Jedes Mal, wenn Harald Schrimpf in den vergangenen Wochen Berlin via Flugzeug verließ, hatte er die Wachstumsperspektiven seines Unternehmens bildlich vor Augen: „Stromnetze? Ja bitte! Neue Stromnetze sind für die Energiewende unverzichtbar“, steht in großen schwarzen Lettern auf einem drei mal drei Meter großen Leuchtplakat in der Abflughalle des Flughafens. Absender des Appells ist das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie.
Berliner Programmschmiede
Schrimpf ist Chef des Softwareentwicklers PSI aus Berlin. Das im TecDax notierte Unternehmen steuert mit seinen Programmen eben diese Stromnetze. Doch die Trassen müssen wegen der verstärkten Einspeisung von Wind- und Solarstrom dringend aus- und umgebaut werden. Und je mehr Strom dezentral eingespeist wird, desto komplizierter wird die Steuerung – was PSI aufgrund seiner Marktführerschaft zusätzliche Aufträge einbringen dürfte.
Die Energiewirtschaft in Deutschland steht vor gewaltigen Umwälzungen. Die bisherige Politik, die auf Atomstrom setzte, nutzte vor allem den großen Energieerzeugern. Die jetzt favorisierten erneuerbaren Energien bieten jedoch auch mittelständischen Unternehmen hervorragende Möglichkeiten. Windkraft, Fotovoltaik, E-Mobilität, Netzausbau und Wärmedämmung werden die Energiepolitik der kommenden Jahre und Jahrzehnte bestimmen. Obwohl auch hier Konzerne wie Siemens, Bosch oder Hochtief kräftig mitmischen, hat der Mittelstand beste Voraussetzungen, von der Energiewende zu profitieren: Unternehmen wie Lapp, die Solaranlagen und Windräder verkabeln, Krinner, der riesige Solarparks mit Schraubfundamenten versorgt, Energy & Meteo mit ihren Windvorhersagen oder eben PSI.
Der mittelständische Softwareanbieter mit 1000 Mitarbeitern und 170 Millionen Euro Umsatz ist ein wichtiger Partner für Energiekonzerne und Netzbetreiber. In den vergangenen Jahren hat PSI vor allem für die Steuerung von Hochspannungsnetzen neue Programme entwickelt, die in den riesigen Leitwarten der Versorger zum Einsatz kommen. Jetzt sind die Mittel- und Niederspannungsnetze dran, also jene Netze, die die regionale und lokale Stromversorgung übernehmen. Das Potenzial ist enorm: Das Mittelspannungsnetz ist dreimal größer als das Transportnetz, das Niederspannungsnetz sogar fünfmal so groß.
Intelligentes Stromnetz
Doch die Energiewende, also der Ersatz der stetig produzierenden Atommeiler durch schwankungsanfällige grüne Energiequellen, erfordert nicht nur ein Nachrüsten der Stromautobahnen. Ein intelligentes Stromnetz soll sämtliche Akteure auf dem Strommarkt in ein Gesamtsystem integrieren durch das Zusammenspiel von Erzeugung, Speicherung, Netzmanagement und Verbrauch. Smart Grid heißt das Zauberwort. Hierfür gilt das 1969 gegründete Unternehmen PSI, das 1998 an die Börse ging, als Markt- und Technologieführer.
Dass vor allem der Netzausbau länger dauert als gedacht, schwächt das starke Wachstum bei PSI ab. Die Berliner erwarten für 2011 nur noch 10 bis 11 Millionen Euro operativen Gewinn statt zuvor 13 bis 15 Millionen. „Natürlich kommen uns die Entscheidungen zum Bau neuer Netze zugute“, sagt Vorstandschef Schrimpf. Aber: Es fehle den entscheidenden Marktakteuren am Geld oder am regulatorischen Anreiz. „Wir leiden unter diesem Stop and go.“ Der 47-Jährige berichtet von vielen Projekten, für die Angebote geschrieben und verhandelt seien, allein, es fehlten die Unterschriften unter den Verträgen: „Darauf hoffen wir in den kommenden Monaten.“
Geschäfte mit Gazprom
Dick im Geschäft ist PSI hingegen beim russischen Gasriesen Gazprom. Der hat die Berliner mit der Lieferung der Software für das Leitsystem der nordeuropäischen Gastransportmagistrale Nord Stream onshore beauftragt. Auch das Gazprom-Hauptquartier in Moskau hat PSI kürzlich mit einer Leitwarte ausgestattet. Derzeit wird die Software dort angepasst. „Die Russen sind mit unseren Produkten wohl sehr zufrieden“, sagt Schrimpf, der Elektrotechnik studierte und schon bei Dasa, EADS und Daimler gearbeitet hat. 2002 übernahm er die Leitung bei PSI, just als das Unternehmen von schweren Verlusten und Massenentlassungen gebeutelt war.
