Sitzehersteller Recaro „Die Passagiere drängt es in die Premium Economy“

Nach einem dramatischen Umsatzeinbruch wegen Corona sieht Firmenchef Mark Hiller wieder positive Signale für den Sitzhersteller Recaro.

Das Unternehmen Recaro baut Sitze für Flugzeuge. Nach einem dramatischen Umsatzeinbruch wegen Corona sieht Firmenchef Mark Hiller wieder positive Signale. Er setzt auf die Billigflieger, ein Comeback der Geschäftsreise – und neue Vertriebsmethoden. 

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Das Gespräch mit Recaro-Chef Mark Hiller fand anlässlich des Gipfeltreffens der Weltmarktführer statt, das die WirtschaftsWoche alljährlich ausrichtet.

Herr Hiller, für Recaro war das Jahr 2020 dramatisch. Der Umsatz brach um 60 Prozent ein. Hatten Sie da mal einen Anflug von Panik?
Keine Frage, die wirtschaftliche Lage ist schwierig. Aber sie war für das Unternehmen nie bedrohlich. Wir sind stark in die Krise reingegangen und kommen da auch wieder solide heraus. Natürlich können wir so eine Situation nicht jahrelang durchhalten.

Spüren Sie denn wieder einen echten Aufschwung?
Die Stimmung ist wieder deutlich positiver. Der Luftverkehr nimmt zu. In den USA liegen die Airlines bei den Inlandsflügen wieder bei 75 Prozent des Vorkrisenniveaus. In China fliegen sogar wieder mehr Menschen als vor Corona. Nur Europa hat noch Nachholbedarf, liegt bei etwa 35 Prozent des Vor-Coronaniveaus. Und die Langstrecke ist natürlich noch weit von der Normalität entfernt, der Bereich mit dem Airlines Geld verdienen.

Was erwarten Sie für Ihr Unternehmen in diesem Jahr?
Wir spüren, dass die Airlines wieder investieren wollen. Die Anfragen unserer Kunden nehmen zu. Aber es gibt noch immer zu wenige Kaufentscheidungen. Wir planen daher mit einem Umsatz auf dem Niveau des Jahres 2020, also stabil niedrig.

Zu niedrig?
Wir hatten 2019 ein Rekordjahr verbucht und für 2020 ohnehin mit einem Minus von 25 Prozent gerechnet. Aber zu beschönigen ist da nichts: Statt mit mehr als 700 Millionen Euro Umsatz gehen wir für dieses Jahr mit etwa 300 Millionen Euro Umsatz aus. Von Gewinnen kann da zunächst nicht die Rede sein. Ab 2022 wird es wieder aufwärts gehen.

Die Unternehmen weltweit haben in der Coronakrise gelernt, dass das Homeoffice die Dienstreise ersetzen kann. Werden Firmen in Zukunft weniger reisen?
Die Unternehmen werden hybride Arbeitsmodelle einführen: Homeoffice und Präsenz vor Ort. Der physische Anteil wird auf jeden Fall relevant bleiben. Nur digital arbeiten, das geht nicht. Vor allem in Asien ist der persönliche Kontakt elementarer Teil einer Geschäftsbeziehung. Deswegen haben auch wir in der Krise weiterhin Flugzeugsitze verkaufen können. Weil wir Standorte in den Regionen haben. Die lokalen Sales Direktoren konnten zum Teil nach wie vor bei unseren Kunden sein. Das hat uns einen Vorteil gegenüber Wettbewerbern gebracht, die ihre Flugzeugsitze nur digital verkaufen konnten.

Sind Sie denn selbst schon wieder im Flieger unterwegs gewesen?
Ich war im März in Indien, kurz bevor die neue Mutation Delta so heftig zugeschlagen hat. Ich war auf einer Seat Show, bei der wir einer Airline unsere Sitze präsentieren konnten. Das Event fand wegen der Coronakrise in einem Parkhaus statt, das war schon eine etwas skurrile und gleichzeitig corona-gerechte Situation.

Die Seat Shows sind das Verkaufsevent Ihrer Branche schlechthin. Sie stellen Sitze etwa für die Economy Class oder die Business Class auf und Piloten, Vielflieger und Manager der Airline, die solche Sitze kaufen will, sitzen und liegen probe. Früher sind Sie für solche Events mit einem Team von fünf bis zehn Recaro-Mitarbeitern eingeflogen. Und jetzt?
Wir werden uns anpassen. Wir brauchen mindestens ein oder zwei Leute vor Ort, um unsere Sitze zu präsentieren und ein persönliches Verhältnis zu unseren Kunden aufbauen zu können. Viele technische Fragen können wir dann lösen, indem sich unsere Entwickler aus Schwäbisch Hall per Zoom oder Teams live zuschalten. Wir müssen unsere Experten also nicht mehr einfliegen. Wir werden unser Reisebudget um circa 25 bis 30 Prozent reduzieren.

