Mittelstands-Finanzierung Die Rechnung ohne die Bank gemacht

Trotz des Wirtschaftsaufschwungs fällt es mittelständischen Unternehmen oft schwer, von den Banken Geld zu bekommen. Doch es gibt zahlreiche, auch ungewöhnliche Alternativen zum klassischen Kredit.

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Anträge auf Kredite

Die Idee, via Internet bei Privatleuten um einen Kleinkredit zu bitten, kam Carola Kirchner zunächst seltsam vor. „Ich hatte schon Angst, dass das eine windige Angelegenheit ist“, sagt die Geschäftsführerin des Berliner Bauunternehmens I+B Isolier- und Bautechnik. Inzwischen sind die Zweifel verflogen. Kirchner hat ihre Entscheidung, sich auf unorthodoxe Weise Geld zu besorgen, nicht bereut.

Die Unternehmerin brauchte vor gut einem Jahr Geld für ein Firmenfahrzeug, ihre Hausbank wollte die Finanzierung nicht übernehmen. Denn Kirchner hatte nach einem schlechten Geschäftsjahr 2007 ihren Kontokorrentkredit bereits überzogen. Selbst zwei in den Büchern stehende Großaufträge überzeugten die Hausbank nicht.

Die Bauunternehmerin schob schließlich alle Bedenken gegen eine Kreditvergabe per Internet beiseite und loggte sich bei Smava ein: Das Kreditvergabeportal bringt Privatleute, die Geld verleihen wollen, mit Kreditsuchenden zusammen. Die Beträge reichen von 1000 bis 50.000 Euro, das Ausfallrisiko wird auf sämtliche Kreditgeber verteilt und bleibt deshalb für den Einzelnen überschaubar.

Auch Smava verzichtet nicht auf eine Bonitätsprüfung des Kreditnehmers: „Die wollten das Gleiche wissen wie meine Bank“, erinnert sich Kirchner. Eine Woche dauert die Bonitätsprüfung. Aber die Entscheidung fällt dann schnell: Schon 48 Stunden nachdem sie die potenziellen Kreditgeber über ihr Finanzierungsvorhaben online informiert hatte, war das Geld der Gutmenschen auf dem Konto.

Die Kreditsumme von 12.000 Euro verteilt sich auf 37 Privatpersonen mit Beträgen zwischen 250 und 1000 Euro, der Zinssatz ist mit 10,2 Prozent teurer als ein Bankkredit. Monatlich zieht Smava 256,15 Euro von Kirchners Konto ein und leitet das Geld an die Kreditgeber weiter – mit der Wohlfühl-Betreffzeile: „Du hast einem Menschen geholfen.“

Seit dem Start im März 2007 vermittelte Smava Kredite über insgesamt rund 26 Millionen Euro. Immer öfter greifen Mittelständler zu solch außergewöhnlichen Methoden, wenn sie Geld brauchen. Häufig aus purer Not: Auf ihre Hausbanken können sich vor allem die kleineren Unternehmen immer weniger verlassen.

Schlechte Erfahrungen

Während allenthalben über den Aufschwung und das schnelle Ende der Krise gejubelt wird, haben viele mittelständische Unternehmen nach wie vor Geldsorgen. Die gute Gesamtentwicklung verschärft die Finanzkrise der kleinen und mittleren Unternehmen sogar noch: Weil auch die Konzerne im Aufschwung einen höheren Kreditbedarf haben, steigt die Nachfrage nach Bankengeld, während sich an der restriktiven Vergabepraxis der Finanzinstitute noch nicht viel geändert hat. „Für den Mittelstand ist es schwieriger geworden, Kredite zu bekommen“, beobachtet die Wirtschaftsauskunftei Creditreform.

Eine Befragung von 4100 kleinen und mittleren Unternehmen in diesem Frühjahr ergab, dass 91,4 Prozent bei der künftigen Kapitalaufnahme Schwierigkeiten erwarten. Vor einem Jahr, noch mitten in der Krise, waren es nur 84,6 Prozent.

