt dazu? Im Januar stand Movinga noch ziemlich gut da. Sie hatten gerade ein Investment von rund 20 Millionen Euro bekommen. Aber im Juni brauchten Sie schon wieder neues Geld.
Wir haben viel Geld in Wachstum investiert, und wir sind ja auch sehr stark gewachsen. Rückblickend betrachtet muss man vielleicht sagen: Zu schnell. Movinga wurde ja erst Anfang 2015 gegründet, im Juni dieses Jahres waren wir knapp 500 Leute und aktiv in sieben Ländern. Bei diesem Tempo ist die Firma mit der Skalierung einiger wichtiger Prozesse nicht hinterhergekommen.

Was für Prozesse?
Die Buchhaltung, um nur ein Beispiel zu nennen. Nach einem Umzug mussten wir das Unternehmen, das ihn durchgeführt hat, bezahlen und dem Kunden eine Rechnung schicken. Als es immer mehr Umzüge wurden, kamen wir da nicht so schnell hinterher. Das hat dazu geführt, dass unsere Außenstände zwischenzeitlich unverhältnismäßig hoch waren.

Die Kunden sollen auch nicht so zufrieden gewesen sein, es gibt jede Menge schlechter Bewertungen im Internet.
Die übergroße Mehrzahl unserer Kunden ist sehr zufrieden. Aber die Menschen schreiben schneller eine Bewertung, wenn sie sich über etwas aufregen. Bei einem Umzug stehen die meisten Leute sowieso unter Stress. Wenn dann noch etwas schiefgeht, jemand zu spät kommt, oder etwas kaputtgeht, reagiert man darauf – verständlicherweise – auch mal sehr emotional. Natürlich ist es unser Ziel, dass jeder unserer Kunden mit uns zufrieden ist. Daran arbeiten wir jetzt noch einmal deutlich konsequenter als bisher.

Wie konnte denn so viel schiefgehen?
Auch das hat mit typischen Kinderkrankheiten eines Start-Ups zu tun. Wenn man von null anfängt, kann man noch nicht wissen, welche Partner zuverlässig sind und welche nicht. Wir hatten sehr schnell eine sehr hohe Nachfrage und mussten entsprechend viele Unternehmer gewinnen, für ein Start-up zu arbeiten, dass erst ganz neu am Markt war. Inzwischen arbeiten wir ausschließlich mit Partnern zusammen, mit denen wir positive Erfahrungen gemacht haben.

Viele Umzugsunternehmer lehnen es aber auch ab, mit Movinga zusammenarbeiten. Der Verband der Möbelspediteure hat öffentlich beklagt, dass Sie die Preise, die Sie den Spediteuren zahlen, zu niedrig sind. Welchen Anteil an einem Auftrag behalten Sie denn ein?
Unser Anteil ist sehr fair kalkuliert. Setzen unsere Partner die Einsparungen bei Transaktions- und Marketingkosten sowie ihre gesteigerte Auslastung in Relation, ist Movinga ein richtig gutes Geschäft für sie. Movinga ist nicht disruptiv im destruktiven Sinne, sondern will die Win-Win-Win-Situation. Wir eröffnen den mittelständischen Speditionen die Chancen der Digitalisierung. Es ist daher auch toll zu sehen, wie viele unserer zufriedenen Partner gemeinsam mit uns wachsen.


„Wir haben sogar schon wieder neue Leute eingestellt“

Ein Uber für Umzüge?
Wir sind kein Uber. Man kann uns eher mit Flixbus vergleichen: Die Busbranche hat ihre Gewinne erhöht, seit Flixbus ihnen eine höhere Auslastung und ein besseres Marketing garantiert. MyTaxi ist ein ähnliches Beispiel, welches auf eine existierende Taxi Infrastruktur aufsetzt, diese jedoch besser auslastet und digitalisiert. Wir wollen ein solcher Partner für die mittelständischen Umzugsunternehmen sein, der ihnen dabei hilft, digitale Strategien für ihr Geschäft zu nutzen. Das war die Grundidee von Movinga. Die ist gut, das möchten wir der Branche gern beweisen.

Was genau ist eigentlich so digital an Movinga? Die meisten Aufträge rekrutieren Sie doch ganz klassisch per Telefonakquise.
Wir haben mehrere Verkaufs-Kanäle. Zu Anfang haben wir tatsächlich viel über Telefon akquiriert, inzwischen bucht ein großer Teil unserer Kunden direkt über die Webseite. Langfristig wollen wir die Prozesse so digitalisieren, dass die eingehenden Aufträge komplett automatisch mit den Routen und den Kapazitäten der Spediteure abgeglichen werden. Das spart allen Seiten Aufwand. Außerdem haben wir ein professionelles Online-Marketing-System. Unsere Leute haben in erfolgreichen Start-ups gearbeitet und gelernt. So viel Fachwissen kann sich ein einzelnes Umzugsunternehmen nur sehr schwierig aneignen. In die Technik wollen wir noch viel investieren. Dafür haben wir sogar schon wieder neue Leute eingestellt.

Global wollte Movinga auch sein. Im Januar war noch von einer baldigen Expansion in die USA die Rede. Bis auf Deutschland, Österreich, Schweiz und Frankreich haben Sie alle Märkte wieder geschlossen.
Unsere Plattformen in Italien, Großbritannien und Irland haben wir vorerst heruntergefahren, ja. Wir wollen uns jetzt lieber erst mal ganz auf die Prozesse in unseren Kernländern konzentrieren. Das ist auch der Grund, warum Mitarbeiter gegangen sind. Die Entscheidung ist uns - wie gesagt - überhaupt nicht leichtgefallen. Wir haben viel unternommen, um die Leute direkt an andere Start-ups zu vermitteln. Sie haben ja einen guten Job gemacht.

Sie selbst haben schon im vergangenen November bei Movinga angefangen, damals noch als Mitgeschäftsführer der beiden Gründer, Bastian Knutzen und Chris Maslowski. Wieso haben Sie nicht früher begonnen, gegenzusteuern?
Ohne Bastian Knutzen und Chris Maslowski wäre die Firma heute nicht da, wo sie ist. Als Gründer muss man den Mut haben, viele Ideen ausprobieren, sonst kann man nicht wissen, ob sie funktionieren. Neue Märkte zum Beispiel, in Frankreich hat das für Movinga ja auch sehr gut funktioniert. Irgendwann muss man dann aber anfangen, die Prozesse zu professionalisieren. Das geht nicht von heute auf morgen. Und dafür muss man dann vielleicht auch wieder andere Eigenschaften und Erfahrungen mitbringen. Deshalb hatten die Investoren mich gebeten, diesen Prozess mit zu initiieren. Mit der großen Expertise im neuen Management-Team sind wir nun hervorragend aufgestellt für die nächste Entwicklungsphase von Movinga. Wir werden erwachsen.

Die CDU verleiht Ihnen am Dienstag den deutschen Mittelstandspreis, für Ihren Verdienst um die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft. Was bedeutet soziale Marktwirtschaft für Sie?
Die Freiheit des Marktes hat ihre Grenzen da, wo die soziale Verantwortung beginnt. Die tragen in Deutschland vor allem die mittelständischen Unternehmen als Rückgrat der Wirtschaft. Umso wichtiger ist es, dass der deutsche Mittelstand die Chancen und Herausforderungen des digitalen Wandels erkennt.

Herr Hänsel, vielen Dank für das Interview.

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