Start-ups Luftreiniger in Schulen: Warum neue Technologie nicht zum Zug kommt

Aktuell schaffen sich viele Schulen mobile Luftfilter an, wie hier in einer Grundschule im bayrischen Neubiberg. Quelle: dpa

Schulen beschaffen gerade massenweise Luftreiniger. Start-ups mit neuer Technologie kommen dabei kaum zum Zug, beklagen Gründer. Warum wird ihr Ansatz bei Luftreinigern weitestgehend ignoriert?

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Der Berliner Souvenirshop, unweit vom Brandenburger Tor gelegen, verkauft normalerweise Magnete, Schlüsselanhänger, Kuckucksuhren. Doch seit neustem zählen zu seiner Produktpalette auch Luftreiniger. Ja, richtig: Luftreiniger. Das Unternehmen hat den Zuschlag des landeseigenen Immobiliendienstleisters erhalten und darf nun mobile Geräte für Schulen anschaffen. Auftragswert: 1,1 Millionen Euro. Einen eigenen Markennamen für das Geschäft mit Luftfiltern hat die Firma dabei frisch im Mai eintragen lassen. Solche Entscheidungen sorgen bei manchen Herstellern für Kopfschütteln. Auch bei Carsten Hermann. Denn er würde gerne selbst mitbieten. Doch bei offiziellen Vergaben hat sein junges Unternehmen aus der Nähe von Dessau, nur selten eine Chance. Und das, obwohl seine Expertise über Kuckucksuhren weithinausgeht. Mit seinem Start-up Airodoctor produziert er Geräte, die die Luft in Klassenzimmern, Praxen oder Büros reinigt.

Es geht um die Gesundheit, aber auch um ein großes Geschäft. Der Bund fördert die Umrüstung und den Einbau von Luftreinigern in öffentlichen Gebäuden seit dem vergangenen Jahr mit 500 Millionen Euro. Vor wenigen Wochen kam noch ein Sonderprogramm von 200 Millionen Euro für mobile Anlagen dazu. Zudem haben zahlreiche Bundesländer eigene Fördertöpfe aufgelegt, um gerade Schulen den Kauf zu ermöglichen. In diesen Wochen wird so im Eiltempo über Millionenaufträge entschieden. Ein lukratives Geschäft für Konzerne, Mittelständler und den ein oder anderen Souvenirshop hat begonnen. 

Auch Start-ups wollen mitmischen. Doch einige von ihnen fühlen sich ausgebremst. Der Grund: Sie setzen auf eine Technologie, die von deutschen Behörden bislang weitgehend ignoriert wird. Weit verbreitet sind Geräte, die die Luft mit herkömmlichen Filtern reinigen. Daneben gibt es auch Anlagen, die auf UV-C-Strahlung setzen. Noch seltener sind Ionisierungs- oder Plasmaverfahren. Nur eine kleine Rolle spielt aktuell die Luftreinigung mit Ozon. Hier besteht die Sorge, dass gesundheitsschädliche Stoffe freigesetzt werden. Mit einer neuen Technologie, die Ionisierung und Ozon verbindet, ist aber gerade das Start-up ProActiveAir unterwegs – und versichert, alle Grenzwerte weit unterbieten zu können.

Vielversprechende Ergebnisse

Airodoctor oder auch Lynatox aus Thüringen setzen hingegen auf die sogenannte Photokatalyse. Dabei werden Viren und Bakterien durch eine chemische Reaktion zerstört, die dadurch entsteht, dass UV-A-Strahlen auf Titandioxid treffen. Diese Methode wurde vor einem halben Jahrhundert entdeckt, galt jedoch lange Zeit als vergleichsweise ineffizient und teuer. Die Gründer werben nun damit, dass sie die Technologie fit für den Schul- oder Büroalltag gemacht haben. 

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von Sophie Crocoll, Jannik Deters

Die Charité Berlin kommt in einem Gutachten über den Airodoctor-Luftreiniger etwa zu einem vielversprechenden Ergebnis: Untersuchungen zeigten, „dass das Gerät unter Alltagsbedingungen auch eine deutliche Schutzwirkung gegenüber Covid-19-Infektionen durch eine Reduktion der infektiösen Partikel in der Raumluft zeigt“, heißt es in dem Dokument. Gründer und Mitentwickler Carsten Hermann verweist zudem auf Studien vom Korea Institute of Civil Engineering and Building Technology – die Luftreiniger werden in Südkorea produziert. Bei Lynatox hat Mitgründer und Ingenieur Tobias Schnabel an der Bauhaus-Universität in Weimar zur Photokatalyse promoviert. 

Doch für die Teilnahme an vielen öffentlichen Vergabeverfahren in Deutschland reichen diese Aussagen bislang nicht. Seit klar ist, dass sich das Coronavirus gut über den Luftweg ausbreitet, herrscht Unsicherheit darüber, welche Technologie als Schutzmaßnahme geeignet ist. Das Umweltbundesamt hielt lange Zeit das Lüften für den einzig wirksamen Weg, um Coronaviren aus dem Klassenraum zu vertreiben.

