Wirtschaftskriminalität im Mittelstand Der ständige Kampf gegen Korruption

Kleinere Unternehmen sind anfällig für Korruption, Bestechung und Untreue. Dennoch schützen sie sich kaum vor Korruption und anderen Formen der Wirtschaftskriminalität.

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Brückenbaustelle der Deutschen Bahn Quelle: Getty Images/Sean Gallup

Für DHL war es nur ein teurer Spaß: Fast zehn Millionen Dollar Strafe musste die Expresstochter der Deutschen Post an die US-Behörden zahlen, weil sie Sendungen in den Iran, Sudan und nach Syrien transportiert hatte. Dabei ging es gar nicht um Waffen oder High-Tech-Ausrüstungen, sondern nur um Textilien. Doch die US-Regierung hatte gegen die Empfängerländer allgemeine Handelssanktionen verhängt. Gegen die hatte DHL verstoßen. Schlimmstenfalls hätte Washington deswegen sogar ein Gewerbeverbot gegen DHL in den USA aussprechen können.

Die Deutsche Post konnte die Gefahr mit der Überweisung von 9,4 Millionen Dollar an den US-Fiskus beseitigen. Kein Problem für das Unternehmen: Der Betrag entsprach etwa der Summe, die der Konzern im ersten Quartal dieses Jahres an einem Tag vor Zinsen und Steuern verdiente. Ein anderes Unternehmen der vorwiegend mittelständisch geprägten deutschen Speditionsbranche hätte das Sümmchen leicht die Existenz kosten können. Zumal viele Fuhrunternehmer als Subunternehmer für die Logistik- und Expressriesen arbeiten, weil die aus Kostengründen kaum noch über eigenes Transportgerät verfügen.

Nicht allein

Mit diesem Risiko stehen die Fuhrunternehmer nicht allein. Viele Mittelständler mit internationalem Geschäft leben heute mit einer Dauerbedrohung. Compliance-Risiken, wie im Fachjargon die Anfälligkeit eines Unternehmens für wirtschaftskriminelle Vergehen aller Art genannt werden, lauern im Zeitalter der Globalisierung überall. Dessen sind sich viele Firmen aber gar nicht bewusst.

„Mittelständische Unternehmen haben auf diesem Gebiet besonders häufig Nachholbedarf“, sagt Duran Sarikaya, Geschäftsführer der Einkaufsberatung Kloepfel Consulting. Wer keine entsprechenden Regelungen, Kontrollen und Sanktionen in seinem Unternehmen gegen Korruption, Bestechung, Untreue oder unbeabsichtigte Regelverstöße etabliert, riskiert schnell vernichtende Strafen.

In diesen Ländern sind Manager besonders korrupt
Korruptes EuropaViele europäische Manager sind käuflich. Das beweist eine Studie der Wirtschaftsberatung Ernst & Young, die in 36 Ländern zusammen knapp 3500 Top-Manager befragt hat, darunter Finanzvorstände, Compliance-Experten und Mitarbeiter aus der Rechtsabteilung. Laut Ansicht der Berater verschärfe die anhaltende Wirtschaftskrise die Situation, weil die Unternehmen trotzdem unter Druck stünden, mit Umsatz- und Gewinnzuwächsen zu glänzen. Daher könnten sich viele Manager vorstellen, in Notfall-Situationen dem Geschäftserfolg mit unlauteren Mitteln nachzuhelfen. Quelle: dpa
SlowenienIn dem zwei Millionen Einwohner starken Land sind fast alle befragten Manager (96 Prozent) der Ansicht, dass Bestechung dort an der Tagesordnung ist. Damit liegt Slowenien europaweit auf Platz eins. International betrachtet liegt Slowenien in punkto Korruption auf dem gleichen Niveau wie die afrikanischen Länder Kenia und Nigeria. Quelle: dapd
UkraineIm internationalen Vergleich der korruptesten Manager kommt die Ukraine auf Platz fünf, mit Blick auf Europa folgt sie auf Slowenien. Der Studie zufolge halten 85 Prozent der Befragten Bestechlichkeit in ihrem Land für üblich. Quelle: dpa
GriechenlandIn dem krisengeschüttelten Land glauben 84 Prozent der Manager, dass Korruption normal sei. Damit liegt Griechenland im europäischen Vergleich an dritter Stelle, international auf dem siebten Rang. Vor allem der übergroße Staatsapparat gilt als bestechlich. Quelle: dpa
SchweizAm wenigsten verbreitet ist Korruption in der Schweiz. Hier geben nur zehn Prozent der Befragten an, dass Bestechung in ihrem Wirtschaftsleben gängig ist. Quelle: dpa
Vorbild Skandinavien Hinter der Schweiz folgen direkt die skandinavischen Länder. Finnland und Schweden liegen bei jeweils zwölf Prozent, Norwegen bei 17. Quelle: dpa
Deutschland auf den hinteren RängenAuch die Bundesrepublik schneidet bei der Frage nach Korruption im eigenen Land gut ab. Auch wenn es Berichte über Vetternwirtschaft wie jüngst im bayrischen Landtag oder Fälle von Steuerhinterziehung prominenter Personen gibt, so liegt Deutschland bei der Bestechlichkeit mit 30 Prozent unter dem europäischen Durchschnitt. Quelle: dpa/dpaweb

