Steigende Strompreise Dieser Bäcker zeigt, wie Energiewende funktioniert

Das erste, was am Stammsitz der Bäckereikette Schüren in Hilden ins Auge sticht, sind die vielen Elektroautos, die an den Ladesäulen hängen. Quelle: Frank Beer für WirtschaftsWoche/Laif

Mittelständler sind den steigenden Strompreisen nicht hilflos ausgeliefert. Ein Bäcker aus dem Rheinland hat das Kühlen der Backwaren und Heizen der Öfen auf erneuerbare Energien umgestellt – und sich damit neue Geschäftsfelder erschlossen.

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Dass hier Bio-Brötchen und Öko-Brezeln produziert werden, ist nicht unbedingt auf Anhieb erkennbar. Das erste, was am Stammsitz der Bäckereikette Schüren in Hilden ins Auge sticht, sind die vielen Elektroautos, die an den Ladesäulen hängen. Und das riesige, leicht schräge Pultdach, auf dem eine 170 Kilowatt-Photovoltaikanlage (PV) Strom produziert. Besitzer Roland Schüren, der die 1905 gegründete Backkette 1991 von seinem Vater übernahm, ist noch beschäftigt. Er führt im weißen Kittel und mit Duschhaube eine Gruppe Bäcker-Kollegen aus Süddeutschland durch seine Fabrik. Sie alle interessiert vor allem eines: Wie hat es der Kollege geschafft, seine Strom- und Gaskosten so massiv zu drücken, obwohl die Energie ja immer teurer wird?

„Wir Bäcker sind das energieintensivste Handwerk im Verhältnis zu unseren Umsätzen“, sagt der gelernte Bäckermeister und studierte Betriebswirt. Backöfen brauchen viel Gas, die Kühlung von Teigrohlingen, Obst, Milch, Sahne und Torten wiederum verschlingt enorme Mengen Strom. „Wir arbeiten schon seit elf Jahren am Stromsparen“, sagt Schüren. Inzwischen läuft seine mittelständische Bäckerei mit 250 Mitarbeitern und 19 Filialen in einem ausgeklügelten Energiemanagement-System, das manchen Konzern alt aussehen ließe. 

Schürens Credo: Vorausschauend, am besten antizyklisch  investieren. „Ich habe nie gewartet, bis die Energie einen Preisschub bekam oder neue Gesetze und Abgaben akut drohten“, sagt der 55-Jährige. „Ich habe immer dann in neue Technik wie Photovoltaik und Energie-Speicher investiert, wenn eine alte Anlage sowieso ersetzt oder erweitert werden musste.“

Als Schüren 2010 anfing, sich über Strom- und Gassparen ganz konkrete Gedanken zu machen, waren die Energiekosten noch kein großes Thema. Trotzdem ersetzte er schon Teile seines Gas- und Strombedarfs durch einen Biomasseheizkessel. Der kann neben Pellets oder Hackschnitzeln auch altes Brot verfeuern. „Das machen wir aber inzwischen nicht mehr“, sagt Schüren. Die Reinigung der Rauchgase ist wegen strengerer Auflagen zu aufwendig geworden.  

Den Kern des heutigen Energiesystems der Großbäckerei bildet die große Photovoltaikanlage auf dem Dach. „Auf Solarenergie kommt man als Bäcker nicht unbedingt als erstes, weil wir ja nachts und am frühen Morgen anfangen zu arbeiten, wenn es keine Sonne gibt“, so Schüren. Doch er rechnete weiter und kam auf die Idee, auch seine Lieferwagenflotte auf E-Autos umzustellen. Dann müsste sich das in einem Gesamtkonzept lohnen. „Die könnte ich den ganzen Nachmittag laden, wenn um 13 Uhr die Backöfen ausgehen“, sagt er.

Autohersteller mit Lastenheften traktier

Schüren, der 2013 einer der ersten deutschen Kunden des US-Elektropioniers Tesla war, ließ die Idee nicht mehr los. Nach einigen Ladevorgängen fiel ihm auf, dass selbst die große Tesla-Limousine mit 21 Kilowattstunden pro 100 Kilometer nur knapp die Hälfte der Energie eines Mittelklasse-Diesels auf gleicher Strecke verbrauchte. „Da dachte ich: Verdammt, das muss sich doch auch für die Lieferwagen in der Firma nutzen lassen.“ Das erwies sich aber als schwierig, denn die Autoindustrie hatte damals schlicht noch keine E-Lieferwagen im Angebot. Einige kleine Umrüster in Stuttgart, Hamburg und Wien boten zum Stromer umgebaute Diesel-Lieferautos an: Ab 80.000 Euro. „Bei aller Ideologie – das ist für die ganze Flotte viel zu teuer“, sagt Schüren.

