Software als „Erlösung“ „Willkommen im 21. Jahrhundert! Ich find’s klasse“

Quelle: dpa, WirtschaftsWoche

In der Pandemie haben viele deutsche Unternehmen ihre HR digitalisiert – könnte man meinen. Woran es immer noch hapert und wie sich die Pflicht zur Zeiterfassung auf die Digitalisierung im Mittelstand auswirken könnte.

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Peter Kincer freut sich noch immer über die E-Mail eines Mitarbeiters aus der Forschungsabteilung, die er Ende 2021 bekam: „Willkommen im 21. Jahrhundert! Ich find’s klasse.“ Die Nachricht erreichte den HR-Manager, kurz nachdem er bei dem auf Medizintechnik spezialisierten Mittelständler Advitos eine Personalsoftware eingeführt hatte. Vielen Mitarbeitern sei das digitale Tool wie eine „Erlösung“ erschienen, erinnert sich Kincer. Allein, wie viel einfacher dadurch die Urlaubsplanung geworden sei – ein Thema, das zuvor regelmäßig für Verärgerung in der Belegschaft gesorgt habe.

Im Februar 2021 wurde Kincer als Personalverantwortlicher eingestellt – „mit dem Auftrag, genau diese Digitalisierung im Personalbereich voranzutreiben“, sagt Geschäftsführer Claus Jessen. Man habe sich zukunftsorientiert aufstellen wollen – und Kosten sparen. Es sei „viel effizienter, alle Personalprozesse über digitale Systeme abzuwickeln“, sagt Jessen.

„Beim Thema Urlaub, Abwesenheiten und Bewerbermanagement erspart uns das bis zu drei Tage netto Arbeitszeit pro Woche“, kalkuliert HR-Manager Kincer. Zudem erleichtere ein digitales System viele Führungsprozesse, mache Manager und Mitarbeiter verlässlicher, steigere schlichtweg die Qualität. „Und man präsentiert sich als moderner Arbeitgeber – auch bei Bewerbern.“

Ein exklusives Ranking listet die digitalen Vorreiter im deutschen Mittelstand auf. Die Technik der Unternehmen vereinfacht Prozesse, optimiert die Produktion – und erweckt mitunter sogar Zwillinge zum Leben.
von Annina Reimann

Trotz all dieser Vorteile: Im deutschen Mittelstand ist Advitos mit seiner Personalsoftware noch immer eine Ausnahmeerscheinung. Das Start-up Personio, das ebensolche Software für Mittelständler anbietet, geht davon aus, dass nicht mehr als 35 Prozent der deutschen kleinen und mittleren Unternehmen digitalisiert sind. Und das Konkurrenzunternehmen HRworks gibt auf Basis einer internen Erhebung an, dass nur 30 Prozent der mittelständischen Unternehmen in Deutschland derzeit ein digitales HR-Tool nutzen.

Urlaubsanträge in Papierform

Zwar erklärten kürzlich 93 Prozent der für eine Studie der Telekom befragten mittelständischen Betriebe, künftig in digitale Projekte investieren zu wollen. Gemeint ist damit jedoch in den seltensten Fällen der HR-Bereich: „Unternehmen mit weniger als 50 Mitarbeitenden haben eher selten eine definierte HR-Digitalstrategie“, besagt eine im November veröffentlichte Studie der Fachzeitschrift „Personalmagazin“. Die Wahrscheinlichkeit, dass Unternehmen sich Gedanken über digitale HR-Tools machen, steigt demnach mit der Mitarbeiterzahl kontinuierlich an. „Relativ häufig“ ist eine solche Strategie aber erst ab 10.000 Mitarbeitern vorhanden, „üblich“ sogar erst bei Großunternehmen mit über 100.000 Angestellten. Woran liegt das? Und wie lässt sich der Digitalisierungsgrad im Personalbereich deutscher Mittelständler steigern?




„Viele kleinere und größere Unternehmen haben eben funktionierende Strukturen und Prozesse“, sagt Claus Jessen. Der Advitos-Chef hat eine klare Theorie dazu, warum es anderen Mittelständlern so schwer fällt, es ihm bei der Personalsoftware gleichzutun: Solange es den Unternehmen gut gehe, behielten die meisten ihre jahrzehntealten, scheinbar wunderbar funktionierenden Prozesse bei – auch wenn es dabei beispielsweise um Urlaubsanträge in Papierform gehe, die von einer Hand in die nächste wandern.

Nur eine Krise hilft

Das einzige, was da helfe, sei eine Krise, sagt Jessen. „Irgendetwas, das den Kosten- und Qualitätsdruck erhöht.“ Erst dann kämen entscheidende Fragen auf, etwa: „Was kann man hier eigentlich effizienter machen? Ist das, was vor 20 Jahren noch gut und richtig war, heute wirklich noch zeitgemäß?“ Im Fall von Advitos sei so ein Impuls etwa die Coronakrise gewesen.

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Tatsächlich hat die Corona-Pandemie nicht nur Videochat-Anbieter auf dem Markt vorangebracht, sondern auch die Anbieter von digitaler Personalsoftware. Seit der Corona-Pandemie würden Personalabteilungen das Thema Digitalisierung viel offensiver angehen, berichtet etwa Personio. Allein im ersten Jahr habe sich die Kundenzahl knapp verdoppelt. Auch Konkurrent HRworks gibt an, in den letzten beiden Jahren jeweils rund 30 Prozent pro Jahr gewachsen zu sein. „Ich glaube schon, dass Corona da ein wichtiger Treiber war“, sagt dazu HRworks-Chef Markus Schunk. „Dass dann Unternehmen festgestellt haben, ganz operativ: Plötzlich sind die Mitarbeiter gar nicht mehr alle im Büro, sondern verteilt. Die arbeiten aus dem Homeoffice, flexible Arbeitsmodelle, mobiles Arbeiten und all die Dinge. Wie soll ich denn jetzt administrieren? Wie soll ich das denn jetzt gestalten?“

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