Hohe Geldbußen

Die Geldbußen gegen Compliance-Vergehen sind oft empfindlich hoch. Die höchste bislang von der EU-Kommission verhängte Kartellstrafe betrug zum Beispiel knapp 1,4 Milliarden Euro. Den Autoglasherstellern Saint-Gobain, Asahi, Pilkington und Soliver konnte 2008 rechtswidrige Marktaufteilung und der Austausch von Informationen über ihre Umsätze in der EU nachgewiesen werden. Ein Jahr zuvor waren ThyssenKrupp, Otis, Kone und Schindler für Absprachen auf dem Aufzug- und Rolltreppenmarkt mit einer 992 Millionen Euro hohen Strafe belegt worden.

Teuer wird es für Unternehmen auch, wenn sie wegen Vergehen von öffentlichen Vergabeverfahren ausgeschlossen werden. Und was längst nicht allen bekannt ist: Auch private Auftraggeber können bei Bekanntwerden von Korruptionsdelikten wie Bestechung oder Vorteilsgewährung Aufträge zurückziehen und Kooperationen stoppen. Die meisten großen Konzerne haben deshalb spätestens nach dem Siemens-Korruptionsskandal vor gut fünf Jahren Jahren strenge Compliance-Regeln eingeführt und sogar einen Compliance-Beauftragten eingesetzt, der sich um die Einhaltung der Regeln kümmert und als Ansprechpartner bei Verstößen fungiert.

Verzerrte Wahrnehmung

Wie eine Studie der Kloepfel-Berater zeigt, sind mittelständische Unternehmen demgegenüber aber noch lange nicht so weit: Viele sind sich der Risiken zwar durchaus bewusst, dennoch schützen sie sich kaum vor Korruption und anderen Formen der Wirtschaftskriminalität. So schätzen zehn Prozent der befragten 137 Manager aus mittelständischen Unternehmen die Compliance-Risiken sogar als so gering ein, dass sie überhaupt keine Vorbeugung als notwendig erachten. Je kleiner die Firma, umso geringer die Vorsorge. Auf einen Compliance-Verantwortlichen verzichten drei Viertel aller befragten Unternehmen mit bis zu 200 Mitarbeitern.

Wo deutsche Manager im Mittelstand die größten Risiken sehen

Je größer ein Unternehmen ist, desto ausgeprägter scheint allerdings das Bewusstsein für die Gefahren. Immerhin beschäftigen 40 Prozent der mittelgroßen Unternehmen einen Experten für Gesetzestreue, bei den großen Mittelständlern sind es sogar 80 Prozent.

Die mittlerweile in fünfter Auflage erschienene Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG zum Thema „Wirtschaftskriminalität in Deutschland“ zeichnet ein noch düstereres Bild. Mittelständler, so das Ergebnis, hätten bei Korruption und ähnlichen Vergehen sogar eine „verzerrte Risikowahrnehmung“. Vier von fünf Firmenchefs seien mit den eigenen Präventions- und Aufdeckungsmaßnahmen zufrieden und schätzten das Risiko, Opfer wirtschaftskrimineller Handlungen zu werden, für sich selbst immer niedriger ein als für andere Unternehmen. KPMG beziffert die dadurch entstandenen Schäden in den Unternehmen im Schnitt auf 300.000 Euro.