Mittlerweile werden auch die populärsten technologischen Verfahren zur Luftreinigung auf der Webseite vorgestellt – die Photokatalyse findet sich nicht darunter. Zum großen Bedauern der Start-ups: „Die Technologie wurde über viele Jahre durch uns revolutioniert“, sagt Maurice Heinemann, Pressesprecher von Lynatox, „leider ist das zu den entscheidenden Stellen noch nicht durchgedrungen.“ Airodoctor-Gründer Hermann beklagt ebenfalls, immer wieder ablehnende Aussagen von offiziellen Stellen zu bekommen. „Da heißt es: ‚Hepa-Filter und UV-C- sind seit 20 Jahren erprobt, den Rest schauen wir uns gar nicht an“, so Hermann. „Der Wille, von anderen zu lernen, ist nicht da.“ In der Förderrichtlinie Bayerns sind die Anforderungen etwa klar definiert: Zuwendungsfähig seien nur „mobile Luftreinigungsgeräte mit Filter, UV-C- oder Ionisations- und Plasmatechnologie“, heißt es in dem Dokument. In Nordrhein-Westfalen können sogar ausschließlich Luftreiniger mit Filterfunktion gefördert werden.

Schnelle Vergabe statt wissenschaftlicher Expertise

Außerdem beobachtet Hermann, dass Kommunen und Landkreise bundesweit auch bei größeren Aufträgen auf Vergabeverfahren setzen, bei denen Behörden direkt mit einem begrenzten Anbieterkreis verhandeln kann. Der WirtschaftsWoche liegen solche Ausschreibungen vor. Im Berliner Fall heißt es etwa: Es bestehe eine „äußerste Dringlichkeit“, Luftfilter für Klassenräume zu beschaffen – „jeder Tag ohne Maßnahme bedeutet, eine potenziell höhere Ansteckungsrate als mit Maßnahme“. Darum seien die Fristen eines regulären Vergabeprozesses nicht zu vertreten. Die Behörden wollen Tempo bei der Beschaffung von Luftreinigern machen – in den ersten Bundesländern sitzen die Schülerinnen und Schüler bereits wieder in den Klassenzimmern, in anderen werden sie bald folgen. 

Verlässliche Nachweise darüber, wie gut die Luftreiniger für den Einsatz im Klassenzimmer geeignet sind, spielen bei der Vergabe dadurch jedoch häufig kaum eine Rolle, beklagt Hermann. So beobachtet er etwa, dass viele Anbieter keine Messergebnisse für ihre eigenen Geräte haben – sondern mit generellen Aussagen zur Filterleistung werben. Die Filter müssen zudem noch regelmäßig ausgetauscht werden. Das führt zu Folgekosten und erhöht die Gefahr, doch noch aufgefangene Viren im Klassenraum zu verteilen.

Den geforderten Lautstärkepegel können viele Geräte nach Einschätzung von Hermann nur dann einhalten, wenn sie mit halber Kraft laufen. So müssen sich Lehrer zwischen sauberer Luft und einer Geräuschkulisse entscheiden, bei der noch Unterricht möglich ist. „Hersteller gewinnen mit getürkten Aussagen, die in der Praxis nicht der Realität entsprechen, Ausschreibungen“, fasst Hermann seine Vorwürfe zusammen. Er plädiert unter anderem dafür, auf eine Iso-Norm zu setzen, die angibt, wie gut Geräte kultivierbare Bakterien aus der Luft entfernen.

Aufträge aus der Wirtschaft, Hoffen auf die Politik

Kleine Siege gibt es jedoch für die Start-ups. Airodoctor hat zu Beginn des Jahres etwa 115 Luftreiniger an Schulen im Berliner Bezirk Pankow geliefert, die das Charité-Gutachten überzeugt hatte. Ein wichtiger Erfolg für das Unternehmen mit sieben Mitarbeitern in Deutschland und gut 30 in Südkorea. Lynatox, mit 20 Mitarbeitern und der mittelständischen Diersch-&-Schröder-Gruppe als Investor, konnte seine Geräte, die wie große Flachbildschirme an den Wänden aufgehängt werden, in einem Gymnasium am Firmensitz in Ilmenau in der Praxis testen. Zudem berichten die jungen Firmen von Aufträgen von Cafés, die sich nach reichlicher Überlegung für die Photokatalyse-Geräte entscheiden – oder aus Zahnarztpraxen, die besonders darauf achten müssen, Viren aus der Luft zu filtern. „Da gibt es viele, die erkennen, dass eine Filterung allein nicht die Lösung sein kann, wenn es um Hygiene und Kosten geht“, sagt Hermann. 

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Statt sich nach jahrelanger Entwicklung jetzt endlich auf den Vertrieb zu konzentrieren, müssen die Photokatalyse-Start-ups aber weiterhin viel Überzeugungsarbeit leisten. Lynatox erzielte jüngst nach einem Besuch von Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow einen wichtigen Erfolg: Der Politiker habe zugesichert, sich dafür einzusetzen, dass in einer vom Land geförderten Studie alle Reinigungsverfahren – inklusive der Photokatalyse – miteinander verglichen werden, berichtet Sprecher Heinemann, „und dass alle Behörden über den aktuellen Stand dieser Technik informiert werden.“

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