Schmähpreis Plagiarius Warum deutsche Produkte so oft gefälscht werden

Große Massen an billigen Kopien aus Asien überschwemmen den europäischen Markt. Mittelständler kommen oft nur schwer dagegen an.

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Design und Technik wurden 1:1 vom Original übernommen. Die billigen Materialen (Gehäuse, Räder, Lenkrad) und schlechte Verarbeitung (Oberflächen) spiegeln die minderwertige Qualität wider. Quelle: Aktion Plagiarius

Düsseldorf Das rote Rutschauto „Puky Racer“ erfreut sich großer Beliebtheit – nicht nur bei Kleinkindern, sondern auch bei chinesischen Produktfälschern. Auf Onlineshops wie Alibaba wird das Plagiat günstig angeboten. Das Dreiste: Design und Technik wurden eins zu eins vom Original übernommen. Allerdings wurden minderwertige Materialien verwendet – und dann auch noch schlecht verarbeitet. Der Puky Racer wurde beim Plagiarius-Wettbewerbs 2018 als dreiste Fälschung ausgezeichnet. Der Schmähpreis – ein Zwerg mit goldener Nase - wurde zum 42. Mal von der Aktion Plagiarius vergeben.

„Regelmäßig tauchen Teil- oder Komplettfälschungen unserer Produkte auf“, klagt Joachim Rao, Leiter Produktmanagement von Puky in Wülfrath. In China gelten Puky-Produkte als Statussymbole. Eine zunehmende chinesische Mittel- und Oberschicht ist immer öfter bereit, für das Original „Made in Germany“ entsprechend zu zahlen, so Rao. Andere ziehen günstige Imitate vor.

Gegen die große Masse an billigen Kopien aus Asien anzukommen ist für einen europäischen Mittelständler wie Puky sehr aufwendig. „Das kostet viel Zeit, Geld und Nerven“, sagt Rao. Sei man erfolgreich gegen eine Kopie vorgegangen, tauche diese oftmals kurz darauf wieder im Markt auf. „Das fühlt sich bisweilen an wie ein Kampf gegen Windmühlen. Nichtsdestoweniger gehen wir zum Schutz unserer Konsumenten konsequent gegen jedes Plagiat vor.“ Auch als ein ganzer Spielpark in Deutschland unter dem Namen „Puky“ eröffnen wollte.

Produkt- und Markenpiraterie wird oft als harmloses Kavaliersdelikt abgetan. So mancher mag sich vom Urlaub aus dem Süden eine vermeintlich günstige Gucci-Handtasche oder Rolex-Uhr als Souvenir vom Wochenmarkt mitgebracht haben. Was sich die wenigsten klarmachen: Hinter den Fälscherbanden steckt eine knallharte Industrie, die zum Teil Strukturen aus Drogen-, Waffen- und Menschenhandel nutzt.

„In Zeiten von Globalisierung und digitaler Kommunikation haben sich Kriminelle zu weltweiten Netzwerken zusammengeschlossen, die projektbezogen und flexibel agieren“, so Aliki Busse, Fachanwältin für gewerblichen Rechtsschutz, die die Aktion Plagiarius berät. „Sie schmücken sich ohne Skrupel mit fremden Federn und produzieren überwiegend unter menschenverachtenden Arbeitsbedingungen.“

Das Geschäft ist äußerst lukrativ, die Margen sind meist gigantisch. Schließlich sparen sich die dreisten Kopisten die Ausgaben für Forschung, Entwicklung und Markenpflege. Allein 2016 beschlagnahmten die EU-Zollbehörden an den Außengrenzen 41 Millionen rechtsverletzende Produkte im Wert von 670 Millionen Euro. Was der Zoll aus dem Verkehr zieht, ist nur die Spitze des Eisbergs. Nach Schätzungen der OECD machten gefälschte oder plagiierte Produkte bis zu fünf Prozent der Importe in die EU aus, 2013 wären das 85 Milliarden Euro. Bis zu 2,5 Prozent des Welthandels sind von Fälschungen betroffen, das wären 461 Milliarden Dollar.

Markenpiraterie ist so alt wie die Geschichte der Marken selbst. Eines der ältesten Opfer von Markenfälschern ist das berühmte Eau de Cologne, Anfang des 18. Jahrhunderts vom Familienunternehmen Farina aus Köln kreiert. Die Farinas verkauften ihr Edelparfum mit der roten Tulpe als Markenzeichen an alle Höfen Europas. Mozart und Goethe waren Kunden wie auch Napoleon. Mit dem Erfolg kamen die Nachahmer.

