Selbstständigkeit „Der Mittelstand hat keine bedeutsame Lobby“

Friederike Welter Quelle: PR

Friederike Welter, Präsidentin des Instituts für Mittelstandsforschung in Bonn, über die sinkende Selbstständigenquote in Deutschland und die schwierige Kommunikation zwischen Mittelständlern und Politik.

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Frau Welter, die Anzahl der Selbstständigen in Deutschland ist 2018 das fünfte Mal in Folge zurückgegangen. Schwindet der deutsche Unternehmergeist?
Ich sehe das nicht ganz so kritisch. Es entwickeln sich neue Formen der Selbstständigkeit, wie zum Beispiel die Solo-Selbstständigkeit. Fachkräfte binden sich oft nur mehr für die Dauer eines bestimmten Projekts an ein Unternehmen und warten dann auf neue Aufträge. Mit klassischen Gründungen hat das wenig zu tun. Darüber hinaus ist der deutsche Arbeitsmarkt seit Jahren in einer außerordentlich robusten Verfassung. Fachkräfte sind heiß begehrt. Viele Absolventen entscheiden sich zunächst bewusst für eine Karriere im Unternehmen. Davon kann der Mittelstand nur profitieren.

Widerspricht das nicht dem Bild der freiheitsliebenden, jungen Generation, die Selbstbestimmung mehr schätzt als einen festen Job?
Das ist eine philosophische Frage, die ich nur aus meiner Erfahrung als Professorin an der Universität Siegen beantworten kann. Bei meinen Studenten glaube ich seit einigen Jahren ein aufstrebendes Sicherheitsdenken zu erkennen. Das hat viel damit zu tun, dass unsere Welt geopolitisch, aber auch gesellschaftlich und wirtschaftlich betrachtet unsicherer geworden ist. Es liegt wohl in der menschlichen Natur, sich in Krisenzeiten wenigstens im Kleinen etwas absichern zu wollen. Prinzipiell denke ich schon, dass die junge Generation freiheitsliebend ist. Nur muss diese Freiheit ja nicht unbedingt in die berufliche Selbstständigkeit münden.

Sondern?
Ich denke an Unternehmertum im Unternehmen. Freiheit kann auch im Unternehmen gelebt werden, indem man beispielsweise Prozesse hinterfragt oder neue Ideen einbringt. Unsere Forschung zeigt, dass es durchaus lohnenswert ist, wenn sich junge Leute zuerst in einem Betrieb beweisen, bevor sie selbst unternehmerisch tätig werden. In dieser Phase kann der Mittelstand ein guter Begleiter sein.

Wie kann es Mittelständlern gelingen, qualifizierte Einsteiger langfristig an das Unternehmen zu binden?
Man muss schlichtweg die Vorteile klarer kommunizieren muss. Viele junge Leute wollen selbstbestimmt arbeiten. Bei einem Mittelständler mit flachen Hierarchien ist das viel eher möglich als bei einem Weltkonzern. Außerdem hat man die Möglichkeit, sich als Generalist zu behaupten: Mittelständische Betriebe leben davon, dass das Personal seine Fähigkeiten und Ideen in die verschiedensten Bereiche miteinbringt. Oft kann man über die eigenen Aufgabengebiete hinaus andere Arbeitsfelder kennenlernen und sich einen wertvollen Erfahrungsschatz aneignen. Dieses Repertoire an betrieblichem Wissen führt letztlich dazu, dass man schnell Karriere machen kann.

Der Mittelstand ist ein wesentlicher Treiber der deutschen Wirtschaft ist. Warum wird er von Politikern oft vernachlässigt?
Zum einen hat der Mittelstand keine bedeutsame Lobby, die Einfluss auf wirtschaftspolitische Entscheidungen nehmen könnte. Zum anderen - und das ist ein Punkt, der nicht so glatt auf der Hand liegt - gibt es ein tiefgreifendes Wahrnehmungsproblem. Das haben wir in einem unserer aktuellsten Forschungsprojekte untersucht. Die Politik unternimmt sehr wohl Anstrengungen, die bürokratischen Hürden für den Mittelstand zu senken. Von den betroffenen Unternehmen werden diese Bemühungen jedoch nicht als solche wahrgenommen. Das liegt daran, dass ein Mittelständler, der sich tagtäglich im operativen Geschäft mit Richtlinien und Vorschriften konfrontiert sieht, einen viel weiteren Bürokratiebegriff hat, als ein Politiker. Überspitzt formuliert: Ein Politiker definiert oft nur komplexe Steuererklärungen als Bürokratie, während ein Mittelständler zum Beispiel auch alle Informationspflichten entlang der Wertschöpfungskette als bürokratische Hürde ansieht. Wir sehen also eine erstaunliche Asymmetrie, die es dringend zu lösen gilt.

Eine wirtschaftspolitische Agenda für den Mittelstand müsste sich also um gute Kommunikation bemühen?
In Teilen auf jeden Fall. Im Kern ist Wirtschaftspolitik aber immer auch eine kulturelle Frage. Welches Unternehmerbild möchte die Politik fördern? Welches Vertrauen gesteht man einzelnen Wirtschaftsakteuren zu? Das sind alles Fragen, die viel mit den Grundwerten einer Gesellschaft zu tun haben. Um dieses Missverhältnis zwischen Macht und Kontrolle auszubalancieren, muss man klar kommunizieren.

Was konkret sollte Wirtschaftspolitik für den Mittelstand tun?
Für mich sollte sie Rahmen setzen. Das geht weit über physische Maßnahmen wie die Bereitstellung digitaler Infrastruktur hinaus. Es sollte immer auch der Anspruch sein, ein gesellschaftlich akzeptiertes und wirtschaftlich wünschenswertes Unternehmerbild zu fördern. Was bedeutet die Digitalisierung für die Wertschätzung von Unternehmertum? Sind Gigworker und Klickworker noch „echte“ Selbstständige? Reicht es, bestehende Gesetze anzupassen oder müssen gänzlich neue Regelungen entworfen werden? Das sind Fragen, die weit über das hinaus gehen, was man in einer Legislaturperiode ändern kann. Für die meisten Politiker sind diese Fragestellungen daher leider unattraktiv.

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