Windenergie Rettung auf hoher See

Ambau zählt zu den Gewinnern der Energiewende. Der ehemalige DDR-Stahlbauer liefert heute Konzernen wie Repower und Areva die Türme für Windgeneratoren.

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Bundesumweltminister Norbert Roettgen im Juli 2010 in einem liegenden Pfeiler einer Offshore-Windkraftanlage im Werk des Herstellers Ambau in Cuxhaven. Der ehemalige Stahlbauer produziert heute Türme für Windgeneratoren. Quelle: APN

Sascha Stepputat bewegt mit seinem Zeigefinger einen zehn Tonnen schweren Stahlring, als sei er leicht wie eine Feder. Alles, was der gelernte Schweißer dazu braucht, ist ein Joystick. Mit ihm manövriert er das runde Riesenteil durch die Produktionshalle zu seinem Schweißgerät. „Da ist schon Präzision gefragt“, sagt der 25-Jährige.

Stepputat zählt zu den 856 Mitarbeitern der Firma Ambau, die im niedersächsischen Cuxhaven die stählernen Türme baut, auf denen sich Windräder drehen, um Strom zu erzeugen. Stepputat klettert in die Stahlröhre mit sechs Meter Durchmesser und lässt die Funken fliegen. Er verschweißt einen „Schuss“. So nennen die Ambau-Arbeiter die einzelnen Elemente, die sich am Ende zu einem 250 Tonnen schweren Windturm fügen. Auf ihm wird dann der Windanlagenbauer Repower auf hoher See den Generator und die Rotorflügel montieren. Wenige Wochen später soll die 68 Meter hohe Anlage im Windpark Nordsee Ost 30 Kilometer nördlich von Helgoland stehen.

Immer mehr Windkrafträder an deutschen Küsten

Der Mittelständler Ambau ist ein Gewinner der Energiewende. Der Spezialist für sogenannte Offshore-Windkrafttürme, die auf hoher See errichtet werden, hat sich in der jungen Branche schon jetzt einen Ruf erarbeitet, auf den sich Konzerne wie die Windanlagenbauer Repower oder Areva verlassen. Unternehmenschef Joachim Görlitz hat aus einem siechenden Metallbauer aus Ostdeutschland einen wichtigen Player der Windenergiebranche mit fünf Standorten und 140 Millionen Euro Jahresumsatz (2010) gemacht.

Beim ersten deutschen Windpark namens Alpha ventus, einem Erprobungsprojekt westlich von Borkum, hat Ambau sämtliche Türme zusammengeschweißt. Beim bislang größten deutschen Offshore-Park, BARD Offshore 1, knapp 90 Kilometer nordwestlich von Borkum, stammt mehr als die Hälfte der Türme aus dem Cuxhavener Werk.

Und es dürften noch viele weitere dazukommen. Denn im neuen Energiekonzept der Bundesregierung nehmen Offshore-Windparks eine zentrale Rolle ein. Bis 2030 sollen Windkrafträder vor Deutschlands Küsten insgesamt 25 000 Megawatt Strom erzeugen und damit mehr Energie produzieren als sämtliche deutschen Atomkraftwerke.

Neu in der Unternehmerwelt

Bilder vom Bau des Windenergieparks BARD Offshore 1 im Juli 2010. BARD Offshore 1 war erste deutsche kommerziell betriebene Offshore-Windpark. Quelle: dpa

Bis dahin allerdings ist es noch ein weiter Weg. Zurzeit produzieren die Windräder auf See weniger als ein Prozent des gesamten Windstroms. Und der Aufbau läuft schleppend, auch weil „die Unternehmen die schwierigen Bedingungen auf der hohen See unterschätzt haben“, sagt Holger Fechner, Analyst der Nord/LB.

Ambau-Chef Görlitz sieht das gelassen: Die Auftragsbücher sind voll. Nach seinen Angaben hält Ambau beim Bau von Offshore-Türmen der Fünf-Megawatt-Klasse derzeit in Europa einen Marktanteil von 80 Prozent. Rund 600 Türme setzt Ambau in diesem Jahr ab. Neben den Türmen fertigt das Unternehmen auch stählerne Verankerungen für die Windkraftwerke – und erhielt dafür erst kürzlich einen Großauftrag.

Weil in Cuxhaven bereits im Drei-Schicht-Betrieb produziert wird, möchte Görlitz neben dem Cuxhavener Werk demnächst ein weiteres errichten. „Wenn es nach uns geht, sollen die Bagger noch im Dezember rollen“, sagt Görlitz.