Die Zeiten sind vorbei, Schrimpf hat PSI auf Gewinn getrimmt – und das weckt Begehrlichkeiten als Übernahmeziel. Als strategische Investoren kommen Elektro- und Automatisierungskonzerne wie Siemens, ABB, Schneider Electric oder General Electric infrage. Die Aktionärsstruktur macht es Übernehmern allerdings schwer: Der Energiekonzern RWE ist mit 18 Prozent der größte Anteilseigner, rund 25 Prozent der Aktien gehören Mitarbeitern.
Schwäbische Strippenzieher
Liefert PSI die Software für die Energiewende, kümmert sich Lapp um die Hardware, sprich Kabel und Stecker. Das Unternehmen aus Stuttgart hat sein traditionelles Geschäft – flexible und robuste Kabel für Roboter sowie Anlagen der Maschinenbauer – um erneuerbare Energien und Elektromobilität erweitert: „Lohnende Zukunftswelten für unsere Hochleistungskabel“, nennt das Michael Collet, Innovationschef bei Lapp. Um die Umsetzung innovativer Ideen noch effizienter voranzutreiben, wurde in der Gruppe dafür ein eigener Geschäftsbereich gegründet, den Collet seit Oktober vergangenen Jahres leitet.
Vielfältige Einsatzbereiche
Ohne die Kabel und Stecker von Lapp würde sich manches nicht bewegen: Sie stecken in Windmühlenparks, im Transrapid in Shanghai, in rund 40 Abfüllanlagen von Coca-Cola in Europa und in der Bühnentechnik des Bolschoi-Theaters in Moskau. Manchmal helfen schwäbische Kabel sogar Leben retten: Der erste Kontakt zu den 2010 verschütteten 33 Bergleuten in der Mine im chilenischen San José kam über ein Telefon mit einem 700 Meter langen Lapp-Kabel zustande.
Von Innovationen und Zukunftsfeldern ist im Foyer der Zentrale im Stuttgarter Stadtteil Möhringen zunächst wenig zu spüren. Dunkles Holzfurnier, Schummerlicht, eine Fahrstuhltür mit Patina und Wandregale, in denen sich der kiloschwere Produktkatalog mit 40.000 Artikeln stapelt. Mehr als 600 Leute arbeiten hier, weltweit sind es 2800. Der Umsatz lag 2011 bei 630 Millionen Euro.
Darlehensprogramme für grüne Investitionen
Die KfW Bankengruppe in Frankfurt unterstützt Energieeffizienzmaßnahmen gewerblicher Unternehmen mit zinsgünstigen Darlehen. Die Höhe beträgt bis zu 100 Prozent der förderfähigen Investitionskosten, in der Regel bis zu 25 Millionen Euro pro Vorhaben.
Die Düsseldorfer NRW-BANK fördert Unternehmen bei der Einführung von energie- und ressourcenschonenden Maßnahmen mit Darlehen. Die Höhe beträgt bis zu 100 Prozent der förderfähigen Ausgaben, mindestens aber 25.000 Euro und höchstens fünf Millionen Euro, Laufzeit vier bis zehn Jahre.
Die LfA Förderbank Bayern in München unterstützt Umweltschutzinvestitionen in Bereichen wie Abwasserreinigung, Luftreinhaltung, Energieeinsparung sowie Nutzung erneuerbarer Energien. Der Finanzierungsanteil des Darlehens beträgt in der Regel bis zu 50 Prozent der förderfähigen Kosten. Der Höchstbetrag liegt bei einer Million Euro.
Die Sächsische Aufbaubank in Dresden vergibt Zuschüsse für Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz, zur Nutzung erneuerbarer Energien sowie zur Verbesserung der Umweltverträglichkeit von Anlagen. Die Höhe beträgt maximal 75 Prozent der zuwendungsfähigen Ausgaben.
