Start-ups Schwedische Erfolgsgeschichten ohne Ikea

Quelle: imago images

Hinter Schwedens Vorzeige-Start-ups Spotify, Klarna und King wächst die nächste Generation Unternehmen heran. Diese Ideen können es weit bringen.

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Wenn das Partnerland der Hannover Messe dieser Tage auf dem Messegelände der niedersächsischen Landeshauptstadt präsent ist, dann sind in der schwedischen Delegation neben Prinz Carl Philip, Ministerpräsident Stefan Löfven, prominenten Ausstellern wie ABB, Ericsson und Vattenfall auch 30 Start-ups dabei – sie machen in etwa ein Viertel der Unternehmen in der schwedischen Delegation aus. Ein ganz schön beeindruckender Schnitt an frischen Geschäftsideen für eine altbewährte Industriemesse.

Dahinter steckt bedeutend mehr als eine Marketingaktion, die Schweden als besonders innovatives und gründerfreundliches Land darstellen soll. Immerhin ist die Dichte an Unicorns – also Start-ups mit einer Bewertung von mehr als einer Milliarde Dollar – im skandinavischen Land direkt nach dem Silicon Valley weltweit am höchsten. Gerade die Kooperation der verschiedensten Start-ups mit Universitäten oder größeren Unternehmen forciert die Regierung im besonderen Ausmaß.

So hat es allen voran Spotify zu einem omnipräsenten Unternehmen gebracht: Mehr als fünf Milliarden Euro Umsatz, beinahe 100 Millionen zahlende Kunden und knapp 3700 Mitarbeiter – ein kleines Unternehmen ist der Musikstreaming-Anbieter längst nicht mehr. Ebenfalls aus Schweden und ebenfalls echte Erfolgsgeschichten sind Spotify-Konkurrent Soundcloud, der Zahlungsdienstleister Klarna und der App-Entwickler King, Macher des bekannten Handyspiels „Candy Crush“. Und die nächsten Start-ups stehen schon bereit. Mit reichlich Unterstützung von Regierung oder Universitäten werden aus anfänglichen Ideen gerade neue ernstzunehmende Unternehmen. Auch, wenn ein zweites Spotify noch nicht zu erkennen ist.

Das tut der Erfolgsgeschichte schwedischer Start-ups allerdings keinen Abbruch. Liegt Schweden bei der Dichte an Unicorns noch hinter den USA, so ist das bei einer anderen Statistik bereits anders: „In Schweden kommen auf 1000 Beschäftigte 20 Start-ups, verglichen mit nur fünf in den USA“, sagt Jochen Schäfer, Volkswirt beim Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI). Wie auch die durchgestarteten Start-ups Spotify, Skype, King oder King bauen viele der jungen Unternehmen in Schweden erfolgreich auf digitale Geschäftsmodelle.

Das kommt offenbar nicht von ungefähr. „Die Wurzeln der lebhaften schwedischen Digitalwirtschaft reichen zurück bis in die erste Hälfte der 1990er Jahre, als sich das Land von einer schweren Bankenkrise erholen musste“, erklärt Schäfer. Damals traten laut dem ZVEI-Volkswirt besonders gründerfreundliche Reformmaßnahmen der Regierung in Kraft wie die Senkung der Unternehmenssteuern, die Entlastung kleinerer Unternehmen und die weitere Öffnung des Marktes für ausländische Unternehmen.

Innovation ist in Schweden allgegenwärtig

Diese erst einmal sehr gewöhnlich klingenden Maßnahmen waren zu dieser Zeit allerdings nicht die einzigen. „So führte die schwedische Regierung Steuervergünstigungen für den Erwerb von Computern ein und investierte frühzeitig in den Ausbau schneller Internetverbindungen – in einer Zeit, in der die Verbreitung des Internets erst ihren Anfang nahm.“ Das ermöglichte es schwedischen Unternehmern bei einer so bahnbrechenden Technologie einen deutliche Zeitvorsprung für erste Experimente im und mit dem World Wide Web.

