Nach der Scheidung von Chrysler Historisches Dilemma für Daimler

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Die Stuttgarter Zögerlichkeit beim Verringern des Kohlendioxidausstoßes verwundert Branchenkenner. „Es ist vollkommen schleierhaft, weshalb Mercedes nicht viel stärker auf die Umweltkarte gesetzt hat“, sagt ein Partner einer Unternehmensberatung. „Die Marke hat sich früh einen tollen Ruf für sichere Fahrzeuge erarbeitet – die Gelegenheit hätte man auch bei Umweltthemen gehabt.“ Stattdessen muss Entwicklungsvorstand Thomas Weber nun die Lücke zur Konkurrenz schließen. Das kostet nicht nur zusätzliches Geld für Forschung und Entwicklung. Es erhöht auch die Kosten pro Fahrzeug und drückt damit auf die Rendite, weil sich vor allem bei kleineren und preiswerteren Fahrzeugen wie A- und B-Klasse nicht alles mit dem Verkaufspreis auf die Kunden abwälzen lässt. Vor einem möglichen Strategiewechsel steht Daimler in der Frage, was künftig typisch Mercedes sein soll und welche Teile von Zulieferern gekauft werden. Wie sein BMW-Kollege Reithofer muss auch Zetsche beantworten, was künftig die Kernkompetenzen des Unternehmens sein sollen und welche Entwicklungsbereiche ausgebaut werden sollten. Dass das Thema Umwelt dabei eine große Rolle spielen wird, scheint bereits sicher. So erwägt das Unternehmen, in der Turbo-Aufladung von Motoren mehr eigenes Know-how aufzubauen und die auch für sparsamere Antriebe nützliche Technik weiterzuentwickeln. Auch bei Hybridantrieben, der Kombination von Elektro- und Verbrennungsmotoren, schließt Chefentwickler Weber nicht aus, dass der Hersteller gezielt eigene Kompetenzen aufbaut. Weber: „In die Chemie der Batteriezellen gehen wir sicherlich nicht selber hinein, alles andere schauen wir uns genau an.“ Auch das wird es nicht umsonst geben. Und so stellt sich immer schärfer die Frage, mit wem Daimler künftig zusammenarbeiten könnte, um die Ausgaben für Forschung und Entwicklung nicht ausufern zu lassen. Mercedes gab dafür im vergangenen Jahr rund 2,2 Milliarden Euro aus, BMW mehr als 2,5 Milliarden. Wohin die Schwaben steuern müssen, zeigt der Anteil der Entwicklungsausgaben. Während BMW im vergangenen Jahr 5,2 Prozent des Umsatzes in die Forschung steckte, waren es bei Mercedes nur 3,9 Prozent. „Man kann spekulieren, ob BMW nicht zu viel Geld für Forschung und Entwicklung ausgibt“, sagt Marc René Tonn, Autoanalyst bei M.M. Warburg, „aber Mercedes wird seine Ausgaben definitiv erhöhen müssen.“ In den vergangenen Monaten sollen die Stuttgarter nach Brancheninformationen bereits verstärkten Kontakt mit dem unmittelbaren Konkurrenten aus München gehabt haben, um mögliche Formen der Zusammenarbeit zu diskutieren. Schon jetzt kooperieren BMW und Daimler bei Hybridantrieben. Weiteres könnte folgen, wie in Stuttgart und München bestätigt wird, etwa bei Dieselmotoren. „Von der Kompetenz, die Mercedes beim Thema Bluetec hat, kann sicherlich auch BMW profitieren“, sagt Norbert Wittemann, Autoexperte bei der Unternehmensberatung PRTM. Ein grünes Image könnte Mercedes auch helfen, wieder stärker ins Bewusstsein junger Käufer zu rücken. Dort ist die Marke vergleichsweise schwach repräsentiert. In Deutschland war 2006 der durchschnittliche Mercedes-Kunde fast 55 Jahre alt, die Käufer von BMW-Modellen 51 Jahre und Audi-Kunden 50 Jahre. Das wirkt auf den ersten Blick nicht schlimm, weil die Gesamtbevölkerung altert und reifere Käufer meist solventer sind. Problematisch kann es allerdings werden, wenn die Kunden von morgen die Marke chronisch unsexy finden und diese Haltung bis ins Alter beibehalten. Das Problem betrifft Mercedes nach Einschätzung von Christoph Stürmer, Analyst beim Beratungsunternehmen Global Insight, vor allem in Nordamerika: „In den USA ist die Marke bei der jüngsten Käufergeneration noch nicht cool.“ Drastischer drückt es PRTM-Berater Wittemann aus: „Mercedes muss aufpassen, dass ihnen aufgrund der Altersstruktur die Kunden nicht wegsterben.“ Zetsche will potenzielle Kunden deshalb mit neuen Modellen früher an die Marke heranführen. Denn der Versuch, mit der kleinen A- und B-Klasse die junge Klientel anzusprechen, ist missglückt. Künftig soll es deshalb am unteren Ende der Modellpalette ein sportlicheres Einstiegsmodell geben, das dem Audi A 3 und BMW 1er Paroli bietet. Zudem soll ein kleines und halbwegs erschwingliches Sportcoupé das betagte C-Klasse-Coupé ablösen.

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