Um den Energieeinsatz deutlich zu vermindern und eine zusätzliche Nutzung erneuerbarer Energieträger zu verwirklichen, unterstützt die Staatsbank für Baden-Württemberg in Stuttgart die rationelle Energieverwendung und den Einsatz erneuerbarer Energieträger. Die Förderung wird in Form eines langfristigen zinsverbilligten Darlehens gewährt. Der Finanzierungsanteil beträgt bis zu 75 Prozent der förderfähigen Ausgaben. Die Höhe des Darlehens liegt in der Regel bei mindestens 10.000 Euro.
Auch Collet gehört mit seinen 46 Jahren fast schon zum Inventar des von Oskar Lapp 1959 gegründeten Unternehmens. Der Industriekaufmann und Betriebswirt ist seit 18 Jahren bei Lapp. 1997 ging Collet für Lapp nach Südkorea, wo er seine Leidenschaft für regenerative Energien entdeckte: Unter seiner Führung wurden in Korea die Fotovoltaikleitungen Ölflex Solar entwickelt, die sich rasch zum Verkaufsschlager entwickelten.
Geschäfte mit Wind und Sonne
So sind etwa die 130.000 Solarmodule im Solarpark Preschen im südlichen Brandenburg mit knapp 150 Kilometern Ölflex-Solar-Strippen verkabelt. Das Produkt zeichne sich laut Collet durch eine besonders hohe Belastbarkeit bei Temperaturen von minus 40 bis plus 120 Grad Celsius aus. 1200 Kilometer der robusten Strippen verkabeln auch in der thailändischen Provinz Lop Buri eine der größten Solarfabriken der Welt mit 540.000 Dünnschicht-Modulen und einer Leistung von 55 Megawatt.
Neben dem Solargeschäft engagiert sich Lapp auch bei der Windenergie und tüftelt zum Beispiel mit dem dänischen Windmühlenhersteller Vestas an Steckern und Kabeln, die weniger anfällig gegen Blitzeinschlag oder Salzwasser sind. Dies sei jedoch im Vergleich zur Fotovoltaik noch ein Nischengeschäft für Lapp, sagt Collet.
Sein nächstes großes Thema ist die Elektromobilität. Die Autoindustrie benötigt dafür in Sachen Kabel und Stecker neues Know-how, denn bisher fuhren Autos mit 12-Volt-Batterien. In einem Elektroauto herrschen aber Spannungen von mehreren 100 Volt, und es fließen enorme Ströme aus den Batterien in die Elektromotoren.
Norddeutsche Windflüsterer
Zu wenig Wind ist schlecht, zu viel ist wiederum auch nicht gut. Denn einmal gibt es viel, dann wieder weniger Strom. Durch den natürlichen Wechsel der Wetterlagen sind die erneuerbaren Energien großen Schwankungen unterworfen – ein Problem vor allem für die Energiekonzerne, die für beide Fälle gewappnet sein müssen. Ein Unternehmen, das hilft, dieses Problem zu lösen, sitzt in Oldenburg und heißt Energy & Meteo System, kurz Emsys.
Matthias Lange hat Emsys 2004 mit seinem Mitstreiter Ulrich Focken gegründet. Was als Duo in einem kleinen Büro begann, haben die Gründer in weniger als einem Jahrzehnt zu einem der weltweit führenden Dienstleister für Windleistungsvorhersagen ausgebaut. Heute arbeiten in den Büros im Technologie- und Gründerzentrum Oldenburg 30 Leute: Meteorologen, Physiker, Informatiker. Der Umsatz liegt im einstelligen Millionen-Euro-Bereich.
Detallierte Prognosen
Weltweit nutzen immer mehr Windmüller die von Emsys entwickelten und verfeinerten Prognosemodelle, mit denen auf den großen Rechnern in Oldenburg die Vorhersagen im Viertelstundentakt erstellt werden – und das bis zu zehn Tage im Voraus. Dabei ist und bleibt das Wetter eine komplexe Materie, kein noch so guter Meteorologe kann exakt prognostizieren, was sich in der Atmosphäre zusammenbraut.
Die beiden Gründer lernten sich beim Physikstudium in Oldenburg kennen. Der 40-jährige Lange beschrieb in seiner Dissertation eben diese Unsicherheiten bei Windleistungsprognosen, der zwei Jahre ältere Focken untersuchte die meteorologischen Einflüsse auf die Windleistung. Was beide herausfanden, wurde zur Grundlage ihres Geschäftsmodells.