Aber aufgeben wollte Roland Schüren nicht. Er begann, zusammen mit Handwerkern Lastenhefte zu schreiben, wie ein rein elektrischer Lieferwagen aussehen müsste. Was dürfte etwa die Batterie wiegen, um nicht das zulässige Gesamtgewicht zu überschreiten? Wie viel Ladungsgewicht und welche Radien müssten zu schaffen sein? Und natürlich: Was dürfte so ein E-Sprinter kosten, wenn er bei einem Massenhersteller wie Ford oder VW in einigen Jahren in hohen Stückzahlen vom Band laufen würde.

Das war 2017 – und das Ergebnis niederschmetternd. 51 Autohersteller haben das Lastenheft gesichtet, nur VW nicht, aber auch die anderen wichen mit netten Floskeln aus. „Das wäre heute unter einem Herbert Diess wahrscheinlich anders“, sagt Schüren.

Doch die Hartnäckigkeit des umtriebigen Rheinländers zahlt sich inzwischen aus. Mit den Aachener Ingenieurs-Professoren Achim Kampker und Günther Schuh fand Schüren schließlich doch noch Partner, die ihm seine E-Lieferwagen bauten, und zwar für weniger als die Hälfte der teuren umgerüsteten Busse. Streetscooter, das später an die Deutsche Post (und von der inzwischen wieder weiterverkauft) wurde, lieferte ihm das lange ersehnte rein elektrische „Bakery Vehicle One“. Bald gab es neben dem Kastenwagen auch eine Version mit Kühlbox, mit Pritsche und mit Plane. „Jetzt ist für jedes Gewerk etwas dabei“, sagt Schüren, „außer für Dachdecker und Glaser, deren Ladungen sind einfach zu schwer.“ Inzwischen gibt es zahlreiche E-Lieferautos von den traditionellen Autoherstellern, und wer hinter vorgehaltener Hand mit Managern von Nutzfahrzeugherstellern spricht, hört oft Sätze wie diesen eines Ford-Managers: „Ohne positive Nervensägen wie den Schüren wären wir heute nicht so weit.“

Die E-Mail an Elon Musk

„Mission accomplished“ – Mission erfüllt, könnte man meinen. Doch Schüren ist Überzeugungstäter und Pionier. Er will andere an seinen Erfahrungen teilhaben lassen – und hält für die IHK nun am Wochenende Vorträge für andere Handwerker. Er veranstaltet Führungen und beantwortet E-Mails von Kollegen bis tief in die Nacht. Er trat in die Grüne Partei ein und gründete dort, argwöhnisch beäugt von einigen Fundis, deren Kontaktgruppe zur Wirtschaft „Grüner Wirtschaftsdialog e.V." mit. Er sieht sich als Brückenbauer zwischen Mittelstand und Klimaschützern. Es gebe ja anteilig nicht unbedingt zu viele Handwerker und Unternehmer in der Politik, sagt er, „ich kann von Kollege zu Kollege viele Klischees ausräumen.“ Im September will er in den Bundestag.

Inzwischen nehmen seine Energiewende-Aktivitäten so viel Zeit in Anspruch, dass er für die Bäckerei einen Prokuristen eingestellt hat. „Wir ergänzen uns“, sagt Schüren, „ich habe die Visionen, er den Sinn für’s Mach- und Bezahlbare.“ Doch ein Projekt könnte man dennoch als etwas größenwahnsinnig bezeichnen. Als im nahen Autobahnkreuz Hilden bei Düsseldorf ein perfekt gelegenes Grundstück frei wurde, schrieb Schüren eine lange E-Mail an den reichsten Mann der Welt: „Possible Tesla Supercharger Location on Highway-Cross A3/A46 at Hilden, Germany“, lautete die Betreffzeile. Elon Musk selbst hat zwar nie geantwortet, aber der Chef von Teslas Schnellladeinfrastruktur in Europa aus München. Schüren gewann zwei befreundete Unternehmer, kaufte das Grundstück und investiert insgesamt 18 Millionen Euro in Europas bisher größte Ladestation für E-Autos. Zum Projekt gehören noch eine Gärtnerei und eine Backstube. Tesla und den niederländischen Ladesäulenbetreiber Fastned konnte er als Pächter gewinnen. Und mitten im Elektroauto-Schnellladepark gibt es natürlich einen Bio-Backshop, mit Café.

