Ernst Prost ist bekannt als kümmernder Firmenpatriarch: So trat der Chef des Ulmer Mineralölspezialisten Liqui Moly in der Vergangenheit schon mehrfach in Werbespots und Anzeigen des eigenen Unternehmens auf und betonte dort unter anderem seine soziale Verantwortung als Unternehmer.
Aktuell hat sich seine Pose allerdings vom Sozialen ins Wütende gewandelt: „Ich habe mich in meinem ganzen Berufsleben noch nie so oft bei meinen Kunden entschuldigen müssen wie in den letzten sechs Monaten“, sagt Prost genervt. „Was wir zurzeit an Leistung abliefern, schmerzt mich zutiefst.“
Der Grund für die Wut des schwäbischen Mittelständlers mit 900 Mitarbeitern: Die Einführung einer neuen Unternehmenssoftware im Januar hat sich für Prost zu einer teuren und nervenaufreibenden Dauerbaustelle entwickelt. Liqui Moly verwendet die Software Dynamics AX vom amerikanischen Softwarekonzern Microsoft, wie das Unternehmen eigene Recherchen der WirtschaftsWoche bestätigt.
Eigentlich sollte die unternehmensweit eigeführte Software die internen Abläufe beschleunigen und Kosten senken – in der Realität ist aber genau das Gegenteil eingetroffen: „Wären wir börsennotiert, müsste ich eine Gewinnminderungswarnung herausgeben“, ärgert sich Prost.
Liqui Moly bietet insgesamt 4000 Mineralöl- und Additiv-Produkte an und vertreibt diese an Kunden vor allem im Handel. Das Unternehmen produziert seine Ware in eigenen Fertigungsstätten in Ulm und Saarlouis, liefert diese mittels zehn Logistiklagern aus und verkauft sie schließlich über vier internationale Tochtergesellschaften in den USA, Südafrika, Portugal in insgesamt mehr als120 Länder.
Die Dynamics-Software von Liqui Moly soll den Einkauf über die Produktion bis hin zu Versand und Rechnungsstellung durchgängig und unternehmensweit steuern. Doch all das funktioniert nur mangelhaft. Die Folge sind verspätete und unvollständige Lieferungen, teilweise verlassen Container das Unternehmen sogar nur halbvoll. Bis heute kann Liqui Moly seinen Auftragsbestand wegen der massiven IT-Probleme nicht vollständig abarbeiten.
All das hat Prost die Halbjahresbilanz gehörig verhagelt: So sank der Umsatz im Vergleich zum ersten Halbjahr 2018 um knapp ein Prozent auf 260 Millionen Euro – der Gewinn brach dagegen um satte 30 Prozent auf 11 Millionen Euro. Wie viel ihn das Software-Desaster bis heute gekostet hat, will Prost nicht verraten, aber immerhin so viel: „Zu den gewaltigen Kosten für die Softwareumstellung als solche kommen jeden Tag neue für Fehlersuche und Problembeseitigung.“
Branchenkenner schätzen, dass ein Mittelständler wie die Ulmer mit rund einer halben Milliarde Euro Jahresumsatz locker einen niedrigen zweistelligen Millionenbetrag für die Einführung einer Unternehmenssoftware hinblättern muss. Diese Kosten umfassen neben den Programmlizenzen auch die Ausgaben für den Einsatz von IT-Spezialisten zur Installation und Anpassung der Software und die Übertragung der Daten aus den Altsystemen
In den vergangenen Jahrzehnten hat Liqui Moly eine stark auf eigene Bedürfnisse zugeschnittene Software auf Basis des IBM-Großrechners AS400 genutzt. Das Problem: Derartige Altsysteme sind nicht flexibel genug für Neuerungen wie etwa die Vernetzung mit Kunden und Lieferanten über die Prozesskette hinweg. Zudem ist es zunehmend schwierig, noch geeignetes Personal für derart in die Jahre gekommene IT-Systeme zu finden.
Mit seinen aktuellen Problemen reiht sich Liqui Moly ein in eine ganze Schar von Unternehmen mit schwierigen bis hin zu komplett gefloppten IT-Großprojekten, angefangen bei Otto über Lidl bis hin zum Goldbärenhersteller Haribo – diese betrafen allerdings den deutschen Marktführer SAP.
Der Fall zeigt aber noch mehr: Liqui Moly hat erst jahrelang am selbstgestrickten Altsystem festgehalten hat – und ist dann von einem Tag auf den anderen komplett auf eine neue Software gewechselt. Damit hat das Unternehmen gleich gegen mehrere Regeln verstoßen, die IT-Experten für erfolgreiche Einführungsprojekte empfehlen: Bei der Software möglichst bei den Standardeinstellungen bleiben, nicht zu lange mit der Umstellung auf neuere Programme warten – und lieber auf mehrere Sprints statt einen großen Big-Bang setzen.
Aufgeben wie manche der unrühmlichen Vorbilder ist für Liqui-Moly-Chef Prost allerdings keine Option: „Ich hoffe, dass wir zusammen mit unseren Softwarehäusern die Computerprobleme spätestens bis zum Jahresende lösen werden.“