Optikhändler Matthias Knoche Quelle: Christoph Busse für WirtschaftsWoche

Auch eine aktuelle Studie der Commerzbank bestätigt die Probleme: 45 Prozent aller Mittelständler mit einem Umsatz zwischen 2,5 und 12,5 Millionen Euro gaben an, dass der Zugang zu Krediten für sie schwieriger geworden sei. Nur 16 Prozent spüren eine Erleichterung. Von den Kreditproblemen betroffen fühlen sich insbesondere Einzelhändler und Maschinenbauer. Befragt wurden zwischen Mai und Juli dieses Jahres 4000 Geschäftsführer mittelständischer Unternehmen.

Tatsächlich ist das Kreditvergabevolumen der Banken an Unternehmen und Privatleute seit Mitte 2009 deutlich gesunken. Laut der Deutschen Bundesbank bewegten sich die Rückgänge seit Mitte 2009 im zweistelligen Prozentbereich. Erst im zweiten Quartal dieses Jahres waren die Geldinstitute etwas freigiebiger – seitdem ist der Rückgang im Vergleich nur noch einstellig. Für das vierte Quartal erwartet die Kreditanstalt für Wiederaufbau, dass die Zahl neuer Unternehmenskredite erstmals seit Ende 2008 wieder zunimmt.

Die böse Erfahrung, von ihren Hausbanken alleingelassen worden zu sein, sitzt bei vielen Mittelständlern tief. Immer öfter schauen sich deren Chefs darum nach Alternativen zur klassischen Finanzierung um. Zumal die Kreditbeschaffung per Internet nicht die einzige Methode ist, mit der Unternehmen sich unabhängiger von den Banken machen können. Einige Firmen lassen sich Einkäufe von speziellen Finanzdienstleistern vorfinanzieren, ohne ihre Kreditlinie damit zu belasten. Andere setzen auf Kunden als stille Teilhaber – wie etwa der Biomöbel-Unternehmer Johannes Genske. Oder sie wenden sich – etwa zur Finanzierung von Immobilien – an Versicherer. Die sind bei der Kreditvergabe zwar nicht weniger knauserig als Banken, gewähren aber eine längere Zinsbindung, was die Kreditkonditionen besser kalkulierbar macht.

Matthias Knoche, Inhaber zweier Augenoptik- und Hörgerätegeschäfte in Magdeburg, hat die Probe aufs Exempel gemacht: Eine halb gewerblich, halb privat genutzte Immobilie mit Ladenlokalen, Privatwohnungen und Büroräumen finanzierte er über eine Lebensversicherung. Die Methode ist für kleine Unternehmen eher ungewöhnlich, obwohl die Konditionen mit zehn Jahren Laufzeit und 4,4 Prozent Zinsen gar nicht schlecht sind: Das teuerste Bankangebot liegt 0,9 Prozentpunkte höher, der Durchschnitt aller Offerten, die der Optik- und Akustikspezialist von Banken bekommen hat, immer noch einen halben Prozentpunkt darüber. „Das fällt ins Gewicht“, sagt Knoche.

Finanzierungsprobleme sind vor allem eine Folge der schärferen Eigenkapitalvorschriften der Banken

„Über einen Versicherer zu finanzieren ist interessant für Kreditnehmer, die eine längerfristige Zinsbindung suchen“, sagt Manfred Hölscher, Leiter der Enderlein Baufinanzierung in Bielefeld. Laufzeiten von 15 bis 20 Jahre seien hier deutlich einfacher zu bekommen als bei Banken.

Die Finanzierungsprobleme des Mittelstands haben nicht erst mit der Lehman-Pleite im Herbst 2008 begonnen – sie sind vor allem eine Folge der schärferen Eigenkapitalvorschriften der Banken. Schon seit 2003 müssen die Finanzinstitute höhere Kreditrisiken mit mehr Eigenkapital ab-sichern. Die aktuell beschlossenen Änderungen, im Fachjargon „Basel III“, dürften die Situation nochmals verschärfen: Rücklagen müssen nun noch höher angesetzt werden.