Zwei Rentnerinnen schieben ihre E-Bikes über den schattigen Parkplatz, an dem gut 20 Teslas und sechs andere E-Autos am dicken Kabel hängen. Interessiert betrachten sie das Geschehen. Bewaffnet mit Capucchino und Hörnchen fasst eine schließlich Mut und spricht einen etwa 30-jährigen Teslafahrer an: „Junger Mann, darf ich Sie mal was fragen?“. Schüren beobachtet die Szene breit grinsend, mischt sich aber nicht ein. Er weiß: seine Kunden sind die besten PR-Mitarbeiter. „Was kosten hier so hundert Kilometer, und ist der Strom auch wirklich grün?“, fragt die Dame und blinzelt unter ihrem Fahrradhelm. Der Kunde beantwortet alle Fragen aus dem Effeff, als sei er selber Elektroingenieur oder mindestens Elektroautofachverkäufer. 

Auch hier am Ladepark ist eine lokale Photovoltaikanlage auf den Dächern die Primärenergiequelle. Diese leistet sogar 400 Kilowatt (KW) in der Spitze, demnächst wird sie auf 750 KW ausgebaut. Sie erzeugt den Großteil der Ladeenergie – so viel wie 80 Hausdachanlagen – zumindest im Sommer. Bei Sonne fließt der Strom ohne Umwege in die darunter parkenden Autos. Bei wenig Betrieb füllt die Anlage zwei Batteriepufferspeicher mit zwei Megawattstunden Kapazität – genug, um damit nachts etwa 40 große E-Autos zu laden. Erst wenn das nicht mehr ausreicht, liefern die Stadtwerke Hilden von außen Strom zu.

Gerade große Abnehmer wie Ladeparkbetreiber haben einen eigenen Anreiz, den Stromversorgern entgegenzukommen. Denn Gewerbekunden bezahlen für den Strom aus dem Netz nicht nur den am Zähler abgelesenen Verbrauch in Kilowattstunden, sondern zusätzlich einen sogenannten Leistungspreis, der sich nach den Bedarfsspitzen richtet. Wer ab und zu hohe Leistungen – vereinfacht: viel Strom auf einmal – aus dem Netz zieht, bezahlt mehr als ein Betrieb mit dem gleichen Stromverbrauch, der ohne Lastspitzen auskommt. „Die Pufferbatterie in Zusammenarbeit mit der PV spart uns also bares Geld“, sagt Unternehmer Schüren.

Der Netzanschluss habe dank des Solar-Batterie-Systems um zwei Drittel kleiner ausfallen können als ohne. Das benachbarte Rechenzentrum etwa braucht einen vier Mal so großen, entsprechend teureren Netzanschluss. Bei den Stadtwerken Hilden, die den Ladepark an ihr Netz angeschlossen haben, sind die Ingenieure voll des Lobes für Schüren: „Wenn alle Mittelständler so viel mitdächten und so viel Eigeninitiative zeigten, wäre der Netzausbau für die Energiewende ein deutlich kleineres Problem“, sagt Daniel Heuberger, Chef der Netzsparte. 

Zurück in der rund fünf Kilometer entfernten Großbäckerei: Zur PV-Anlage auf dem Dach kommt hier inzwischen ein ausgeklügeltes Wärme-Tausch-System. Eine wassergekühlte Kälteanlage nutzt im Sommer die natürliche Erdkühle von konstanten 14 Grad aus bis zu 99 Meter Tiefe mit Erdsonden. Zusätzlich hat Schüren unter dem Kundenparkplatz in etwa einem halben Meter Tiefe hunderte Meter von Wasserrohren in engen Serpentinen verlegen lassen. „Wasser speichert viel mehr Energie als Luft, die Leitung holt uns im Winter die nötige Kühlenergie einfach vom Parkplatz in die Backstube rein“ , sagt Schüren. Aus den Rauchgasen der Biomasseheizkessel und aus der „Schwadenabwärme der Backöfen“ holt eine Wärmerückgewinnungsanlage weitere Energie. „Wir nutzen sie nicht nur zum Heizen, sondern sie betreibt auch einige zuvor elektrische Verbraucher wie die Gewerbespülmaschinen und zwei Kochwasserbereiter.“

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Insgesamt, sagt Schüren, habe er so seinen Strom- und Gasverbrauch halbiert und „unsere CO-Emissionen um 90 Prozent. Man kann grob sagen, dass man etwa ein Drittel mehr als für eine konventionelle Energietechnik ausgeben muss; dafür spart man enorme laufende Kosten.“ Etwa 30.000 bis 40.000 Euro Energiekosten spare er im Jahr, sagt er. „Seit die CO2-Preise nun richtig auf Heizöl und Gas durchschlagen, fühle ich mich ein bisschen wie ein Krisengewinner.“

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