Goldschmidt Thermit Group: 127 Mio. Euro Umsatz, knapp 1000 Mitarbeiter
Ihrem Ururgroßvater Hans Goldschmidt sollten noch viele Kindeskinder auf Knien danken. 1895 meldete er ein chemisches Verfahren zum Patent an, das noch heute führend am Weltmarkt ist. Denn: Schienen werden beim Eisenbahnbau am Stück angeliefert, der Bahnreisende soll aber auch bei hohem Tempo kein Ratatata spüren, wenn eine neue Schiene angesetzt wurde. Das Leipziger Unternehmen Goldschmidt Thermit bietet dafür seit 120 Jahren die Lösung, nämlich Blecheimer oder Portionspäckchen in DIN-A 4-Größe, in denen sich viele dunkelgraue mit wenigen weißen Körnchen mischen – das sogenannte Thermit. Mit dieser Eisen-Aluminium-Mischung lassen sich Schienen verbinden, indem sie nicht geschweißt, sondern in einer Hohlform vergossen werden. Beide Enden werden erhitzt, das Granulat von oben hinzugefügt, und bei bis zu 3000 Grad verschmelzen die Enden nahtlos. 2014 geschah das weltweit rund 1,5 Millionen Mal.
Der alte Goldschmidt erfand das Coca-Cola-Rezept seiner Branche. Nur das Unternehmen kennt die genaue Mischung, die Arbeit damit ist komplex und hochsicherheitsrelevant, aber sie sichert dem Konzern noch heute mehr als die Hälfte des Weltmarktes. Messgeräte und Seviceleistungen ergänzen mittlerweile das Programm.
Das chemische Know-how alleine hätte nicht gereicht, um als Unternehmer 120 Jahre zu überleben. Es liegt an der Gründerfamilie Goldschmidt, bei der klappt, was im Osten Deutschlands selten ist: Sie leitet das Unternehmen in vierter Generation. Mehr als 30 Familienmitglieder in Europa und Amerika bündeln ihre Anteile in einer Vermögensverwaltungsgesellschaft. Hans’ Ururneffe sitzt dem Aufsichtsrat vor.
Hans-Jürgen Mundinger sitzt heute der Geschäftsführung vor. Der Manager, zuvor bei vielen Westmaschinenbauern am Ruder, sagt: „Wir sind sehr glücklich mit dieser Familie. Sie hat Eisenbahn im Blut, hält mit hohem Einsatz zusammen und verlangt nicht, dass wir den ganzen Gewinn ausschütten.“ Er sagt es nicht, aber es schwingt mit: Die ticken so ganz anders als die Oetkers oder Haniels dieser Republik.
Das liegt an den schmerzhaften Erfahrungen der Goldschmidts. Während des Ersten Weltkriegs wurden alle Auslandsgesellschaften beschlagnahmt und enteignet. Aus einer der enteigneten Gesellschaften entstand ausgerechnet der auch heute noch größte Konkurrent auf dem Weltmarkt.
Familie Goldschmidt betrieb in den folgenden Jahren das Thermitgeschäft vom Werk Essen aus und übernahm 1922 das Werk Halle. 1946 griffen sich die DDR-Mächtigen das Werk bei Halle und erklärten es zum volkseigenen Betrieb Plastwerk. Goldschmidt baute derweil von Essen aus unverdrossen ein weltweites Firmennetz auf und bewahrte bis zur Wende über Jahrzehnte Geduld.
1990 kaufte die Familie einen Teil des beschlagnahmten Werks zurück und eröffnete soeben ein zentrales Forschungszentrum in Leipzig, wo auch die zentrale Holding der mehr als 20 Einzelunternehmen sitzt.
Von großen Unterschieden für Unternehmen in Ost und West mag der Ostchef aus dem Westen nichts mehr hören. Das sei längst vorbei. Kanzler Kohl habe sich nur in der Zeitachse vertan: Er habe Jahre mit Generationen verwechselt.