Neue Abhör-Affäre Telekom: Wir haben mitgehört

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Zum Abhören berechtigte staatliche Stellen (Bitte klicken Sie auf das Lupen-Symbol, um die Grafik zu vergrößern)

In der Sitzung im März 1997 ist für Klinkhammer und Dahs die Antwort auf die brennende Frage, wie mit der rechtlich höchst fragwürdigen Abhöraktion umzugehen sei, dem Protokoll zufolge klar. Statt „Selbstzerfleischung“ zu betreiben und sich „blutige Nasen zu holen“, habe Dahs betont, müsse es nun mehr darum gehen, Wiederholungen zu vermeiden, heißt es im Protokoll. Dieser Generallinie habe sich Klinkhammer sofort angeschlossen und die Teilnehmer der Runde gebeten, die erforderliche Vertraulichkeit zu wahren. Klinkhammer wollte dazu keine Stellungnahme abgeben, Dahs kann sich an seine damaligen Ausführungen nicht erinnern.

Dabei beließ es Klinkhammer in der Sitzung nicht bei Appellen an die Verschwiegenheit der Sitzungsteilnehmer . Um sich rechtlich abzusichern, hatte er im Vorfeld bereits ein juristisches Gutachten bei Dahs in Auftrag gegeben. Die Expertise, das wurde den Teilnehmern der Besprechung schnell klar, hatte vor allem eine Stoßrichtung: Die Bestimmungen des Fernmeldegesetzes und des Strafgesetzbuchs sollten möglichst so weit auslegt werden , dass sich die Beteiligten an der Abhöraktion auf Notwehr berufen könnten.

Dazu war sich Anwalt Dahs offenbar für keinen juristischen Winkelzug zu schade. So empfahl er laut Protokoll, dass die Abhörer sich nur noch „retten“ könnten, indem sie darstellten, dass sie es mit „Neuem Recht“ zu tun gehabt hätten. Für alle Beteiligten habe eine außerordentliche Stresssituation bestanden, weil niemand gewusst habe, wie weit die möglichen Schäden durch Hacker reichen würden. Einwände eines Sitzungsteilnehmers, die Telekom habe sich doch intensiv am Gesetzgebungsverfahren zum Telekommunikationsgesetz beteiligt, das im Sommer 1996 beschlossen wurde, hätten Dahs wie auch Klinkhammer an sich abprallen lassen, heißt es in dem Protokoll. Ebenso wenig Gehör habe der Hinweis eines Anwesenden gefunden, dass Notwehr als Begründung für die Abhöraktion rechtlich ausscheide. Auch dazu wollte Klinkhammer sich nicht äußern, ebenso wenig kann sich Dahs an diese Äußerungen heute nicht erinnern.

Stattdessen versuchte Klinkhammer sogar, so steht es in den Aufzeichnungen über die Besprechung, die Abhörmaßnahmen mit Verpflichtungen in der Freizeit zu rechtfertigen. Die Aktion habe sich in einer Zeit ereignet, wird Klinkhammer zitiert, in der die Telekom-Vorstandsmitglieder mit ihren Frauen bei Konzernchef Sommer privat eingeladen gewesen seien. Man könne sich gar nicht vorstellen, habe Klinkhammer betont, welche Hektik und welcher Druck durch die laufenden Telefonate zwischen der Telekom-Zentrale und dem Hause Sommer damals entstanden seien

Vor diesem Hintergrund seien alle Beteiligten der Meinung gewesen, mit Blick auf den drohenden Hackerangriff das „Schlimmste vom Telefonnetz abwenden“ zu müssen. Immerhin sei es ja auch darum gegangen, habe Anwalt Dahs ergänzt, ,,die Täter auf frischer Tat zu ertappen“. Gleichwohl sei es für die Beteiligten schwer, die Abhöraktion unbeschadet zu überstehen. Wenn alles herauskäme, müsste selbst die „zahme und zurückhaltende, ja gesprächs- und verhandlungsbereite Staatsanwaltschaft Bonn“ eine „rote Akte mit der Deckel-Aufschrift gegen Hultzsch und andere“ eröffnen, soll Dahs gesagt haben. Auch daran kann er sich nicht konkret erinnern.

