Serie Familienunternehmen: Rittal Die Mission des Friedhelm Loh

Friedhelm Loh hat den Schaltschrankhersteller Rittal zum Weltmarktführer gemacht – und missioniert seine Mitarbeiter. Ein Familienunternehmer und Investor, an dem sich die Geister scheiden.

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Friedhelm Loh. Quelle: Angelika Zinzow für WirtschaftsWoche

Am Anfang war das Bügelbrett. Friedhelm Loh wird an einem Freitag im Spätsommer dieses Jahres nicht müde zu erzählen, wie sein Vater Rudolf im mittelhessischen Rittershausen 1947 in einer kriegszerstörten Zementfabrik mit drei Mitarbeitern anfing, Bügelbretter herzustellen; wie der Firmengründer dann 1961 auf die Idee kam, standardisierte Schaltschänke für Elektroanlagen zu fertigen – bis dahin gab man sie beim Schlosser als Einzelstücke in Auftrag; und wie er, Sohn Friedhelm, drei Jahre nach dem Tod des Vaters als 28-Jähriger 1974 mit der Personalnummer 181 ins Unternehmen einstieg und dessen Führung übernahm.

Heute ist Rittal Weltmarktführer in seiner Branche und das wichtigste Unternehmen der Loh-Group, einem Familienunternehmen mit weltweit 78 Tochtergesellschaften, die inzwischen auch Softwarelösungen entwickeln oder ganze Rechenzentren an Facebook und Microsoft liefern. „So einfach is die Schtorry“, sagt der 70-Jährige: „Die Schtorry muss man mal erzählen, um zu verstehen, was heute hier abgeht.“

Der gelernte Starkstromelektriker gehört als langjähriger Präsident des Zentralverbands der Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI) und als Vizepräsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) zu den Topzirkeln von Wirtschaft und Politik. Große Schlagzeilen machte er aber erstmals vor wenigen Monaten – als Investor mit entscheidendem Einfluss auf einen der spannendsten Deals des Jahres.

Die beiden Erfolgsfaktoren der Familie Loh

Während der umstrittenen Übernahme des Augsburger Roboterherstellers Kuka durch die chinesische Midea-Gruppe lagen eine Zeit lang alle Hoffnungen auf Loh, der gut zehn Prozent der Kuka-Anteile hielt. Anstatt mitzubieten und die Übernahme durch die Chinesen zu verhindern, verkaufte Loh seinen Kuka-Anteil, hat nun fast 500 Millionen Euro Cash in der Tasche und seinen ursprünglichen Einsatz mindestens verdoppelt.

Wie kaum ein anderer Unternehmer schafft Loh einen Spagat zwischen Provinz und professionellem Investment, das nicht nur den Reichtum der Familie vermehrt, sondern den Erfahrungshorizont des Unternehmers und des Unternehmens an entscheidenden Stellen erweitert. Eine Erfolgsgeschichte, wenn auch mit Sollbruchstellen.

Loh war nach eigener Erinnerung „ein grottenschlechter Schüler“ und studierte dann auf dem zweiten Bildungsweg Betriebswirtschaft. Heute positionieren ihn das US-Magazin „Forbes“ mit einem angeblichen Vermögen von rund 2,5 Milliarden Euro auf Platz 690 im Ranking der reichsten Menschen der Welt und das „Manager Magazin“ auf Platz 61 in Deutschland.

In der Loh’schen Oldtimersammlung parkt ein Porsche Spider von 1955, der dem Stardirigenten Herbert von Karajan gehörte. In einem Interview berichtete Loh, dass er die noblen Karossen auch höchstpersönlich bewegt: „Ganz für mich nehme ich gerne mal ein altes Auto und fahre in den Westerwald, genieße Land und Leute und das Alleinsein.“

Allein, fast einsam wirkt Loh in seinem gigantisch anmutenden Büro mit einer Deckenhöhe von vier Meter plus, hohen schwarzen Türen, schwarzer Holzvertäfelung und schwarzem Riesenschreibtisch. Der Raum bietet durch die Panoramafensterfront einen Blick auf Haiger, als würde Loh das Städtchen mit seinen Kirchtürmen und Fachwerkhäusern gehören. Diese Chefetage ist Ausdruck von Macht und passt zu einem, der es gefühlt nach oben erst schaffen musste. „Ich habe eine Kämpfernatur“, sagt Loh.