In welche Offshore-Windparks Ambau seine Anlagen liefert

Das Vater-Sohn-Geschäft

Mit so viel Geschäft hatte Görlitz vor zehn Jahren nicht gerechnet. Sein Unternehmen stand am Abgrund. Dabei war er nach dem Zusammenbruch der DDR noch voller Optimismus in die Selbstständigkeit gestartet. Zusammen mit seinem Vater erwarb er bei der damaligen staatlichen Treuhandanstalt ein bis dahin volkseigenes Stahlbauunternehmen im brandenburgischen Mellensee südlich von Berlin.

Das Geschäft war Vater und Sohn bestens bekannt: Görlitz senior hatte jahrelang im volkseigenen Stahl- und Walzwerk Brandenburg die Instandhaltungsabteilung mit 2000 Mitarbeitern geleitet. Sein Junior Joachim lernte Stahlarbeiter und studierte nach seiner Ausbildung Maschinenbau. Beim Kauf verpflichteten sie sich, die 35 übernommenen Mitarbeiter weiter zu beschäftigen, und versuchten es mit dem Bau von Stahlteilen für Brücken, Abgasanlagen und Kraftwerke.

Plan im Gepäck

Der Windpark BARD Offshore 1 in der Nordsee im August 2011. Er ist der erste kommerzielle Offshore-Windpark und liegt etwa neunzig Kilometer vor der ostfriesischen Insel Borkum (Kreis Leer). Die Anlage soll bis auf achtzig Windkrafträder ausgebaut werden und eine Nennleistung von 400 Megawatt liefern. Die EU fördert den Park mit 53 Millionen Euro. Quelle: dpa

Doch die Geschäfte der neuen Firma namens Ambau liefen mehr schlecht als recht. „Bis 2001 war unser Erfolg das Überleben“, sagt Görlitz heute. „Damals sind fast täglich Baufirmen wie Ambau vom Markt verschwunden.“ Dann aber besuchte Görlitz im September 2001 die Windenergiemesse im schleswig-holsteinischen Husum. Was er dort sah, beeindruckte ihn so sehr, dass er mit einem neuen Businessplan im Gepäck nach Brandenburg zurückkehrte und das gesamte Unternehmen auf den Kopf stellte.

Statt acht verschiedener Produkte stellte Ambau von nun an nur noch eines her: Türme für Windkraftwerke. „Mir war sofort klar, dass es zu den alternativen Energien keine Alternative geben würde“, erinnert sich Görlitz junior. Sein Vater schied daraufhin aus dem Unternehmen aus – nicht nur aus Altersgründen. „Die Sache mit dem Wind“, sagt der Sohn, „war ihm auch zu windig.“

Eine goldrichtige Entscheidung

Mit seiner Entscheidung lag Görlitz goldrichtig. Bald lieferte Ambau die ersten Stahlteile für Windkraftwerke an Land. 2003 verkaufte Görlitz bereits rund 180 Türme. Ein Jahr später erwarb er in Bremen eine Fabrikhalle auf dem Gelände der ehemaligen Vulkan-Werft, von wo aus
sich seine Windtürme verschiffen ließen. Die Geschäfte auf hoher See liefen gut an. So gut, dass Görlitz 2008 ein neues Werk in Cuxhaven eröffnete. Hier wurden fortan die Türme für Strommühlen der Fünf-Megawatt-Klasse gebaut, die vornehmlich in den Windparks auf dem Meer errichtet werden.

Um auch von der Wartung seiner Produkte zu profitieren, gründete Görlitz zudem die Ambau Windservice. Denn Wind- und Salzwasser sorgen für großen Wartungsbedarf. Hier übernehmen Mitarbeiter wie Mirko Reinken: Wenn es das Wetter zulässt, fährt er mit dem Versorgungsboot zum Windpark Alpha ventus und prüft, ob bei den Windrädern jede Schraube sitzt. Für die Offshore-Windanlagen ist Reinken erst seit einem Jahr zuständig. „Das ist schon etwas Besonderes da draußen“, sagt er.

Chancen für Mittelständler

Der Offshore-Windpark Baltic 1ist der erste kommerzielle Offshore-Windpark in der Ostsee. Im Mai 2011 ging der Park nördlich vor Zingst vor Mecklenburg-Vorpommerns Küste offiziell ans Netz. Quelle: dapd

Der Boom der Offshore-Windkraft ist für viele Mittelständler an der Küste eine große Chance, zum Beispiel für die traditionsreiche Sietas-Werft aus Hamburg, deren letztes Containerschiff schon im November 2009 vom Stapel gelaufen ist. Um zu überleben, konzentriert sich das Unternehmen nun ganz auf den Bau von Spezialschiffen. Darunter ist auch ein 109 Meter langes Modell, das zur Errichtung von Offshore-Windkraftanlagen konzipiert wurde.