Offenbar war Klinkhammer irgendwann die Bedenken aus den Reihen der Anwesenden dermaßen leid, dass er auf der „weiten Auslegung“ des Telekommunikationsgesetzes beharrte und die Besprechung beendete. Auch dazu war Klinkhammer zu keiner Stellungnahme bereit, Dahs kann sich heute daran nicht mehr erinnern.

Aufzeichnung (Ausriss) einer Besprechung, die der damalige Telekom-Personalvorstand Klinkhammer - interne Abkürzung beziehungsweise (1) - nach der Abhöraktion mit dem Bonner Anwalt Dahs (6) und ranghohen Telekom-Managern abhielt. Klinkhammer wollte sich dazu nicht äußern, Dahs kann sich an konkrete Details nicht mehr erinnern

So sehr sich Klinkhammer vor gut elf Jahren auch mühte, die Abhöraffäre nicht nach draußen dringen zu lassen und herunterzuspielen, so klar waren und sind die Gesetze, an die sich Telefongesellschaften halten müssen, um Kunden von Telefongesellschaften vor unerlaubten Mithörern zu schützen. Ohne eine richterliche Anordnung darf sich kein Staatsanwalt und kein Geheimdienst auf ein Telefonat aufschalten lassen. Zudem muss der Abgehörte informiert werden, wenn die Staatsgewalt bei ihm mitgehört hat.

Die Vorschriften sind besonders für Telekomgesellschaften brisant, weil ihre Einhaltung den Kern des Geschäfts berührt. Verstößt ein Unternehmen dagegen, droht ihm im Extremfall der Entzug der Lizenz, da es an der erforderlichen Zuverlässigkeit des Führungspersonals fehlt.

Bei ihrer Abhöraktion im Dezember 1996 hat die Deutsche Telekom, wie die vorliegenden Unterlagen zeigen, nicht nur ohne richterliche Anordnung gehandelt. Sie war als Unternehmen auch überhaupt nicht berechtigt, eine Abhörmaßnahme durchzuführen. Und Karl C. (Name von der Redaktion geändert), ein der von der Telekom Abgehörten, erhielt auch nie eine Benachrichtigung. „Hätte ich davon erfahren“, sagt er heute, „hätte ich sofort Strafanzeige erstattet.“

Käme der Fall vom Dezember 1996 heute vor Gericht und bestätigten sich die Vorwürfe, wäre die Tat inzwischen wohl verjährt, so dass die Verantwortlichen kaum noch zur Rechenschaft gezogen werden könnten.

Mahnende Worte

Bleibt die Frage nach der politischen Verantwortung. Die rückt an erster Stelle den früheren Post- und Telekom-Staatssekretär Gerhard Pfeffermann, aber auch seinen oberen Dienstherrn Minister Bötsch ins Zwielicht.

Denn die Postministerialen bekamen dann doch Wind von der Affäre. Klinkhammer blieb nur, am 2. Juli 1997 das Dahs-Gutachten über die angebliche Notwehr gegen die drohenden Hacker auch an Pfeffermann zu schicken. Großartig ins Detail wollte er aber offenbar nicht gehen. Insgesamt hätten vier Aufschaltungen stattgefunden, ließ Klingkammer Pfeffermann wissen. Dabei seien die Daten „wegen Gerätemängeln oder Bedienungsfehler versehentlich überschrieben“ und unwiederbringlich verloren. Es gebe keinerlei Unterlagen mehr, aus denen auf Art und Umfang der möglicherweise aufgezeichneten Verbindungen geschlossen werden könne. Von den insgesamt 121 abgehörten Telefonaten war in dem Brief keine Rede.

