Am 19. September 2015 ließ eine Flasche von der Mosel die Weinwelt von Napa Valley über das Burgund bis Barossa Valley aufhorchen. Bei der Auktion des Regionalverbandes Mosel-Saar-Ruwer des Verbandes der Prädikatsweingüter (VDP) erzielte der 2003er Scharzhofberger Riesling Trockenbeerenauslese Rekordpreise: 12.000 Euro für jeweils eine von 22 Flaschen. Plus Auktionsgebühr und Mehrwertsteuer machte das 14.565,50 Euro. Die halbe Flasche des gleichen Weins mit 0,375 Liter immerhin: 6.675,90 Euro. Verkauft hat ihn das Weingut Egon Müller aus Wiltingen an der Saar.
Müller ist eine der unumstrittenen Galionsfiguren des deutschen Weins - und bislang war er Vorsitzender des Regionalverbands Mosel-Saar-Ruwer des VDP. Doch Müller ist überraschend zusammen mit seinen Vorstandskollegen Nik Weis vom Sankt Urbans-Hof und Beisitzer Claus Piedmont vom gleichnamigen Weingut Ende Juni zurückgetreten.
Was wie ein nebensächlicher Vorgang in einem kleinen Weinverband mit gerade einmal 29 Mitgliedsbetrieben wirkt, ist eine Erschütterung der Macht im Weinbau und Zeichen für die tiefen Gräben zwischen den Winzern. Auslöser war eine vermeintlich harmlose Abstimmung über neue Mitglieder.
Wo die Deutschen ihren Wein kaufen
Tankstellen, Restaurants, etc.
2012: 5%
2013: 5%
Absatzmengen von Wein in Deutschland nach Einkaufsstätten für die Jahre 2012 und 2013.
Fachhandel
2012: 7%
2013: 7%
Lebensmitteleinzelhandel (bis 1500 qm Ladenfläche)
2012: 12%
2013: 13%
Selbstbedienungswarenhäuser und Verbrauchermärkte
2012: 13%
2013: 13%
Winzer
2012: 15%
2013: 14%
Aldi
2012: 27%
2013: 26%
Discounter (mit Ausnahme Aldi)
2012: 27%
2013: 26%
Absatzmengen von Wein in Deutschland nach Einkaufsstätten für die Jahre 2012 und 2013
Quelle: GfK Consumer Scan
Der VDP sieht sich als Vereinigung, die die Spitze des deutschen Weinbaus repräsentiert.
Strenge Auflagen für die Mitglieder bei Erntemenge
An der Mosel vertreten die 29 Weingüter gerade mal 457 von 8787 Hektar – die meisten Weingüter wie Müller, van Volxem oder Dr. Ernst Loosen sind weltweit anerkannt. In der jüngsten Ausgabe des Gault Millau Weinguide stammen Winzer des Jahres, Kollektion des Jahres und Aufsteiger des Jahres aus dem Reigen der Paradewinzer.
Von den zehn besten Weinen des Jahres im Gault Millau stammen neun von Winzern des VDP, vier allein von der Mosel, drei von: Weingut Egon Müller, auf dessen Flaschenhülsen der VDP-Adler stolz prangt. Wo der drauf ist, ist beste Qualität drin, so die Verheißung, mit der auch das Weingut von Othegraven (ebenfalls aus Mosel-Saar-Ruwer) von Fernsehmoderator Günter Jauch wirbt. Die Moselwinzer sind nicht zuletzt deswegen selbstbewusst, ihr Regionalverband trägt als einziger einen Namen neben der Region. „Grosser Ring“. Das klingt nach Siegfried und Heldentaten und beruht auf der Gründung des Verbandes im Jahre 1908.
Viele aufstrebende Weingüter halten es für erstrebenswert, dort Mitglied zu sein und arbeiten jahrelang daran, die Vorgaben für Ertragsmenge und Weinprogramm zu erfüllen. Eines davon ist das Weingut Molitor, das auch ohne Mitgliedschaft bereits für Furore in der Weinwelt sorgte. Der deutsche Weinkritiker Stephan Reinhardt hat als zuständiger Tester der wichtigsten Weinpublikation der Welt, dem Wine Advocate von Robert M. Parker, gleich drei Weinen von Molitor 100 Punkte verliehen.