Worauf kleine Mittelständler beim Gang ins Ausland achten sollten

Lange Liste von Verfehlungen

Die Fehleinschätzung hängt ursächlich mit einem typisch mittelständischen Phänomen zusammen. „Mittelständler kommunizieren mit anderen Mittelständlern meist auf Augenhöhe, oft kennen sich die Geschäftspartner seit Jahrzehnten“, sagt die Compliance-Expertin und selbstständige Unternehmensberaterin Akatshi Schilling aus Hamburg. Viele würden dem anderen blind vertrauen – ohne kritisch nachzufragen oder nachzuprüfen. Dies sei aber bei der heutigen Rechtslage unvorsichtig. „Überall wo Geld fließt oder wo über den Fluss des Geldes entschieden wird, sind Rechtsüberschreitungen möglich.“

Dabei wissen Experten genau, welche Abteilungen gerade auch bei Mittelständlern anfällig sind für unlautere Geschäfte: hier der Freundschaftsdienst, dort die Überweisung einiger Tausend Euro auf das Privatkonto des Verhandlungspartners. Immer wieder im Zentrum solcher Vergehen stehen Einkauf und Vertrieb, gefährdet sind aber auch Abteilungen aus dem Rechnungswesen und anderen Bereichen, in denen Zahlen aufbereitet werden und leicht Geld aus den Büchern und der Kasse verschwindet.

Mittelständler müssen besonders aufpassen

Mittelständler, die für öffentliche Auftraggeber arbeiten, müssen besonders aufpassen und genau darauf achten, was erlaubt ist und was nicht. Die Liste möglicher Verfehlungen ist lang. Sie reicht von Verstößen gegen internationale Handelsbestimmungen, übergroßen Weihnachtsgeschenken an Einkäufer, Einladungen zu luxuriösen Informationsreisen bis zu unvollständigen Ausschreibungsunterlagen, in denen sich dubiose Zahlungen verstecken.

Dabei gehöre bei Mittelständlern mangelndes Unrechtsbewusstsein zu den Hauptursachen für Verstöße, sagt Expertin Schilling. Gefördert werde die Blauäugigkeit der Mitarbeiter, wenn von oben mit schicken, aber diffusen Begriffen operiert werde. Schilling arbeitete zehn Jahre in internationalen Konzernen als Compliance-Beauftragte und kennt die für viele Mitarbeiter leeren Worthülsen. „Anglizismen wie White-Collar-Crime oder Anti-Fraud-Management helfen nicht weiter“, meint sie und rät ihren Kunden lieber offen von Wirtschaftskriminalität, Korruption, Bestechung und Untreue zu reden.

Risikoanalyse

Gleichzeitig müssen sich die Unternehmen aber einer schonungslosen Risikoanalyse unterziehen. „Jede Firma hat andere Strukturen und andere Gepflogenheiten. Das muss offengelegt werden, um die Schwachstellen zu finden“, sagt Schilling. Eine typische Frage, die sie am Anfang ihrer Recherchen im Unternehmen stellt, lautet darum: „Wer hat einen Schlüssel zur Kasse?“ In Unternehmen, in denen diese Frage nicht aus dem Stegreif beantwortet werden kann, das lehre die Praxis, seien auch Verantwortung und Zuständigkeiten für andere Bereiche nicht eindeutig geregelt.

Schilling rät Mittelständlern, unbedingt die Rechtsabteilung in den Aufbau eines Compliance-Systems einzubeziehen und einen der dortigen Mitarbeiter zum Ansprechpartner für die Belegschaft zu bestimmen. „Bei Mittelständlern hat es sich bewährt, ein Mitglied der Rechtsabteilung zum Compliance-Beauftragten zu ernennen“, weiß Schilling.

