Weltmarktführer Arri Dieser Mittelständler ist der heimliche Sieger der Oscar-Verleihung

Oscars: Dieser Mittelständler steckt in fast jedem Preisträger Quelle: REUTERS

Kinogängern ist Arri wenig bekannt, aber die besten Kameraleute der Welt schätzen die Technik. Arri ist Weltmarktführer bei Filmkameras und Beleuchtungstechnik am Set – und steckt in fast jedem Oscar-Nominierten und dem Preisträger „Beste Kamera“.

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Der Kriegs-Film „1917“ von Regisseur Sam Mendes ist eine Augenweide für Cineasten – und eine Zumutung für jeden Kameramann. Zwei britische Soldaten schlagen sich im Ersten Weltkrieg durch deutsches Feindesgebiet. Die Kamera begleitet die Protagonisten durch Schützengräben, in Häusern und über Brücken, ist „fast ständig in Bewegung“, schreibt das Fachblatt filmstarts.de. Die längste Sequenz ohne Schnitt: elf Minuten. Zum Vergleich: Eine durchschnittliche Hollywood-Sequenz dauert zehn Sekunden.

„1917“ ist ein so genannter One-Shot-Film. Er hatte beste Chancen, bei den Academy Awards eine der bedeutendsten Trophäen der Filmindustrie abzuräumen. Ein Weltkriegsdrama, nominiert für die Kategorien „Bester Film“, „Beste Regie“, „Beste visuelle Effekte“, „Beste Tonmischung“ und „Beste Kamera“. Am Ende gewann der Film die Auszeichnungen für Tonmischung und visuelle Effekte sowie den Oscar für die „Beste Kamera“. Damit stand mit „1917“ auch ein Mittelständler aus Bayern im Rampenlicht: Der Film wurde mit der Kamera „Alexa Mini LF“ der Firma Arri gedreht.

Für das Unternehmen aus München dürfte die Oscar-Verleihung nicht nur wegen „1917“ ein großer Triumph sein. Acht der neun für den „Besten Film“ Nominierten wurden mit Arri-Technik produziert. Auch bei der für das Unternehmen besonders wichtigen Kategorie „Beste Kamera“ ist bei drei der fünf Nominierten „Arri Inside“. Das Unternehmen hat auch die meisten Nominierten in den Kategorien „Beste Regie“, „Beste visuelle Effekte“ und „Bester fremdsprachiger Film“ mit analoger oder digitaler Kameratechnik ausgestattet – unter anderem Filme wie „The Irishman“, „Avenger: Endgame“ und „Joker“. Den meisten gelegentlichen Kinogängern dürfte das Unternehmen dennoch weniger bekannt sein. Dabei ist der Mittelständler seit Jahrzehnten Weltmarktführer bei Filmkameras und Beleuchtungstechnik.

Roger Deakins gewann mit dem Oscar für die beste Kamera einen von drei Oscars für das Kriegsdrama „1917“. Quelle: REUTERS

Der Mann an Arris „1917“-Kameramann: Roger Deakins, den Cineasten als möglicherweise Besten seines Berufszweigs bezeichnen. Für den frisch gebackenen Oscar-Preisträger, der laut filmstarts.de Spitznamen wie „Kameragott“ und „Meister über Licht und Schatten“ trägt, war der Film eine besondere Herausforderung. „Teilweise musste mitten in der Szene, ohne dass es der Zuschauer bemerkt, die Kamera vom Kran genommen, an ein Kabel gehängt, von dort wieder abgenommen und getragen werden oder sogar zwischendrin auf ein Fahrzeug gewechselt werden, um von dort zu filmen“, schreibt das Fachblatt.

Dafür brauchte Deakins eine besonders leistungsstarke und gleichzeitig leichte Kamera. Ein solches Modell war kurz vor Produktionsstart allerdings noch gar nicht auf dem Markt. Deakins machte sich deshalb auf den Weg nach München. Arri habe der Crew „drei Prototypen zur Verfügung gestellt“, schreibt Deakins auf Anfrage der WirtschaftsWoche. Der Brite habe sich bewusst für die Alexa Mini LF-Kamera entschieden – wegen der „extra hohen Auflösung“ und der „besonderen Optik“, die das Format biete. Seit Jahrzehnten ist der 70-Jährige ein Kunde der Münchner. „Ich habe immer Arriflex-Kameras benutzt.“

Für Arri-Co-Chef Markus Zeiler ist langjährige Kundennähe zu Regisseuren und Kameraleuten ein wichtiger Mosaikstein für den Erfolg des Unternehmens. Arris Umsatz bewegt sich auf eine halbe Milliarde Euro zu. Es produziert und verleiht Kamera- und Beleuchtungs-Sets. Zeiler ist Vorstand unter anderem für die Geschäftsbereiche Kamerasysteme, Licht, Verleih- und Mediengeschäft. Das Unternehmen lädt etwa Crews aus der ganzen Welt regelmäßig zu mehrtägigen Events an die Isar ein. Dort testen Kameraleute die neusten Arri-Produkte und beschreiben, wie sie Filme machen wollen. An solchen Tagen treffen deutsche Ingenieure auf internationale Kreative. Mal müssten Bilder „cremig“ sein, „flacher“ wirken oder schlicht „knackiger“ sein, sagt Zeiler. Auf dieser Basis entwickeln Arri-Techniker die nächste Generation von Kamera- und Lichttechnik.