Rittals mühselige Aufholjagd

Kämpfen musste der Unternehmer in den vergangenen Jahren auch um die Firma. 2009 brach während der Banken- und Wirtschaftskrise der Rittal-Umsatz um zeitweise 37 Prozent ein. Jetzt liegen die Geschäftsergebnisse zwar „wieder über dem Level von 2008“, beschreibt Loh die mühselige Aufholjagd. Aber „schon zwei, drei Jahre haben wir Stagnation, weil wir Produktfelder aufgegeben haben und der Maschinenbau ebenfalls stagniert oder rückläufig ist“. Mitschuld daran: die Investitionsschwäche in Europa und das Embargo gegen Russland. Dennoch habe die Unternehmensgruppe, so Loh, „in keinem Jahr Verluste gemacht“. Auf 200 bis 300 Millionen Euro beziffert er die übliche Gewinnspanne.

Aber weiterzumachen wie bisher ist für Loh nicht denkbar. Auch deswegen geht er nun einen ganz großen Schritt: 170 Millionen Euro investiert Loh in das künftige deutsche Hauptwerk im hessischen Haiger, 250 Millionen insgesamt in den laufenden Firmenumbau – die größte Investition der Unternehmensgeschichte.

2018 soll in Haiger direkt gegenüber der Konzernzentrale die Schaltschrankproduktion 4.0 beginnen – ein Vorzeigebetrieb für die 18 Rittal-Betriebsstätten weltweit etwa in Ohio, Shanghai und im indischen Bangalore und für andere deutsche Mittelstands-Champions, die sich die digitale Vernetzung ihrer industriellen Produktion mit moderner Informations- und Kommunikationstechnologie noch erschließen müssen. Das soll die Produktivität „um 20 bis 30 Prozent steigern“.

Da der Lohnkostenanteil an der Produktion durch den Innovationsschub sinkt, kann Lokalpatriot Loh in der Region bleiben. Dass er das will, beweist er immer wieder. In Haiger entstanden in den vergangenen Jahren bereits ein neues Hochregallager für 40 Millionen Euro und ein Innovations- und Schulungszentrum zum Thema 4.0-Vernetzung. Im nahen Ewersbach will Loh bis 2018 eine neue Fabrik für rostfreie Großschaltschränke aus Edelstahl bauen, die insbesondere die Öl- und Gas- sowie die Lebensmittelindustrie brauchen.

Loh springt oft ein, wo andere Branchen im Lahn-Dill-Kreis auf dem Rückzug sind. „Es gibt verlockende andere Orte“, kokettiert er auf dem Podium der Grundsteinlegung im August, „aber wir wollen hier erfolgreich sein und nicht irgendwo.“ Dankbar nicken die Kommunalpolitiker bei der Grundsteinlegung und haben die Warnung gehört. Rund ein Drittel der Gewerbesteuereinnahmen des Lahn-Dill-Kreises mit 250.000 Einwohnern hängen ab von Lohs Gunst.

So einfach ist die Schtorry? Nicht ganz.

Denn der unumstritten erfolgreiche Unternehmer Loh hat auch eine umstrittenere Seite. Loh gehört zu den Wortführern und Geldgebern der Evangelikalen in Deutschland. Die pflegen in Abgrenzung zu den evangelischen Landeskirchen ein fundamentalistisches Bibel- und Glaubensverständnis. Bibelsprüche finden sich deshalb überall in Loh-Niederlassungen. Alle Loh-Mitarbeiter – auch die Muslime – erhielten ungefragt bis 2015 die fromme Zeitschrift „Entscheidung“. Nachdem das Blatt im vergangenen Jahr eingestellt wurde, haben sie nun missionierende Ersatzlektüre im Briefkasten.

