Norbert Bolz im Interview "Irgendwas kann man immer werden“

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Norbert Bolz im Gespräch mit der WirtschaftsWoche Quelle: Andreas Chudowski für WirtschaftsWoche

Warum ist es so schwer geworden, Lohn und Leistung zusammen zu denken?

Das hat mit den Massenmedien zu tun, die dafür sorgen, dass Status, Prestige und Einkommen sich von der Leistung emanzipieren. Celebrities müssen im Gegensatz zu den früheren Stars nichts mehr leisten. Man kann sie künstlich aufbauen. Die vollkommene Leistungsunabhängigkeit eines heutigen Superstars ist das Kunstwerk der Massenmedien selber. Sie suggerieren: Du kannst es schaffen, ohne etwas zu können. Überraschenderweise hat sich das bis in die Führungsetagen der Unternehmen herumgesprochen. Es gibt heute immer mehr Leute mit wahnsinnig viel Geld, die vom Dienst an der kapitalistischen Sache, vom Investment in eine bessere Zukunft nichts mehr wissen wollen.

Auf solche Menschen kann doch keiner neidisch sein. Über die ärgert man sich.

Richtig – und zwar zu Recht. Solange erkennbar ist, dass es eine Korrelation gibt zwischen dem Geld, das jemand hat, und der Leistung, die er erbringt, ist die Reichtumstoleranz hoch – und der unproduktive Neid klein. Wenn aber das Bewusstsein für den Zusammenhang zwischen Leistung und Bezahlung schwindet, ist die Reichtumstoleranz überfordert – und schlägt in Egalitarismus und Destruktivität um. Eben deshalb täte die Politik gut daran, zu einem prononciert positiven Leistungsethos zurückzukehren.

Sie unterstellen, dieses Ethos sei auf breiter Front verloren gegangen. Aber stimmt das überhaupt? Die meisten Menschen gehen doch jeden Tag arbeiten – und sie tun es seit zehn Jahren, obwohl ihre Nettolöhne nicht steigen.

Das mag sein. Das Problem ist, dass die Massenmedien nicht diese Mehrheit, sondern ständig Menschen zeigen, bei denen es schlechterdings nicht nachvollziehbar ist, welchen Zusammenhang es gibt zwischen ihrer Leistung und dem, was sie verdienen. Es werden Leute gezeigt, die unverdient absahnen – und Leute, die sich für fast nichts kaputt schuften. Das heißt: Nicht die sozialen Unterschiede bedrohen den Zusammenhalt unserer Gesellschaft, sondern die unverhältnismäßige Wahrnehmung dieser Unterschiede, auf deren Grundlage die Politik gleichmacherische Maßnahmen beschließt. Und dabei geht es der Politik nicht darum, dass Gerechtigkeit geschieht, sondern darum, dass die Leute sehen, dass Gerechtigkeit geschieht.

Die Massenmedien verhindern eine ehrliche Diskussion darüber, was Leistung ist?

So ist es. Nur ein Beispiel: Wer sein Abitur in der Tasche hat, kann entweder sofort studieren und schuften wie ein Teufel – oder er kann eine Weltreise machen, ein bisschen jobben und sein Studium genießen. Wenn Sie nun zwei Jahrzehnte später fragen, warum der eine so viel verdient und der andere nicht, könnte das auch mit so oder so verbrachten Studienjahren zusammenhängen. Danach fragt aber niemand, wenn er vor die Fernsehkamera gezerrt wird. Niemand fragt die alleinerziehende Mutter, warum sie alleinerziehend ist – und warum sie bei McDonald’s arbeitet. Die Scham verbietet uns zu fragen: Warum kannst du nur Hamburger verkaufen? Dabei gibt’s doch wunderbare Tellerwäscher-Karrieren. Schauen Sie sich nur Altkanzler Gerhard Schröder an. Von viel tiefer kann man nicht kommen. Aber er hat es dennoch geschafft – und seinen hoch dotierten Moskau-Job 1000-fach verdient.

Sie meinen, Menschen wie Schröder sollten bei uns zum gesellschaftlichen Leitbild erhoben werden?

Ja, das ist ja das Schlimme: dass man in den Massenmedien nicht auf die Vita von so vielen Menschen hinweist, die was aus ihrem Leben gemacht haben. Man sieht immer nur einen begründungslosen Ausschnitt aus dem Hier und Jetzt, von Reichen und von Armen – und so nährt man die Illusion eines Wohlfahrtsstaates, dessen Hauptaufgabe darin besteht, dem einen zu nehmen – und dem anderen zu geben.

Die meisten Soziologen kommen zu dem Befund, dass eben diese Aufstiegschancen sehr ungleich verteilt sind – und dass die Eliten eine geschlossene Veranstaltung darstellen.

Das halte ich für ein Gerücht. Ich streite es schlichtweg ab, dass, wenn jemand etwas werden will in unserer Gesellschaft, er nichts werden kann. Man wird nicht unbedingt das, was man wollte, aber irgendwas kann man immer werden. Ich zum Beispiel wollte Fußballprofi werden – und als das nicht geklappt hat, wenigstens Philosoph. Damit bin ich jämmerlich gescheitert. Trotzdem bin ich ein bisschen was geworden. Der Amerikaner Malcolm Gladwell hat es auf eine Formel gebracht: Das Geheimnis des Erfolgs ist, egal, worum es geht: 10 000 Stunden üben. Üben, üben, üben. So einfach ist das.

Sie kritisieren also nicht den Sozialstaat Bismarck’scher Prägung, sondern einen Wohlfahrtsstaat, der Leistung nicht honoriert?

Die Erfindung des Sozialstaats war eine politische Meisterleistung. Und ich habe auch nichts dagegen, dass Arbeitslose das bekommen, was sie bekommen. Ich weise nur darauf hin, dass es ein Irrtum ist, zu glauben, dass damit ein Problem gelöst wäre – und dass sich die Probleme durch staatliche Fürsorge verschärfen.

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