Sorge um das Russland-Ukraine-Geschäft „Wir sind als vaterländisches Unternehmen anerkannt“

Landmaschinen-Hersteller Claas aus dem ostwestfälischen Harsewinkel verkauft seine Mähdrescher sowohl in Russland als auch der Ukraine. Quelle: Bloomberg

Unternehmen mit Geschäft in Russland und der Ukraine geraten zwischen die Fronten. Nach dem Einmarsch Russlands fürchten deutsche Firmen härtere Sanktionen – vor allem den Ausschluss Russlands aus Swift.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Gäbe es eine Auszeichnung für „Deutschlands russischstes Unternehmen“, dann wäre der Landtechnikhersteller Claas aus Harsewinkel in Ostwestfalen wohl ein Kandidat. Das Unternehmen produziert seit 2005 Mähdrescher in der russischen Stadt Krasnodar und beschäftigt dort inzwischen 800 Mitarbeiter. Und bei russischen Landwirten genießen die Erntehelfer aus der Fabrik in Krasnodar einen ausgezeichneten Ruf – auch, weil Claas für eine dort produzierte Mähdrescher-Linie  „als vaterländisches Unternehmen“ anerkannt wurde, sagt Claas-Sprecher Wolfram Eberhardt.

Wegen seiner exponierten Stellung auf dem russischen Agrarmarkt blickt der Landtechnikproduzent nun mit großer Sorge auf die jüngsten Entwicklungen im Ukraine-Konflikt. Der militärische Vormarsch von Russland in die Ukraine gefährdet das Geschäft der Ostwestfalen, denn Claas ist sowohl in Russland als auch in der Ukraine aktiv – und somit zwischen den Fronten.

Wie Claas geht es einigen deutschen Konzernen und Mittelständlern. Für die meisten Firmen ist der russische Markt wichtiger als der ukrainische. Doch auch die Ukraine hat sich bei den meisten Firmen in der Vergangenheit positiv entwickelt. Das Geschäft dort könnte unter einem Krieg im Land leiden. Sanktionen dürften den Handel mit Russland erschweren – vor allem ein Ende des Finanzsystems Swift fürchten deutsche Unternehmen enorm.

Der Westen hat auf den Einmarschbefehl von Präsident Wladimir Putin reagiert. Die EU vereinbarte Strafmaßnahmen gegen Russland mit Blick auf Energie, Finanzen und Transport. Zudem soll es Exportkontrollen für bestimmte Produkte sowie Einschränkungen bei der Visavergabe geben. Ähnliche Maßnahmen beschloss Washington. Ein Ausschluss Russlands aus dem Banken-Kommunikationsnetzwerk Swift wurde zwar nicht beschlossen, bleibt aber für künftige Sanktionsrunden eine Option.

Die Erfolgsgeschichte von Claas in Russland beginnt im Jahr 2005, als das Unternehmen seine erste Fabrik für den Bau von bis zu 1000 Landmaschinen pro Jahr in Krasnodar einweihte. Die Stadt liegt im südlichen Teil Russlands, unweit des Schwarzen Meers und der von Russland im Jahr 2014 annektierten Krim. Einige Jahre vor der Krim-Krise hatte sich Claas zum Erweiterungsbau der Fabrik entschieden. Der Familienkonzern profitiert seit Jahren von den unter Putin angeschobenen Autarkiebestrebungen des Riesenreiches. Für die staatliche Anerkennung schloss Claas einen „Special Investment Contract“ (SPIC) ab, der Finanzierungssubventionen vorsieht. Wichtige Voraussetzung: Claas erreicht eine ausreichend große Fertigungstiefe vor Ort. „Wir können unsere Landmaschinen über eine günstigere Finanzierung deutlich preiswerter anbieten“, sagt Claas-Sprecher Eberhardt. „Wir präsentieren uns auch als lokaler russischer Hersteller.“

Claas fürchtet Swift-Ausschluss

Zuletzt lief es ausgezeichnet für Claas in Russland. „Die russische Landwirtschaft boomt“, heißt es bei Claas. Russland habe „viele hervorragende Böden und viele ungenutzte Flächen“. Das Familienunternehmen aus Ostwestfalen setzt weltweit rund 4,8 Milliarden Euro um, „ein einstelliger Prozentbereich“ stamme aus Russland. In Krasnodar produziert Claas vor allem Mähdrescher der Marke Tucano, ein Mittelklassemodell, das digital vernetzt ist. Außerdem baut es Traktoren zusammen, deren Einzelteile weitestgehend aus Europa importiert werden. Sollten Sanktionen den Warenfluss stören, wäre auch Claas betroffen. Vor allem der Ausschluss Russlands aus dem Finanzsystem Swift würde Claas treffen. Über mögliche Folgen wolle man aber „nicht spekulieren“. 

Lesen Sie hier, warum der Ausschluss Russlands aus Geldtransaktionssystem Swift die ultimative Sanktionswaffe ist.

Die Claas-Produktion in Krasnodar ist vor allem für den russischen Markt bestimmt. Auch in der Ukraine hat Claas Geschäft, die Maschinen werden aus Europa importiert. Das Business sei aber deutlich kleiner als das russische. 40 Mitarbeiter beschäftigt Claas im Land rund um die Hauptstadt Kiew, vor allem im Vertrieb. „Die Ukraine zählt wie Russland zu den weltweit wichtigsten Getreideproduzenten“, sagt Eberhardt.