Neben diesen finanziellen und technischen Möglichkeiten liegt die Gründerfreundlichkeit Schwedens für Ninni Löwgren Tischer auch heute noch an der Mentalität: „Das Wirtschaftsumfeld, die platten Organisationsstrukturen und die informelle Geschäftskultur stärken das schwedische Entrepreneurship und die Zusammenarbeit zwischen kleinen und großen Unternehmen, aus der Innovation entstehen kann“, sagt die Abteilungsleiterin bei der Deutsch-Schwedischen-Handelskammer. Das Wort Innovation ist in Schweden beinahe allgegenwärtig. Nicht umsonst hat Schwedens Ministerpräsident Stefan Löfven 2015 den National Innoavtion Council ins Leben gerufen, der Innovation durch Kollaboration von Regierung, Universitäten und Unternehmen fördern soll.

Für Ninni Löwgren Tischer liegt dieser Innovationsfokus an der „aufgeschlossenen, technikaffinen und kollaborativen Mentalität der Schweden.“ Diese Mentalität findet ihren Höhepunkt in den sogenannten Science Parks, die von ihrer Grundidee dem ein oder anderen Technologiepark an einer deutschen Hochschule gleichen. Hier kommen Unternehmen, Start-ups, Universitäten und Kommunen zusammen. Einer dieser Science Parks findet sich im südschwedischen Linköping. Hier im Science Park Mjärdevi hat sich auch der deutsche Sensorenhersteller Sick niedergelassen, der seinen eigentlichen Hauptstandort in Waldkirch mitten im Schwarzwald hat.

Neben knapp 400 weiteren Unternehmen mit 7000 Mitarbeitern sollen in solchen Sciene Parks auch durch die Zusammenarbeit mit Sick die nächsten schwedischen Erfols-Start-ups entstehen. Sie gelten als eine Art Talentschmiede. Spannende Ideen gibt es an solchen Orten reichlich. Doch wie in einer Talentschmiede werden es nur ein paar Unternehmen ganz weit bringen. Womöglich ist eines von diesen:

CorPower Ocean

Energiegewinnung nach dem Pumpprinzip des menschlichen Herzens – so abstrakt beschreibt das Stockholmer Start-ups CorPower Ocean sein Geschäftsmodell. Was dahinter steckt: CEO Patrik Möller und sein Team werkeln in einer Lagerhalle der Königlich Technischen Hochschule in Stockholm an dem Prototypen einer gelblauen Boje von beachtlicher Größe. Diese soll als hochwirksames Wellenkraftwerk die Energieerzeugung und Bewegung einer eintreffenden Welle erheblich verstärken und in Energie umwandeln. Durch ein neues Steuerungsverfahren sollen die Bojen soagr in Resonanz mit eintreffenden Wellen schwingen. Dadurch soll eine fünfmal höhere Energiedichte als bei klassischen Wellenenergiekonvertoren erreicht werden. Bei diesem Kontrollsystem kooperiert das Start-up mit dem deutschen Mittelständler Beckhoff.

Bislang hat CorPower, das 2009 gegründet wurde, die Bojen lediglich getestet. Doch sechs der 30 Mitarbeiter sind allein mit der Simulation von Wellen beschäftigt und sollen das Steuerungsverfahren stetig verbessern. Der Prototyp der Boje ist allerdings jetzt schon so groß, dass er in der Lagerhalle lediglich auf der Seite liegen kann. Bis Ende des Jahres möchte das Start-up in eine größere Halle am Stadtrand von Stockholm umziehen. Möllers Vision ist ein ganzer Bojen-Park nach dem Vorbild der jetzigen Offshore-Parks, in denen Windräder stehen. Zwar ist der Weg bis dahin noch weit. Doch die Technologie könnte nach einiger Zeit auch das Interesse der großen Energieerzeuger wecken.

Epishine

Von Wellen zur Sonne: Die Energie der Sonne möchte das Unternehmen Epishine nämlich speichern. Das klingt nicht neu, doch die Sonnenenergie soll nicht etwa von einer Solaranlage auf dem Dach zu einem Batteriespeicher übertragen werden. Vielmehr möchte CEO Mattias Josephson die Energie auf einem Produkt speichern, das so aussieht wie ein etwas breiter, alter Filmstreifen. In Wirklichkeit sind es aneinandergereihte OLED-Zeilen, die etwa in gebogenen Fernsehern oder Smartphones zum Einsatz kommen. Der Vorteil: Das Material soll vollkommen organisch sein, verspricht Josephson. Und: Die Streifen könnten mit einer Maschine gedruckt werden, die auf einer alten Zeitungsdruckmaschine basiert.