Subunternehmer und Lieferanten

Robert Altvater, Partner der Unternehmensberatung Corporate Trust in München, machte die Erfahrung, dass Mittelständler vor allem die Risiken von internationalen Lieferketten unterschätzen. „Die jüngsten Skandale in der Textilbranche haben gezeigt, dass es in globalisierten Märkten besonders wichtig ist, sich nicht nur selbst gegen Korruption und Wirtschaftskriminalität zu wappnen, sondern auch darauf zu bestehen, dass Subunternehmer und Lieferanten das tun“, sagt der Compliance-Fachmann. Wer sich darum nicht kümmere, riskiere schnell eine Beschädigung der eigenen Marke. Modemarken wie H&M, Kik oder C&A haben diese Erfahrung nach den beiden Katastrophen in Textilfabriken in Bangladesch gerade gemacht.

Gerade für mittelständische Zulieferer kann der Aufbau einer Compliance-Kultur sogar geschäftsfördernd wirken. „Heutzutage ist der Nachweis funktionierender Antikorruptionsstrukturen ein Wettbewerbsvorteil“, sagt Berater Altvater. Bei einigen Unternehmen sei der Nachweis eines Compliance-Systems sogar schon die Voraussetzung, überhaupt ins Geschäft zu kommen. So müssen alle Projektgesellschaften, die für die Deutsche Bahn etwa neue Strecken bauen oder komplexe Aufträge erledigen, nachweisen, dass sie Compliance-Regeln haben und diese auch durchsetzen.

Vorbeugemaßnahmen

Textilfabrik Bangladesch Quelle: Probal Rashid für WirtschaftsWoche

Allerdings bräuchten Mittelständler „kein volles und kostenintensives Compliance-Programm“ wie Konzerne, meint Berater Altvater, sondern könnten sich auf spezielle und effektive Vorbeugemaßnahmen beschränken. Behilflich könnten dabei Rechtsanwälte sein, die auf diesem Gebiet tätig sind. „Bei aller Vorsicht muss man auch die Wirtschaftlichkeit im Auge behalten“, sagt Altvater.

Drei Elemente gehören nach seiner Meinung aber auf jeden Fall zum Vorbeugeprogramm jedes Unternehmens: ein sogenanntes Red-Flags-System, welches besonders gefährdete Bereiche wie die Einkaufsabteilung identifiziert und kennzeichnet, ein Ombudsmann, der bei Verdacht die Aufklärungsarbeit begleitet, und eine Whistleblower-Hotline, auf der Mitarbeiter die Möglichkeit haben, anonym Fälle verdeckter Wirtschaftskriminalität im Unternehmen zu melden.

Dabei sei Fingerspitzengefühl nötig, „damit der Betrieb nicht blockiert wird“, warnt Altvater. „Besser sind Regeln, die das tägliche Geschäft unterstützen.“ So sollte schon vor Vertragsabschluss mit einem neuen Geschäftspartner überprüft werden, ob dieser in Kartellverfahren verwickelt war oder mit anderen negativen Schlagzeilen in der Presse stand. Mit einer simplen Google-Recherche sei es jedoch nicht getan. Vor allem bei neuen Geschäftspartnern im Ausland empfehle sich ein professionelles Screening, das von speziellen Dienstleistern angeboten werde. Diese würden auf einer breiteren Basis etwa in weltweiten Handelsregistern oder in anderen internationalen Datenbanken recherchieren.

Und wenn trotzdem etwas passiert? „Wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist, sollte ein externer Fachmann, der forensisch und psychologisch geschult ist, eingesetzt werden“, rät Expertin Schilling. „Wer auf eigene Faust versucht, unlauteres Handeln aufzuklären, richtet oft noch mehr Schaden an.“

Um den Schaden zu begrenzen, helfe es, wenn betroffene Unternehmen mit den Ermittlungsbehörden kooperieren. Wie vor Kurzem bei mehreren mittelständischen deutschen Brauereien, die im Verdacht stehen, Preise abgesprochen zu haben: Eines der beschuldigten Unternehmen hilft dem Bundeskartellamt jetzt bei der Aufklärung und kann darum die Kronzeugenregelung in Anspruch nehmen.

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