Wie Claas beobachten viele deutsche Unternehmen den Vormarsch der russischen Armee in die Ukraine mit Sorge. Allein der deutsch-russische Warenhandel summierte sich 2021 auf knapp 60 Milliarden Euro – ein Zuwachs von rund einem Drittel, in dem sich die zuletzt deutlich gestiegenen Energiepreise widerspiegeln. Die Summe entspricht einem Anteil von gut zwei Prozent am gesamten deutschen Warenaustausch mit anderen Ländern. Russland belegt damit Rang 13 der wichtigsten Handelspartner Deutschlands.

Aus Russland wurden Waren im Wert von rund 33 Milliarden Euro geliefert, vor allem Rohstoffe wie Erdgas und Rohöl - das Land ist größter Energielieferant Deutschlands. Nach Russland exportiert wurden Waren im Wert von fast 27 Milliarden Euro, vor allem Maschinen, Fahrzeuge und Elektrotechnik. Die wirtschaftliche Bedeutung der Ukraine für deutsche Unternehmen ist mit einem Handelsvolumen von gut sieben Milliarden Euro zwar geringer, aber durchaus relevant.

Der Baumaschinenhändler Zeppelin hatte jüngst in der WirtschaftsWoche vor einer Eskalation der Krise und den negativen Folgen für die Wirtschaft gewarnt. Mitten in dem Krisengebiet verkauft und repariert die Firma Zeppelin Baumaschinen der US-amerikanischen Firma Caterpillar. Schon 2015 und 2016, also kurz nach der Annexion der Krim durch Russland, sei das Geschäft in der Ukraine „zusammengebrochen“, so Unternehmenschef Peter Gerstmann. Die 30 Millionen Euro Umsatz seien nur noch „ein Bruchteil von dem“ gewesen, „was wir normalerweise erwirtschaften“. Gerstmann fürchtet vor allem Sanktionen über das Finanzsystem Swift. „Ein Ausschluss Russlands aus Swift würde sicherlich eine Weltwirtschaftskrise auslösen.“

Metro betreibt 26 Märkte in der Ukraine, Knauf hat ein Werk im Donbass

Der Düsseldorfer Großhändler Metro steckt ebenfalls zwischen den Fronten der Konfliktparteien. In der Ukraine betreibt Metro 26 Märkte, beschäftigt knapp 3400 Mitarbeiter und kam dort zuletzt auf rund 800 Millionen Euro Umsatz. Seit gut 20 Jahren ist Metro vor Ort aktiv und „als lokaler Akteur und Partner unabhängiger Selbstständiger stark verwurzelt“, sagt ein Unternehmenssprecher. Die ukrainische Landesgesellschaft habe sich „in den letzten Jahren kontinuierlich positiv entwickelt.“ Das dürfte sich angesichts der aktuellen Situation 2022 wohl ändern, zumal sich einige Filialstandorte in akut gefährdeten Regionen befinden. So betreibt Metro einen Großhandelsmarkt in Mariupol, der letzten von der Ukraine kontrollierten Großstadt im umkämpften Osten. Der Großhändler beobachtet die aktuelle Entwicklung deshalb mit Sorge.

Womöglich noch heikler wären für Metro aber die Folgen schwerer Wirtschaftssanktionen gegen Russland. Metro hatte im vergangenen Geschäftsjahr 2020/21 in Russland mit 93 Märkten einen Umsatz von rund 2,4 Milliarden Euro eingefahren. Das Unternehmen versorgt rund 2,5 Millionen Kunden, darunter vor allem selbstständige Unternehmer aus Gastronomie und Handel. Der Konzern beschafft in Russland seine Lebensmittel zwar vor allem aus heimischer Produktion, wodurch die Warenbelieferung wohl im Zweifel sichergestellt ist. Wie Rechnungen beglichen, Waren eingekauft oder Erträge transferiert werden können, falls Russland aus dem internationalen Zahlungsverkehrssystem Swift ausgeschlossen werden würde, ist aber offen.

In einer ähnlichen Lage befinden sich Unternehmen wie der Gips-Hersteller Knauf, der ein Werk in der Region Donbass betreibt, nahe der bisherigen Konfliktlinie im Osten des Landes. Das soll bislang noch ohne Einschränkungen laufen. Aber ob das so bleibt? „Das Geschäft in der Ukraine ist wichtig für Knauf“, sagt ein Unternehmenssprecher. Gleiches gilt aber auch für Knaufs Russland-Aktivitäten. Nach früheren Angaben beschäftigt der Gipsproduzent dort rund 4000 Menschen und betreibt 15 Werke.



Gewissermaßen zwischen die Fronten ist auch der Autozulieferer Leoni geraten. Der Konzern produziert in zwei Fabriken in der Ukraine, die in grenznahen Regionen zur EU liegen, Bordnetzsysteme für Autos und Nutzfahrzeuge. Zugleich verfügt Leoni über zwei Standorte in Russland. Nimmt der Konflikt weiter Fahrt auf, droht von beiden Seiten Ungemach.

Mehr zum Thema: Russland will Soldaten in die Ukraine schicken, der Westen beschließt Sanktionen. Doch noch greift er nicht zu seinem schärfsten Schwert: dem Ausschluss Russlands aus dem Finanzsystem Swift, der gewaltige Folgen hätte.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%