In einem ersten Schritt ist es das Ziel von Epishine, Batterien von Geräten wie Smartphones obsolet zu machen. Die Geräte sollen durch den in den OLED-Streifen gespeicherten Strom geladen werden. Diese könnten sich auf der Rückseite eines Geräts befinden und sogar künstliches Licht im Büro oder Schlafzimmer zum Laden des Smartphones verwenden. Noch weiter in der Zukunft sollen die Filmstreifen überall da zum Einsatz kommen, „wo Solarzellen an ihre Grenzen stoßen“: Als Beschichtung von Dachziegeln, Fenstern oder gar Segeln von Schiffen, wenn es nach Epishine geht.

Northvolt

Was Epishine abschaffen möchte, das will Northvolt produzieren – und zwar in ganz großem Stil: Im nordschwedischen Skellefteå möchte CEO, Gründer und Ex-Tesla-Manager Peter Carlsson eine Batteriezellenfabrik aufbauen. Es soll gleich die größte Europas werden. Dafür benötig sein Start-up in einer ersten Bauphase 1,6 Milliarden Euro bis Mitte des Jahres. „Es sieht gut aus, dass wir die Runde im späten Frühling oder Frühsommer erfolgreich abschließen“, sagt Carlsson. Dann soll seine Fabrik eine jährliche Kapazität von 16 Gigawattstunden haben. „Damit wären wir in der Lage jedes Jahr Batterien für 250.000 bis 300.000 Elektroautos zu produzieren. Für diese Kapazität sind wir beinahe ausgebucht mit Aufträgen von Kunden, mit denen wir Vereinbarungen geschlossen haben“, erklärt der Manager stolz.

Neben dieser prächtigen Ausgangslage hat Northvolt gerade die „European Battery Union“ auf die Beine gestellt, die das Unternehmen gemeinsam mit VW leiten wird. Da gerade asiatische Hersteller von Batterien wie LG, Samsung, CATL oder SK Innovation in Europa erste Schritte machen und sich Marktanteile sichern wollen, braucht es schleunigst eine europäische Antwort. CEO Carlsson ist zuversichtlich, dass in Europa für jeden Wettbewerber Platz ist und wagt schon einen Ausblick ins Jahr 2030: „Bedenkt man den Fortschritt der Fabriken, dann denke ich, dass es 2030 mindestens 10 sogenannte Megafactories in Europa geben wird. Und ich hoffe, dass vielleicht drei davon von Northvolt sein werden.“

Aktuell hat Northvolt durch die vollen Auftragsbücher und eine Partnerschaft mit einem Konzern wie VW gute Chancen von einem Start-up zum großen Zulieferer der Automobilbranche und erfolgreichen Unternehmen aufzusteigen. Und das, obwohl es nur indirekt einen Massenmarkt bedienen würde. Anders als das bei dem Aufstieg von Spotify, Skype oder King der Fall war.

Agricam

Mastitis ist der Name einer häufigen Krankheit von Milchkühen. Wenn diese Entzündung des Euters auftritt, wird sie oft vorher gar nicht bemerkt. Für Landwirte bedeutet Mastitis nicht selten enorme Umsatzeinbußen und im schlimmsten Fall den Verlust der Tiere. Die einzige Behandlung ist das Verabreichen von Antibiotika, das sowohl für das Tier als auch die Erzeugnisse keine wirkliche Lösung darstellt.

Ellinor Eineren möchte der Erkrankung deshalb gemeinsam mit ihrem Start-up vorbeugen. Zweieinhalb Jahre hat sie an Lösungen geforscht, die Tiere ohne Antibiotika zu behandeln. Agricam hat eine Wärmebildkamera entwickelt, die in der Lage sein soll, die Erkrankung vier Tage vorher zu entdecken, bevor sie auftritt. Die Kamera wird im Stall oder auf einer Farm einfach dort angebracht, wo die Kühe häufig vorbeilaufen. Sind sie dann auch noch gechippt, kann eine Software Daten über sie sammeln und erkennt Abweichungen der Daten. So verspricht Agricam den Krankenstand der Kühe von 23 Prozent auf sechs zu reduzieren.

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