Pfeffermann war zunächst erschrocken und formulierte am 14. Juli 1997 einen Brief an Telekom-Chef Sommer. Darin ging er mit der bisherigen Vertuschungsstrategie ins Gericht. Paragraph 89 des Telekommunikationsgesetzes, auf den sich Klinkhammer und Dahs ständig beriefen, sehe die Aufzeichnung von Nachrichteninhalten „überhaupt nicht vor“, schrieb Pfeffermann. Auch ein rechtfertigender Notstand für die Abhöraktion komme „nicht in Betracht“. Insofern sehe er in der Abhöraktion eine strafrechtlich in hohem Maße bedenkliche „versuchte Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes nach § 201 StGB und Anstiftung“. Außerdem monierte Pfeffermann, dass der Postminister, der Datenschutzbeauftragte und die Betroffenen nicht informiert worden seien. Ob er den Brief erhalten hat und gegebenenfalls reagierte? Auch dazu war Sommer nicht zu erreichen.

Am Ende seiner Schelte schlug Pfeffermann allerdings auffällig versöhnliche Töne an: „Ich gehe davon aus, dass diese Unterrichtungen unverzüglich erfolgen werden.“ Mehr wollte er gegen die Verantwortlichen des mehrheitlich staatseigenen Börsenneulings dann doch nicht unternehmen.

Die Gescholtenen wussten die Zurückhaltung sehr wohl zu schätzen und reagierten mit Demut. Als erster ging Sicherheitschef Haag, der Telekom-Mitarbeiter direkt zu der Abhöraktion angewiesen hatte, und vermerkte, das nur eine einzige Telefonleitung von der Abhörmaßnahme betroffen gewesen und die Überwachung bereits am 13. Dezember um 8.30 Uhr beendet worden sei. Danach habe die Staatsanwaltschaft übernommen – ein glatter Widerspruch zu den vorliegenden Protokollen. Dies schrieb Klinkhammer dann auch an Post-Staatssekretär Pfeffermann

Der gab sich daraufhin – in einem Schreiben vom 15. Dezember 1997 an Klinkhammer – damit zufrieden, dass seine „Rechtsauffassung inzwischen“ auch von von der Telekom „geteilt wird“. Ansonsten äußerte er die feste Überzeugung, „dass nunmehr alle notwendigen Maßnahmen ergriffen worden sind, um eine Wiederholung eines solchen Vorgehens in Zukunft zu verhindern.“ Ex-Postminister Bötsch kann sich nach eigenen Angaben an die Schreiben nicht mehr erinnern.

Gebracht haben Pfeffermanns mahnende Worte offensichtlich nichts. Matthias Kurth, der Präsident der heutigen Bundesnetzagentur, monierte noch im März 2001 – über vier Jahre nach der Abhöraktion – in einem Brief an Telekom-Vorstand Klinkhammer, dass „die aus Sicherheitsgründen vorgeschriebenen Kontrollen der eingerichteten Überwachungsmaßnahmen bei der Telekom „seit Jahren ein ungelöstes Problem darstellen“. Deshalb sei es ihm nicht möglich, die einschlägigen Kontrollbefugnisse bei der Deutschen Telekom auszuüben. Mehr noch: „Ich habe leider auch Zweifel, ob die Ihrem Unternehmen obliegenden Kontrollaufgaben durchgeführt werden“, schrieb Kurth.

Dem hält die Telekom entgegen. Das Unternehmen habe „die Überwachungsmaßnahmen immer ordnungsgemäß protokolliert“ und wende „ein strenges Vier-Augen-Prinzip an“.

Trotzdem sieht der heutige Telekom-Chef René Obermann spannenden Zeiten entgegen. Denn die Affäre von 1996 und 1997 dürfte zur Steilvorlage für den Bundesdatenschutzbeauftragten Peter Schaar werden. Die Telekom habe ihm zwar mitgeteilt, dass sie den Daten- und Telefonverkehr inzwischen lückenlos protokolliere, also auch alle Abhöraktionen. Doch steht für Schaar fest: „Meine Mitarbeiter werden in der nächsten Zeit prüfen, wie protokolliert wird, wer Zugriff auf die Protokolle hat und wie diese Protokolle ausgewertet werden.“

Obermann wird sich etwas einfallen lassen müssen.

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