Die Folge: Den Finanzinstituten steht weniger Geld für Ausleihungen zur Verfügung. „Schon heute müssen die Banken Kredite an kleinere und mittlere Unternehmen mit mehr Eigenkapital unterlegen als zum Beispiel für den Kauf griechischer Schrottanleihen“, schimpft Mario Ohoven, Präsident des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft.

Um ihre Finanzstruktur zu verbessern, haben Mittelständler schon in den vergangenen Jahren viel getan: Sie haben ihre Lager kräftig abgespeckt und damit die Kapitalbindung verringert und den Cash-Flow verbessert. Sie setzen stärker auf eigenkapitalschonende Finanzierungsalternativen wie Leasing für Maschinen und Gebäude. Auch Factoring wird häufiger genutzt: Dabei werden offene Forderungen an die eigenen Kunden an die Factoringgesellschaft abgetreten, die dafür – gegen Gebühr – die Rechnung sofort begleicht.

Anleihen vom Kapitalmarkt

Biomöbel-Unternehmer Johannes Genske Quelle: David Klammer für WirtschaftsWoche

Inzwischen sind diese Alternativen nahezu ausgeschöpft – kaum ein Unternehmen hat noch versteckte liquide Mittel in der Bilanz. Und der Finanzierungsspielraum durch Banken wird immer geringer – zumindest für die vielen Mittelständler mit eher dürftiger Eigenkapitalausstattung. Die ist nach einer Faustregel umso geringer, je kleiner das Unternehmen ist.

Größere Mittelständler sind in einer besseren Position: Anders als die kleinen können sie sich über Anleihen Geld am Kapitalmarkt beschaffen. „Bereits im unteren zweistelligen Millionenbereich können Unternehmen Anleihen auflegen“, sagt Peter Bartels, für den Mittelstand verantwortlicher Vorstand der Beratungsgesellschaft Pricewaterhouse-Coopers (PwC).

Beim Ernst Klett Verlag hat das so gut funktioniert, dass die erste Anleihe aus dem Jahr 2008 von 25 auf 30 Euro je Anteilsschein aufgestockt werden konnte, weil sie so gut gezeichnet wurde. Bei der zweiten Anleihe 2009 hatte Klett die benötigten 50 Millionen Euro ebenfalls schnell beisammen.

Auch sogenannte Schuldscheindarlehen stehen hoch im Kurs. Anders als bei Anleihen stammt der Kredit in diesem Fall nicht vom öffentlichen Kapitalmarkt, sondern von einem großen Investor – meist von einer Versicherung. Schuldscheindarlehen kommen damit auch für kleinere Betriebe infrage, die keinen Zugang zu den Kapitalmärkten haben. Unternehmen müssen sich stärker als bisher üblich von den Banken unabhängig machen.

Kunden zu stillen Teilhabern gemacht

Das bedeutet aber auch, dass ein zusätzlicher Gesellschafter unter Umständen Mitsprache verlangt. Johannes Genske hat noch eine andere Lösung gefunden. Der Inhaber des Kölner Biomöbel-Hauses Genske machte seine Kunden zu stillen Teilhabern. Die geben zwar Geld, reden ihm aber nicht bei seinen Entscheidungen rein. „Ich stand damals mit dem Rücken zur Wand“, erinnert sich Genske. 2003 musste er eine Filiale dichtmachen, daraufhin kündigte ihm seine Hausbank die Konten. Die Finanzierungslücke von 90.000 Euro schloss der Möbelhändler mithilfe von 13 Stammkunden, die als stille Teilhaber einstiegen. 130.000 Euro zusätzliches Eigenkapital sammelte Genske auf diese Weise ein.

Mittlerweile laufen die Geschäfte wieder so gut, dass Genske seinen Teilhabern sogar höhere Zinsen als vereinbart zahlen kann: Statt der versprochenen vier gibt es jetzt bis zu zehn Prozent.

Auch die Finanzstruktur seines Möbelhauses ist heute deutlich gesünder als vorher, die Eigenkapitalquote liegt bei stolzen 33 Prozent. Nur etwa ein Viertel aller Mittelständler kann eine Quote von mehr als 30 Prozent vorweisen. Dem Unternehmer Genske haben sich damit ganz neue Freiräume eröffnet: „Ich habe gerade einer Bank den Rücken gekehrt, weil sie mir bei den Konditionen nicht flexibel genug war“, freut er sich.