„Unsere Firma hat mehr als 2000 Prozesse gegen 1200 Plagiate betrieben“, sagt Johann Maria Farina. Der Firmenchef in achter Generation hat selbst rund 100 Prozesse geführt. Den letzten gewann Farina 2006 vor dem Bundespatentgericht. „Am Eau de Cologne haben wahrscheinlich die Rechtsanwälte mehr verdient als wir“, scherzt er. „Die Familie Farina hat mit ihrem unermüdlichen Engagement dazu beigetragen, dass Warenzeichen registriert werden und Nachahmer leichter zur Rechenschaft gezogen werden“, sagt Christine Lacroix von der Aktion Plagiarius, die Farina-Imitaten eine ganze Ausstellung widmete.


Täter nutzen Anonymität des Internets

Gefälscht wird heute schlichtweg alles: von Mode über Haushaltswaren, Autofelgen über Motorsägen, Maschinen, Medizintechnik, Kosmetik, Spielzeug bis zu Medikamenten. Die Schäden für die Gesundheit können genauso schwer wiegen wie Imageschäden, die minderwertige Fake-Produkte beim Originalhersteller anrichten.

Aus zerbrechlichen Schneidklingen und Kunststoff mit schädlichen Substanzen besteht etwa die dreiste Kopie des Küchenschneidgeräts „Nicer Dicer Plus“. Die Fälschung belegte beim Negativpreis Plagiarius 2018 den ersten Platz. Das gefährliche Imitat stammt von der Pingyang County Leyi Gift Co. in Zhejiang, China. Der deutsche Originalhersteller Genius aus Limburg wird oft kopiert – die Fälschungen werden ganz ohne Skrupel auf Messen, Märkten, im Internet und per Katalog beworben.

Tatsache ist: Die meisten in der EU konfiszierten Fälschungen stammen aus China. Oft werden diese auch von ideenlosen Wettbewerbern oder ehemaligen Partnern in Industrieländern in Auftrag gegeben, so Anwältin Busse. Im Maschinenbau etwa ist etwa jede fünfte Fälschung ursprünglich made in Germany. In China ist das Unrechtsbewusstsein Fälschungen gegenüber inzwischen gestiegen, auch die Behörden verfolgen Produkt- und Markenfälscher heute – je nach Region – viel konsequenter als früher. Das berichten Mittelständler, die in China juristisch intervenieren.

Trotzdem haben es Markenpiraten immer noch sehr leicht, ihre Machenschaften in der Anonymität des Internets zu verschleiern. Massenweise Fälschungen werden über Online-Marktplätze wie Alibaba angeboten. Überwiegend sind es Drittanbieter, die flexibel ihre Identitäten wechseln, so dass die eigentlichen Hersteller nur schwer auszumachen sind. Die Aktion Plagiarius sieht die Betreiber der Plattformen in der Pflicht. „Technisch wäre das Aufspüren und Löschen von potenziell rechtswidrigen Angeboten heutzutage möglich“, betont Christine Lacroix. Doch verursache dies Kosten und schmälere die Einnahmen. Eine gesetzliche Verpflichtung zu mehr Verantwortung der Plattformbetreiber wäre wünschenswert.

So müssen die kopierten Hersteller überwiegend selbst aktiv werden. Am einfachsten sind Razzien des Zolls zu veranlassen, wenn etwa auf Messen in Deutschland dreiste Kopien auftauchen. Um die eigene Marke zu schützen, ist es wichtig, im Ursprungsland der Fälschungen juristisch aktiv zu werden. Schon für Konzerne ist das ein großer Aufwand – für kleine und mittelständische Firmen ein Kraftakt.

Puky appelliert deshalb verstärkt direkt an möglichen Käufer von Fälschungen. „Bei der Bekämpfung von Plagiaten werden andere, kostengünstiger Kanäle immer wichtiger: Wir warnen auf Social Media, in der Presse und im Internet die Verbraucher ganz gezielt vor Plagiaten“, sagt Joachim Rao, Leiter Produktmanagement bei Puky. So wird etwa vor kopierten Puky-Laufrädern aus ausländischen Online-Shops gewarnt. „Gegen Produktpiraten hilft letztlich nur Aufklärung.“

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