Zim Flugsitz Ein Mittelständler revolutioniert den Flugzeugsessel

Die Unternehmerin Angelika Zimmermann verbindet Start-up-Kultur mit Industrietugend. Ihre Firma Zim Flugsitz punktet mit Innovationen - und landet damit bei Branchengrößen wie der Lufthansa.

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Angelika Zimmermann, Gründerin von ZIM-Flugsitz. Quelle: Oliver Nanzig für WirtschaftsWoche

Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypris (SPD) wirkt überrascht, als sie Anfang März in Schwerin das neue Werk des Mittelständlers Zim Flugsitz aus Marktdorf am Bodensee eröffnet. „Sie sind die Jungunternehmer?“, fragt die Politikerin das Eigentümer-Ehepaar Angelika und Peter Zimmermann. Gewöhnlich habe sie es fast nur noch mit Internet-Start-ups junger Gründer zu tun. Klassische Betriebe seien fast schon die Ausnahme.

Beide Zimmermanns sind Anfang 50. Mit ihren Unternehmen beweisen sie jedoch, dass schwäbische Industrie in Sachen Dynamik ohne Weiteres mit jungen Gründern mithalten kann. Innerhalb von nur zehn Jahren haben sie den zuvor von Konzernen wie Recaro, Rockwell Collins und Zodiac dominierten Markt für Flugsitze gründlich verändert. Zim beliefert unter anderem die Lufthansa und Singapore Airlines, mit einer Jahresproduktion von gut 30.000 Sitzen gehört das Unternehmen zu den fünf größten Herstellern Europas – „und treibt uns gehörig vor sich her“, stöhnt ein Vorstand eines Wettbewerbers.

Dass es so kommen würde, erwarteten die bodenständigen Zimmermanns selbst nicht, als sie sich 1995 mit einem Entwicklungsbüro selbstständig machten. Die beiden Ingenieure hatten zuvor bei Luftfahrtunternehmen wie dem Airbus-Vorläufer Dornier gearbeitet. Dort störten sie sich vor allem an demotivierender Konzernbürokratie und dem schwerfälligen Umgang mit Neuerungen wie den besonders leichten Faserverbund-Werkstoffen. In ihrem eigenen Unternehmen wollten sie die Gründerkultur mit flachen Hierarchien und schnellen Neuerungen mit der präzisen Arbeit eines schwäbischen Industriebetriebs kombinieren.

Das funktioniert. 2004 gehen sie noch einen Schritt weiter. Das Unternehmerpaar will nicht mehr nur einzelne Teile wie Flügel für Hersteller wie Airbus verbessern. „Wir wollten nicht nur wirtschaftlich, sondern auch inhaltlich selbstständig werden“, sagt Angelika Zimmermann.

Mit ihrem Mann macht sie sich auf die Suche nach einer Marktlücke. Die muss drei Anforderungen erfüllen: Potenzial für Wachstum, die richtige Größe für das damals nur zwei Dutzend Ingenieure starke Unternehmen und die Aussicht auf anspruchsvolle Innovationen, die keiner schnell kopieren kann. Nach zwei Jahren Suche haben die Zimmermanns die passende Idee gefunden: „Bei Sitzen hatte sich trotz vieler Neuerungen im Flugzeugbau über die Jahre relativ wenig getan“, sagt Angelika Zimmermann.

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Leicht, dünn, bequem

Um das zu ändern, gründen sie ein Entwicklungslabor. Im Frühling 2008 hat das den Sessel EC-01 fertig. Dank leichter Baumaterialien wiegt der nur rund elf Kilo, ein Drittel weniger als Standardstühle der Konkurrenz. Zudem ist er so dünn, dass die Fluglinien mehr Sitze in ihre Flugzeuge schrauben können, ohne dass die Bequemlichkeit der Passagiere leidet.

Da damals die Spritpreise stark gestiegen sind, rechnen sich die Zimmermanns für ihren leichten und dadurch sparsamen EC-01 beste Chancen aus. Voller Zuversicht reisen sie im September zu einer wichtigen Messe im kalifornischen Long Beach. Und tatsächlich können sie sich dort vor Interessenten kaum retten. Umso größer ist die Ernüchterung, als danach keine Fluglinie ihr erster Kunde werden will. „Meldet euch, wenn euer Sessel woanders fliegt“, teilen die meisten mit.

„So rentabel ist kaum ein anderer Flugzulieferer“

Statt abzuwarten, gehen die Zimmermanns mutig in die Offensive. Üblicherweise nehmen Zulieferer für die Flugzeugindustrie bei Neuerungen die Zulassung und den Bau der passenden Fabrik erst dann in Angriff, wenn sie den ersten größeren Auftrag haben. Die Zimmermanns gehen dagegen voll ins Risiko. Sie gründen ihr Unternehmen Zim Flugsitz und finanzieren die Fertigung fast ausschließlich aus eigenem Vermögen sowie mit ein paar öffentlichen Hilfen.

Das hat sich ausgezahlt. Im Sommer 2009 kauft ihnen der Lufthansa-Partner Thai Airways die ersten 3500 Sessel ab. 2011 präsentiert Zim dann den ersten Sitz für die Businessclass. Der wiegt und kostet nur halb so viel wie die Modelle der Konkurrenz. Mit einem Großauftrag der Lufthansa kommen 2014 noch Sessel für die neue „Premium-Economy“-Klasse hinzu.

„Mit ihrer Mischung aus innovativen und besonders leichten Sitzen, viel Raum für Kundenwünsche sowie höchster Qualität steht Zim Flugsitz für made in Germany vom Feinsten“, lobt der Hamburger Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt.

Der Lohn: Das Unternehmen ist sehr profitabel. Der letzte veröffentlichte Geschäftsbericht für 2015 weist bei rund 40 Millionen Euro Umsatz 7,1 Millionen Euro Nettogewinn aus. „So rentabel ist kaum ein anderer Flugzulieferer“, weiß Großbongardt.

In diesem Jahr sollen es gut 60 Millionen Umsatz und eine ähnliche Rendite werden, sagt Angelika Zimmermann. Für die kommenden Jahre erwartet sie angesichts vieler Aufträge von Branchengrößen wie Japan Airlines weiterhin zweistelliges Wachstum.

Weitere Innovationen sollen das stützen. „Als Nächstes kommt ein Businessclass-Sitz, der sich zum Bett umbauen lässt, aber trotzdem deutlich leichter und günstiger ist als heutige Modelle“, sagt Angelika Zimmermann. Gebaut werden soll der im neuen Werk in Schwerin. Wegen der gut 850 Kilometer Entfernung führt ein Werksleiter dieses als weitgehend unabhängigen Betrieb.

„Die Trennung ist uns nicht leichtgefallen, denn bisher hatten wir alle Details immer selbst im Blick“, sagt Angelika Zimmermann. Doch sie sieht vor allem Chancen. Weil die Gründer sich nicht um den Aufbau der Fabrik kümmern müssen und das alte Werk gut läuft, haben sie mehr Zeit, Produkte und Strategie weiterzuentwickeln. Und vielleicht sogar für etwas mehr Privatleben mit den beiden Söhnen.

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