Der Kleidungsspezialist Tom Tailor nutzt eine andere Alternative: Das Hamburger Unternehmen lässt sich die in der Türkei produzierten Polohemden von dem Finanzdienstleister WCF Finetrading vorfinanzieren.

Sparvertrag für Innovationen

Das System funktioniert so: Nach der Bonitätsprüfung hat WCF Tom Tailor eine Kreditlinie eingeräumt, bis zu der Waren eingekauft werden können. Käufer der Ware ist aber nicht Tom Tailor, sondern WCF – die gibt sie dann weiter an das Modeunternehmen, stundet die Rechnung aber bis zu vier Monate lang. Tom Tailor zahlt dafür eine gestaffelte Gebühr, je nachdem, wie hoch die in Anspruch genommene Kreditsumme noch ist. Die Gebühren sind umso höher, je länger finanziert wird, und steigen in der Spitze auf 1 bis 1,75 Prozent der vorfinanzierten Summe.

Anders als beim Factoring verlangt WCF aber keine Abtretung von Forderungen, die Tom Tailor gegenüber seinen eigenen Kunden hat. Der Lieferant aus der Türkei bekommt seine Ware pünktlich bezahlt, Tom Tailor bleibt liquide. Zudem taucht der Vorgang nirgendwo als Kreditlinie auf, verschlechtert also nicht die Chancen auf eine normale Bankfinanzierung.

Auch bei Finanzierungen mit fondsbasiertem Eigenkapital bleiben Mittelständler Herr im eigenen Haus. Das Modell funktioniert ähnlich wie geschlossene Schiffsfonds für vermögende Privatanleger, läuft wie diese zwischen fünf und zehn Jahren; es bietet für den Geldgeber zwar keine Steuervorteile, dafür aber mit bis zu 15 Prozent eine relativ hohe Verzinsung.

„Damit lassen sich vor allem komplexe, sehr teure Vorhaben von Mittelständlern finanzieren“, sagt André Marius Le Prince, geschäftsführender Gesellschafter der Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft WLP aus Hamburg. Bisher hat Le Prince aber noch keine Geldgeber gefunden: „Der größte Knackpunkt ist das Mindestfinanzierungsvolumen von zehn Millionen Euro.“ Doch auch für mittelständische Kreditnehmer ist das Konzept nicht unproblematisch: Das hohe Renditeziel verteuert die Projektkosten.

Dass der Fantasie kaum Grenzen gesetzt sind, zeigt auch die Idee von Manfred Petz, der für die Industrie- und Handelskammern Stade und Lüneburg Unternehmen in Sachen Patente und Innovationen berät. Sein Konzept basiert auf einer Art Sparvertrag: „Ein Unternehmen könnte wie bei einem Bausparvertrag 40 Prozent einer festgelegten Summe in einen verzinsten Sparplan einzahlen“, erläutert er. Nach zwei Jahren bekäme das Unternehmen weitere 40 Prozent als günstiges Darlehen von der Bank, die restlichen 20 Prozent soll der Staat drauflegen.

Die Kreditspezialisten der Volksbank Stade-Cuxhaven hat Petz überzeugt, auch Unternehmer hat er an der Hand. Noch fehlt aber der staatliche Förderanteil; derzeit teilen sich Volksbank und Unternehmen noch die Finanzierung zu gleichen Teilen. Bei dem einigen ausgewählten Kunden angebotenen „InnovationsVorsorge-Vertrag“ müssen die Unternehmen bis zu zweieinhalb Jahre Kapital für ihre geplanten Investitionen ansparen.

Als Alternative für klamme Mittelständler taugt das Petz-Programm allerdings kaum. Jens Drexler, Vertriebsleiter der Volksbank: „Wer es schafft, 25.000 Euro in zwei Jahren anzusparen, der ist im Prinzip solvent.“ 

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