100 Punkte sind der Nobelpreis des Weins – nur seltener verliehen. Spätestens seit dieser Bewertung ist Molitor auch Weinsammlern in Übersee ein Begriff. Der Gault Millau wertet Molitors Spätburgunder als unerreichte Spitze an der Mosel. Selbst das renovierte Gutsgebäude: Gekrönt mit einem Architekturpreis. Molitor macht vieles anders als viele Kollegen an der Mosel – und offensichtlich vieles richtig.
Ende Juni nun stand die planmäßige erste Abstimmung über die mögliche Aufnahme des Weinguts Markus Molitor, des Lubentiushofs und des Weingut Knebels auf der Tagesordnung. Bereits zuvor hatte der Vorstand den Mitgliedsbetrieben diese Abstimmung verkündet und aufgefordert, sich bei Einwänden rechtzeitig zu melden. Oder für immer zu schweigen.
Das taten auch viele Mitglieder. Und verweigerten stillschweigend zwei von drei potentiellen Neumitgliedern die nötige Zweidrittelmehrheit, mit der das Aufnahmeverfahren fortgesetzt worden wäre. Müller, Weis und Piedmont traten anschließend zurück.
Einigen Moselanern fehlt es an Weitsicht
Weinkritiker Stephan Reinhardt hat wenig Verständnis für das Wahlergebnis. „Der Schaden jedenfalls, den sich die aktualisierte VDP-Vereinsmeierei mit ihrer mitunter spatzenhaften Krähwinkel-Attitüde selbst zufügt, könnte kaum größer sein, wenn er denn überhaupt noch Relevanz hat“, schreibt Reinhardt in einem Kommentar.
Die Betroffenen von Müller bis Molitor äußern sich nicht, die Fachpresse und Händler gießen Spott über den Landesverband. Der Kölner Weinkeller zeigt auf seiner Facebook-Seite das Logo des Grossen Rings so verändert, dass der Adler umkippt und Wein zu spucken scheint.
Die Spitze des Bundesverbandes beeilte sich, die Gemüter zu beruhigen. Der Vorsitzende Steffen Christmann bezeichnet die Lage als „unglücklich, aber lösbar“. Die wenigen Zeilen lassen ahnen, was im Hintergrund rumort: „Wir als Bundesverband des VDP werden nun schnell das Gespräch suchen, auch um hier durch einen externen Blick auf die Lage eine ergänzende Perspektive zu eröffnen.“
Die Formulierung „externer Blick“ verrät, was man in den anderen Regionen Deutschlands denkt, die sich teils, wie Rheinhessen, in einem atemberaubenden Tempo den neuen Anforderungen des weltweiten Weinmarktes anpassen: Einigen Moselanern fehlt es an Weitsicht. „Die ergänzende Perspektive“ bedeutet nichts anderes als: Die Welt dreht sich weiter. Man sei beim Bundesverband wenig begeistert bis ziemlich sauer auf die Mosel-Mitglieder, die erst in der geheimen Abstimmung Farbe bekannten, heißt es.
So überraschend das Ergebnis, so negativ seine Aussage, so verschwiegen die Winzer. Die Abstimmung war geheim, wer genau gegen die jungen Betriebe votierte, ist unbekannt. Einig sind sich nur die Kritiker, dass es wohl an der Starrköpfigkeit der Winzer in dem von Hügeln umgebenen Flusslauf lag. Mosel/Saar/Ruwer - das Tal der Ahnungslosen, wenn es um neue Entwicklungen im Weinbau geht. Oder blanker Neid auf erfolgreiche Betriebe, die schon einen großen Namen haben, bevor sie Mitglied in dem prestigeträchtigen Verband sind.
Reinhardt wirft dem „Grossen Ring“ vor, zu lange Betriebe Mitglied sein zu lassen, die dem eigenen Anspruch nicht mehr genügen. Er konstatiert „mitunter nachhaltig schwächelnde Mitglieder“. Für den VDP, der bei der Düsseldorfer Messe Prowein sämtliche Mitglieder prominent in einer Halle vorstellt, sind schwächelnde Betriebe allerdings keine Neuheit. Einzelne Betriebe verließen teils freiwillig, teils weil sie den Standards nicht mehr gerecht werden, den VDP, sagt Hilke Nagel, Geschäftsführerin des VDP in Wiesbaden. Zwischen den Jahren 1990 und 2015 seien 123 Betriebe neu aufgenommen worden und 84 hätten den Verband verlassen.
Dass es der Grosse Ring nicht wirklich eilig hat mit Veränderungen, zeigt schon seine Homepage. Vorstände sind dort laut Webseite nach wie vor Müller und Weis. Obwohl die seit dem 30. Juni 2016 nicht mehr im Amt sind.