Die Leute könnten die Publikation „ja abbestellen“, sagt Loh. Vom Antidarwinismus und wortgetreuer Bibelauslegung mag der technikaffine Unternehmer sich nicht distanzieren. Für jemanden, der an einen allmächtigen Gott glaubt, sei die „biblische Schöpfungsgeschichte“ kein Problem: „Wenn Gott etwas so Fantastisches wie das menschliche Auge konstruieren konnte, dann konnte er auch die Welt in sieben Tagen erschaffen.“

Friedhelm Loh ist umstritten

Nicht nur aufgrund seines religiösen Eifers ist Loh umstritten. Eine kleine Opposition in Lohs Reich ist nicht mundtot zu kriegen. Loh ärgert das: Alle im Unternehmen seien „eine tolle Firmengemeinschaft“, Aber „einige Mitarbeiter und der Betriebsrat aus einem von sechs Werken machten ,permanent Krieg‘“.

Dass die Arbeitsweise der bis zu 55 Jahre alten Betriebe, in denen Rittal produziert, einer Auffrischung bedarf und die Zusammenlegung in Haiger sinnvoll ist, bestreiten nicht einmal die kritischen Betriebsräte und Gewerkschafter im Loh-Umfeld. Aber sie wollen durchsetzen, dass die gut 800 Beschäftigten von vier alten Werken, die Loh schließt, ein Recht auf Versetzung in das neue Werk in Haiger oder an andere nahe gelegene Loh-Standorte haben.

Bis zu 100 von ihnen, sagt Loh, „werden voraussichtlich sozialverträglich über eine Transfergesellschaft abgebaut“. Mindestens 700 will er neue Jobs anbieten. Auf die müssten sie sich bewerben – mit dem Risiko, erworbene Rechte wie etwa längeren Kündigungsschutz zu verlieren. Nun sagt Loh aber: „Das Thema ist noch nicht erledigt, da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Wer einen neuen Arbeitsvertrag bekommt, dessen alte Betriebszugehörigkeit wird anerkannt.“

Dennoch werde Loh auf dem Weg der Betriebsschließungen über betriebsbedingte Kündigungen „die Alten, die Kranken und die Kritischen los“, sagt einer der Kritiker. Und der Herborner IG-Metall-Bevollmächtigte Hans Peter Wieth hält Loh vor, wer mit „so harten Bandagen gegen langjährige Beschäftigte vorgeht, wird seinem christlichen Anspruch nicht gerecht“. Längst wird prozessiert. Die Betriebsräte sehen in Friedhelm Loh mehr Altes als Neues Testament: „Wer sich nicht beugt, der wird gebrochen.“

Loh gibt gern und viel, etwa für soziale Zwecke, für Kulturelles und natürlich für die evangelikale Stiftung Christliche Medien – angeblich insgesamt zehn Prozent seines Einkommens, wie es bei vielen Freikirchlern üblich ist. Aber was, wem und wie viel, das bestimmt Loh selbst. Auf formal begründete Forderungen reagiert der Unternehmer schon mal allergisch. Mitglied im Arbeitgeberverband und tarifgebunden sind die Loh-Unternehmen nicht.

Die argumentative Einsamkeit des Patriarchen beschrieb Loh vor einigen Jahren so: „Wenn Sie ständig entscheiden, dann haben Sie eine gewisse Persönlichkeitsstruktur. Da fällt es manchmal schwer, sich hinzusetzen und zuzuhören und seinen Erfahrungshintergrund zu vergessen. Das führt dann schnell zu einem Außenbild, das die Kommunikation erschwert.“ Für die Öffentlichkeit, meinte er, sei er „alles zwischen Ausbeuter und Wohltäter“.

Also versucht Loh auch sein Außenbild selbst zu steuern. Aber das hat der Macher nicht wirklich im Griff. Bisweilen kriegt der kantige Patriarch sogar Gegenwind aus dem freikirchlichen Lager – etwa wenn er sich gegen den Mindestlohn äußert oder die Belegschaft eines Werkes zur Sonntagsarbeit verdonnern will. Loh lehnt Arbeit an dem geheiligten Wochentag eigentlich zwar ab, „nicht nur wegen des biblischen Gebots, sondern auch, weil ich es für vernünftig halte“. Aber bei seinen inneren Kämpfen gewinnt eben nicht immer der Christ, sondern wenn es darauf ankommt der kühl kalkulierende Unternehmer.

Auch das ist die Schtorry.

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