Die Fassmer-Werft aus dem niedersächsischen Landkreis Wesermarsch hat sich auf das Offshore-Windgeschäft eingestellt, indem sie Bauteile für die Windräder fertigt, etwa Gondeln oder Landeplattformen für Hubschrauber. Die Nordseewerke in Emden, die auf über 100 Jahre Schiffbau zurückblicken können, werden in Zukunft komplett auf Windkraft setzen. Ihr neuer Eigentümer, die Siag-Gruppe aus dem Westerwald, möchte Stahlkomponenten für die Offshore-Industrie fertigen. Und der Windstrom wird am Meeresboden mit Kabeln der Norddeutschen Seekabelwerke an Land übertragen.

Windenergie stützt regionale Wirtschaft

Die Windenergie hilft nicht nur angeschlagenen Industrieunternehmen, sondern stärkt auch regionale Anbieter und Dienstleister.

Die Reederei Norden-Frisia von der Insel Norderney und der Helikopterbetreiber Wiking – mit Firmensitz in Bremen – versorgen inzwischen unter dem Namen „Friking“ gemeinsam die Offshore-Parks mit Ersatzteilen und Personal. Die Firma Deutsche Windguard bietet Unternehmen spezielle Sicherheitstrainings für den Einsatz der Mitarbeiter auf hoher See an.

Und die Wettervorhersagen für die Windparkbetreiber kommen nicht von der Küste, sondern von Eurowind in Köln.

Konkurrenz im Anmarsch

Niedersachsens Ministerpraesident David McAllister (CDU) auf der Plattform des Offshore-Windparks

Zunehmend entdecken allerdings auch große Unternehmen das Zuliefergeschäft für Offshore-Windkraftanlagen. Mitte September dieses Jahres erklärte die Dillinger Hütte, Europas führender Hersteller von Grobblechen, ebenfalls Windkrafttürme zu bauen. 135 Millionen Euro lassen sich die Saarländer, die einen Jahresumsatz von etwa zwei Milliarden Euro erwirtschaften, ihr neues Werk in Nordenham kosten. Dort will die Dillinger Hütte Fundamente für die Offshore-Türme herstellen – im Wettbewerb mit Ambau.

Mittelständler Görlitz sieht das sportlich. „Größe ist das eine, doch es kommt auch auf die Schnelligkeit an“, sagt er. Um flexibel zu reagieren, bedient sich der Gründer aus dem Osten bei bis zur Hälfte seines Personals mit Leiharbeitskräften, die er jederzeit wieder loswerden kann.

Damit hat sich Görlitz allerdings auch Feinde gemacht. „Die Anzahl der beschäftigten Leiharbeiter im Cuxhavener Werk ist exorbitant hoch“, schimpft ein Funktionär der IG Metall in Bremerhaven. Den Gewerkschafter wurmt, dass Görlitz extra auf eine eigene Leiharbeitsfirma namens Ambau Personal Service zurückgreift. Von der leihe er sich Arbeitskräfte aus, um sie nicht nach dem Tarifvertrag der Branche mit der IG Metall bezahlen zu müssen.

Streitpunkt Leiharbeit

Das Thema kam sogar schon im Bundestag durch eine kleine Anfrage dreier Linken-Abgeordneter im Sommer 2010 zur Sprache. In ihrer Antwort legte die Bundesregierung dar, dass das Cuxhavener Ambau-Werk mit 6,6 Millionen Euro von der EU sowie aus Bundes- und Landesmitteln subventioniert wurde. Allerdings habe Ambau nicht gegen gesetzliche Auflagen verstoßen.

Zudem war Unternehmer Görlitz in der Lokalpresse in die Schlagzeilen geraten, nachdem er einem Mitarbeiter, der in Cuxhaven an der Organisation von Betriebsratswahlen beteiligt war, die fristlose Kündigung ausgesprochen hatte.

Der Gründer hält die Kritik für unberechtigt. Natürlich beschäftige Ambau auch Leiharbeiter, doch seien diese keine Mitarbeiter zweiter Klasse. „Um gute Mitarbeiter zu bekommen, muss man sie auch anständig behandeln.“ Dazu brauche es aber keine Gewerkschaft. Die Löhne von Leiharbeitern und regulär Beschäftigten seien „im Durchschnitt etwa gleich“.

Görlitz selbst sieht seinen Kurs durch den unternehmerischen Erfolg bestätigt. Dass er die Ergebnisse seiner Arbeit noch nie auf hoher See bewundert hat, stört ihn nicht, denn er wird schnell seekrank. „Und mit der Höhe“, sagt Görlitz, „habe ich es auch nicht so.“

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