Kontrollierte Arbeitszeit Warum ausgerechnet junge Firmen auf die Stechuhr setzen

Manche haben die Arbeitszeiterfassung abgeschafft in anderen, jungen Unternehmen gehört die Stechuhr dazu um Überstunden zu vermeiden und Selbstkontrolle zu fördern. Quelle: dpa

Alle Unternehmen sollen verpflichtet werden, die Arbeitszeit ihrer Beschäftigten zu erfassen. Kritiker halten das für eine veraltete Idee. Dabei setzen ausgerechnet junge Unternehmen schon jetzt auf die Stechuhr.

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Als der Europäische Gerichtshof (EuGH) jüngst die Arbeitszeiterfassung zur Pflicht erhob, ging ein Aufschrei durch die Unternehmenswelt. „Das Urteil ist eine Zeitreise in die Vergangenheit“, urteilte der Verband der Familienunternehmer. „Wir Arbeitgeber sind gegen die generelle Wiedereinführung der Stechuhr im 21. Jahrhundert“, hieß es von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. Und der Arbeitgeberverband Gesamtmetall kritisierte: „Mit dem heutigen Urteil und der daraus folgenden Aufzeichnungspflicht ist beispielsweise die Vertrauensarbeitszeit praktisch tot.“

Junge Firmen hingegen haben schon an der Uhr gedreht. Das Düsseldorfer Telekomunternehmen Sipgate führte schon 2007 – drei Jahre nach seiner Gründung – die Stechuhr wieder ein. Überstunden sind nicht gern gesehen in der kleinen Firma mit 170 Mitarbeitern. „Es geht nicht um Überwachung, sondern um Selbstkontrolle“, erklärt eine Sprecherin. Der fixe Feierabend nehme viel sozialen Druck. Wer dennoch Überstunden schiebt, wird vom System automatisch daran erinnert, die auch abzubauen.

Lasse Rheingans, Chef einer Bielefelder Digitalagentur, ging noch weiter. Als er 2017 Digital Enablers einstieg, führte er den Fünf-Stunden-Tag ein – aus Erfahrung: „Ich habe zu viele Leute umfallen sehen in diesem Agenturbusiness“, sagt er. „Acht-Stunden-Tage sind in Wissensjobs doch höchstens zwei, drei Mal die Woche wirklich möglich“ sagt er und schiebt hinterher: „Ich bin ein Pragmatiker – ich will nicht, dass die Leute ihre Zeit absitzen, obwohl sie nicht mehr können oder mit ihren Tageszielen schon lange fertig sind.“

Er kürzte die Arbeitszeit auf fünf Stunden bei vollem Gehalt und vollem Urlaubsanspruch. Wochenziele müssen nun erreicht werden. Um die Arbeit zu schaffen, versuchen die Mitarbeiter jede Ablenkung zu vermeiden. „Bei fünf Stunden hat man keinen Puffer“, sagt Rheingans. „Meine Leute treffen sich jetzt nach dem Arbeitstag um 13 Uhr zum gemeinsamen Mittagessen, um aus sich heraus das Soziale nachzuholen.“

Doch er gibt auch zu: „Bei manchen klappt der 5-Stunden-Tag besser, bei manchen schlechter.“ In Bereichen, wo die Arbeit schlecht planbar ist wie der Projektarbeit, hätten seine Leute natürlich größere Probleme, mittags fertig zu sein. Die freie Zeit schaffe aber viel mehr Raum für Kreativität, ist Rheingans' Erfahrung. „Ich habe festgestellt, dass die Leute um 13 Uhr ohne eine zündende Idee gehen und dann am nächsten Tag mit der besten Idee wiederkommen.“

Frank Brenscheidt von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin sieht den Fünf-Stunden-Tag kritisch: „Da muss es ja zwangsläufig zu Arbeitsverdichtung kommen und die Arbeitnehmer nehmen ein ganz großes Paket mit nach Hause – wie kann ich meine Arbeit so organisieren und optimieren, das ich das in den 5 Stunden schaffe“, sagt er. „Die können dann schlechter abschalten und sich erholen.“ Er räumt aber auch ein: Mit der Länge der Arbeitszeit nehme die Leistungsfähigkeit ab. Ein Grund, so Brenscheidt, warum der Acht-Stunden-Tag eingeführt wurde.

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Dabei sehnen sich nicht alle Menschen nach Freiheit. Manche wünschen sich durchaus die Struktur fester Arbeitszeiten, wie man beim Outdoor-Ausrüster Vaude festgestellt hat. Als Firmenerbin Antje von Dewitz vor zehn Jahren das Ruder übernahm, begann man die Stempeluhr abzuschaffen und Vertrauensarbeitszeit einzuführen. „Wir haben Schritt für Schritt umgestellt gegen große Widerstände“, sagt Personalleiterin Miriam Schilling. „Die Menschen geben Sicherheit ab: Sie müssen sich selbst fragen, habe ich genug geleistet und Verantwortung übernehmen.“ Das sei nicht jedermanns Sache. Aber auch den Führungskräften werde einiges abverlangt. Sie müssten nicht nur vertrauen können, sondern dann auch mal wieder durchgreifen. Schilling selbst musste eine Mitarbeiterin ermahnen, die regelmäßig zu viel arbeitete.

Dabei zeigen Studien durchaus einen positiven Einfluss von Vertrauensarbeitszeit. Wer Einfluss auf Arbeitszeit und Arbeitsort nehmen kann, ist allgemein zufriedener mit seiner Arbeit, schreibt Yvonne Lott von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung in einem Aufsatz. Vertrauensarbeitszeit alleine sei aber nicht die Lösung. „Wenn nur eine leistungsorientierte Management-Strategie dahinter steckt, bewirkt sie das Gegenteil“, sagt sie. Dass Vertrauensarbeitszeit und Arbeitszeiterfassung sich ausschließen, wie viele nach dem EuGH-Urteil befürchten, hält sie aber für einen Trugschluss. „Nur so hat man auch die Kontrolle über seine Stunden.“

Sollte das Urteil des EuGH umgesetzt werden, würde das bei Vaude erneut einen großen Umbruch bedeuten. Denn die Arbeitszeit werde dann ja nicht nur erfasst, sagt Schilling. Führungskräfte und Personalabteilung müssten auch wieder kontrollieren, dass sich alles im gesetzlichen Rahmen bewegt. Ob das gut, ist, stellt Schilling infrage. „Das geht entgegen dem Trend und der Kultur die wir haben“, sagt sie.

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