Die Kunst bestehe darin, die Abweichungen so gering wie möglich zu halten, sagt Lange. Das gelingt den Oldenburgern offenbar sehr gut. „Wir sagen derzeit etwa ein Viertel der weltweit produzierten Windenergie vorher, das sind 55 Gigawatt von weltweit etwa 220 Gigawatt auf mehreren Kontinenten: Europa, Nordamerika und Australien“, sagt Lange.
Die Vorhersagen fallen erstaunlich genau aus: Bezogen auf die in Deutschland installierten 28.000 Megawatt liegen sie im Schnitt für den kommenden Tag nur um etwa 1000 Megawatt schief. Am selben Tag ist die Abweichung der Vorhersage nochmals deutlich geringer. „Wir haben die besten Windleistungsvorhersagen für Deutschland“, sagt Lange selbstbewusst.
Dies jedenfalls habe die Auswertung eines Kunden im vergangenen Jahr ergeben, der mehrere Anbieter verglich. „Wie Emsys die Vorhersagen im Detail berechnet, bleibt ihr Betriebsgeheimnis. Für uns ist wichtig, dass die Ergebnisse äußerst zuverlässig sind“, sagt Ansgar Wetzel, Netz-Manager bei E.On Bayern in Regensburg.
Zu den Kunden der Oldenburger zählen Übertragungsnetzbetreiber wie Tennet, 50Hertz oder Amprion, Energieversorger wie EnBW, E.On und EWE sowie Direktvermarkter von Ökostrom wie das Berliner Unternehmen Grundgrün. Zusätzlich erstellen die Oldenburger auch Prognosen für die Solarbranche, denn die Zahl der Sonnenstunden lässt sich ebenso ermitteln wie die Windstärke. Nebenbei entwickeln die Windflüsterer aus Oldenburg Konzepte für Smart Grids, die intelligente und dezentrale Vernetzung von Strom- und Speicherquellen.
Niederbayrische Schrauber
Den Namen Krinner verbindet kaum jemand mit erneuerbarer Energie. Fast jeder hat ein Produkt des Unternehmens aus dem niederbayrischen Straßkirchen daheim: den Christbaumständer mit der idiotensicheren Seilzugtechnik. Gründer Klaus Krinner erfand den Ständer Ende der Achtzigerjahre, ließ ihn patentieren und ist allen Nachahmern zum Trotz immer noch unschlagbar bei dieser Art der Befestigung. Das Stammgeschäft des 1990 gegründeten Unternehmens ist heute immer noch rund 20 Millionen Euro Umsatz schwer.
Weit mehr Erlöse, insgesamt 54 Millionen Euro, holt der 73-jährige Krinner jedoch mit seinem zweiten Standbein herein, den Schraubfundamenten. Ursprünglich baute Krinner diese für den Bereich Holz- und Hallenbau sowie Werbe- und Verkehrstechnik.
Jetzt gewinnt das Geschäft mit der Fotovoltaik an Bedeutung. Um die Solarmodule zu befestigen, werden Stahlgestänge auf einem Fundament befestigt, welches mit riesigen Schrauben im Boden verankert wird. Das Schrauben bietet wesentliche Zeit- und Kostenvorteile gegenüber der bisherigen Praxis, denn zeitaufwendiges Buddeln und Betonieren entfällt. „Die betonlose Fundamentierung ist die umweltschonende Lösung zur Gewinnung von Sonnenenergie“, sagt Krinner-Geschäftsführer Hans-Jürgen Sauter. Die Schraubfundamente seien rückbaubar und sogar wiederverwendbar.
Gewappnet für die Energiewende
Das Schraubfundament wird per Eindrehwerkzeug oder eigens dafür entwickelten Maschinen binnen Minuten punktgenau und senkrecht im Boden verankert: mit Schrauben, die bis zu 4,5 Meter lang sind und einen maximalen Durchmesser von 22 Zentimetern haben.
Mehr als 800 Megawatt Fotovoltaikleistung, so viel wie ein kleiner Atommeiler, wurden bereits auf den Schraubkonstruktionen von Krinner installiert. Damit zählt sich die Gruppe mit 150 Mitarbeitern in Deutschland und Europa zu den Marktführern bei der installierten Leistung, aber auch in puncto Innovationen und Montagetechnik.
Um diese Stellung auszubauen, wurde 2011 in Straßkirchen kräftig investiert: Mehr als fünf Millionen Euro kostete eine neue Produktionshalle. Die Energiewende kann kommen, Krinner und der deutsche Mittelstand sind gewappnet.