Die Lufthansa kauft regelmäßig Recaro-Sitze ein, ist ein wichtiger Kunde. Nun wollen Sie selbst nicht mehr so viel reisen. Bei der Lufthansa dürfte man Ihre Aussagen sehr genau wahrnehmen...
Natürlich passen wir unser Reiseverhalten an, denn eine hybride Arbeitsweise ergibt inhaltlich und ökonomisch Sinn. Aber langfristig wird sich der Luftverkehr erholen. Schauen Sie auf die Planzahlen der beiden Flugzeugbauer Boeing und Airbus: Die Prognosen beider Unternehmen sagen enormes Wachstum des Flugzeugmarktes für die nächsten 20 Jahre voraus und entsprechend werden sie die Flugzeug-Produktion anpassen. Dafür gibt es gute Gründe: Der Bedarf zu fliegen wächst.  

Airbus baut vor allem Flieger für die Kurzstrecke, also für Strecken innerhalb Europas, den USA oder Asiens. Aber die Langstrecke sehen Sie doch selber kritisch, oder?  
Vieles hängt natürlich davon ab, wie es weiter geht mit der Pandemie. Angenommen, die Welt öffnet bald all ihre Grenzen und verzichtet auf Quarantäne-Verordnungen, dann wird auch die Langstrecke zurückkommen. Natürlich muss man für einen einstündigen Termin nicht immer in den Flieger steigen. Aber der Nachholbedarf ist groß. Viele Mittelständler wollen mal wieder ihre internationalen Standorte vor Ort besuchen.

Sie auch?
An vielen Standorten bin ich ein Jahr lang nicht mehr gewesen. Wenn das wieder geht, fliege ich hin: vor allem nach China, Südafrika und in die USA.

Schon was gebucht?
Ich fliege bald in die USA. Im Übrigen früher als ich eigentlich geflogen wäre. Die Einreisebedingungen sind unglaublich streng: Ein genehmigter Einreiseantrag gilt nur 30 Tage, meiner drohte abzulaufen. Einen neuen zu bekommen, hätte unglaublich viel Aufwand bedeutet. Da fliege ich lieber früher hin. Ich freue mich sehr, meine amerikanischen Kollegen und einige unserer Kunden wieder zu treffen.

Wie wird Corona die Art des Reisens im Flieger verändern?
Auf der Langstrecke drängen die Passagiere verstärkt in die Premium Economy. Viele Reisende, die sonst eher Economy geflogen wären, wünschen sich wegen der gefühlten Sicherheit mehr Patz zum Sitznachbar. Viele Geschäftsreisende, die früher eher in der Business Class Platz genommen hätten, werden durch neue Reiserichtlinien ihrer Unternehmen heruntergestuft.  

Wieder ein schlechtes Signal für die große Airlines wie die Lufthansa, die mit der Business Class am meisten verdienen. Oder?
Das sehe ich anders. Die traditionellen Carrier wie die Lufthansa können profitieren. Die Premium Economy ist für viele Airlines die lukrativste Klasse. Die Sitze verbrauchen nicht so viel Platz wie in der Business Class, aber die Tickets kosten mehr als in der Economy. Es gibt Studien, die den Airlines empfehlen, die Premium Eco deswegen auszubauen. Aus Sicht der Airlines ist die Premium Economy die attraktivste Klasse.

Und Recaro hat dafür natürlich die richtigen Sitze?!
Wir haben Flugzeugsitze für alle Klassen mit Ausnahme der First Class.

Sie haben gerade einen Vertrag mit Aeroflot abgeschlossen. Auch in der Krise wurde also durchaus in Flugzeugsitze investiert. Wer ist gerade am aktivsten unterwegs, das heißt: Wer geht als Sieger aus der Krise hervor?
Die Billigflieger werden profitieren. Ihre Kosten etwa fürs Personal sind geringer, sie profitieren von einem Inlandsmarkt, der schneller wieder auf Normalniveau sein wird. Einige dürften sich in der Krise mit frei gewordenen Slots eingedeckt hat. Und außerdem sind sie finanziell stark in die Krise hinein geflogen. Viele haben neue Kurzstreckenflugzeuge wie den A320 von Airbus oder die 737 von Boeing bestellt.

Wie sehr fürchten Sie, dass eine neue Bundesregierung etwa mit der Beteiligung der Grünen die Kurzstreckenflüge verbietet?
Das wird so schnell nicht passieren.

Mehr zum Thema: Beim Gipfeltreffen der Weltmarktführer stehen kluge Köpfe aus Mittelstand, Wissenschaft, Politik und Gründerszene Rede und Antwort. Seien Sie jetzt dabei!


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