Im Februar 2019 etwa kamen Crews aus aller Welt in die Alpen, um im Markus-Wasmeier-Freilichtmuseum drei Tage lang Beleuchtungstechnik zu testen. 50 bis 60 Leuten seien vor Ort am Schliersee gewesen – aus Japan, Norwegen, den USA und Deutschland. Vier Lkw mit zwei Tonnen Equipment. „Die haben Spaß und wir den Mehrwert“, sagt Zeiler. Im Podcast-Interview der WirtschaftsWoche verrät der Arri-Manager auch kulturelle Unterschiede. Eine amerikanische Crew „räumt erst mal den ganzen Lastwagen leer und fragt sich: Okay, was brauchen wir jetzt?“ Die deutsche Crew diskutiere im Vorfeld erst mal 15 bis 30 Minuten, was man überhaupt filmen wolle und brauche. Asiatischen Gruppe legten „gleich mal los“. Zeiler: „Es gibt kein gut oder schlecht, sondern einfach anders.“ Arri erkenne so aber, was den Kreativleuten wichtig ist.

Besonders aufmerksam dürften die Arri-Mitarbeiter die diesjährige Oscar-Verleihung übrigens nicht nur wegen „1917“ verfolgt haben. Arri steckt auch im Film „Joker“ drin. Die tragische Erzählung über einen gescheiterten Berufs-Clown in den 1980er-Jahren ist in zahlreichen Kategorien nominiert, unter anderem „Bester Film“, „Beste Kamera“ und „Bester Schauspieler“. (Letztere ging an den „Joker“-Hauptdarsteller Joaquin Phoenix.) Das Drama von Regisseur Todd Philips und Kameramann Lawrence Sher wurde mit einer Alexa 65 gedreht – der wohl teuersten Filmkamera der Welt. „Da kann man eigentlich kein Preisschild dran machen“, sagt Arri-Co-Chef Zeiler. Mehrere Hunderttausend Euro würde so eine Kamera kosten, deshalb ist sie unverkäuflich. „Die Alexa 65 kann man nur mieten.“

Sie wurde vor vier Jahren eingeführt und hat einen so genannten 65-Millimeter-Sensor. Die Kamera habe „eine Bildqualität, die sonst nicht erreichbar ist“, sagt Zeiler. Ursprünglich sei die Alexa 65 entwickelt worden, um Landschaften aufzunehmen. Es habe sich aber herausgestellt, das sie sich besonders gut für Close-ups eignet. Die Art, wie die Kamera Gesichter darstelle, sei besonders. „Joker“-Kameramann Sher habe Zeiler vorgeschwärmt: „It wraps around the face.“

Die Auszeichnung „Beste Kamera“ bekommt natürlich Deakins, indirekt färbt die Trophäe auch auf Arri ab. Bislang erhielt das Münchener Unternehmen selbst 19 Technik-Oscars. In der Münchner Firmenzentrale stehen einige Gold-Exemplare in gesicherten Vitrinen. Sie stehen auch für den tiefen Wandel, den das Unternehmen durchgemacht hat. Vor rund zehn Jahren war das Unternehmen fast am Ende. Zum einen wegen der Finanz- und Wirtschaftskrise, die auch Arri getroffen hat. Hinzu kam der technologische Wandel von analoger zu digitaler Technik und ein Streik von Drehbuchautoren in den USA. „Innerhalb einer Woche wurde keine analoge Kamera mehr verkauft und das ging dann neun Monate lang so weiter“, sagt Zeiler. Arris Glück: Die Firma hat zu der Zeit bereits an den ersten Prototypen der Digitalkamera gearbeitet, die später den Namen Alexa bekommen hat. Die kam 2010 auf den Markt – es war „der große Durchbruch“. 2017 wurde Arri für das innovative Digitalkamerasystem Alexa mit einem Technik-Oscar ausgezeichnet.

Die Konkurrenz ist hart. Start-ups aus den USA, wie das Unternehmen Red, und eingesessene Konzerne wie Nikon, Canon und Sony produzieren ebenfalls hochwertige Kameras für Hollywood. In der Kategorie „Bester Film“ ist Quentin Tarantinos Film „Once upon a time in Hollywood“ nominiert. Der Film wurde mit Kameras von Panavision gedreht.

Maßgeblich für den bisherigen Erfolg der Münchener sei aber nicht nur das Interesse Hollywoods, sondern auch die Stabilität, die der Eigentümer dem Unternehmen gebe. Arri ist ein echter Familienbetrieb und gehört den Nachfolgern des Gründers Richter. „Der Eigentümer steht voll hinter uns“, sagt Co-Chef Michael Neuhäuser. Es gebe „eine sehr starke Bindung“. Gegründet wurde das Unternehmen einst von den beiden Freunden August Arnold und Robert Richter, aus deren Nachnamen sich der Firmenname Arri ableitet. Gründungsjahr: 1917.

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