Outdoor Investoren suchen das Abenteuer Outdoor

Knorrige Wanderer oder abenteuerlustige Kletterer als erfolgreiche Unternehmer – das war einmal. Finanzinvestoren und Konzerne entdecken Trekkingschuhe, Funktionsjacken und Rucksäcke als ihr Geschäft.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Zum 150. Geburtstag der Quelle: Robert Boesch/PHOTOPRESS for Mammut via AP Images

An einem Mittwoch im August klingelt in 3657 Meter Höhe in den Schweizer Alpen ein Wecker. Es ist Viertel vor drei, draußen herrscht tiefe Nacht, kalte Sterne spicken den Himmel. Hoch über Grindelwald schält sich Rolf Schmid in der Mönchsjochhütte aus dem Bett. Er schlüpft in eine rot-schwarze Funktionsjacke, schnürt steigeisenfeste Schuhe, schultert den zehn Kilogramm schweren Rucksack. Was Schmid jetzt noch nicht weiß: Er wird heute Glück haben.

Im Schein der Stirnlampe stapft der Vorstandschef des Schweizer Bergsportausrüsters Mammut in die eisige Dunkelheit, zusammen mit seinem Seilgefährten, dem Profi-Bergsteiger Dani Arnold. Ihr Ziel: der Jungfrau-Gipfel in 4158 Meter Höhe. Mehr als vier Stunden später haben sie ihn erreicht, auf den Tag genau 200 Jahre nach der Erstbesteigung im Jahre 1811: Oben treffen sie andere Teilnehmer der Sternbesteigung zum Gipfel-Jubiläum – die zugleich eine gigantische Marketingkampagne der Outdoor-Firma einläutet: Bis zum kommenden Jahr wollen Kletterer weltweit 150 Gipfel besteigen, alles dokumentiert auf der Mammut-Internet-Seite, pünktlich zum 150. Geburtstag der Marke.

Verwöhnte Outdoor-Branche

Kurz genießen Schmid und Arnold die Aussicht. Dann drängen sie zum Aufbruch – und tun gut daran. Nicht alle Gipfelstürmer werden es an diesem Tag ohne blaue Flecken unter ein schützendes Dach schaffen: Jäh schlägt das Wetter um, ein halbstündiger Hagelsturm fegt Joch und Bergwelt leer. Schmid steht da schon im Stollen der Jungfraujochbahn und stärkt sich mit Pasta an einem eigens aufgebauten Buffet.

Der Manager kennt sich aus mit rauen Wettern – die Atmosphäre in der milliardenschweren Outdoor-Branche ist spürbar härter geworden. War das Geschäft mit Softshelljacken, Wanderstiefeln und Eispickeln allen Wirtschafts- und Bankenkrisen zum Trotz jahrelang verwöhnt von zweistelligem Umsatzwachstum, schlagen jetzt die Bedingungen um.

Globale Marken rücken vor

Noch gibt es zwar kleine Nischenfirmen. Doch die Uhr tickt, die Zeit der Unabhängigkeit geht für die meisten zu Ende. Im Sommer erst ging der Rucksackhersteller Ortovox an die Outdoor-Sparte der Buntstift-Firma Schwan-Stabilo, seit 2006 bereits das Dach der Firma Deuter. Der bayrische Schuhhersteller Hanwag gehört dem schwedischen Anbieter Fenix (Fjällräven), Lowa zum italienischen Tecnica-Konzern. Andere Winzlinge wie Raichle und Big Pack sind bereits verschwunden. "Die romantische Pionierphase der Branche ist vorbei", sagt Mammut-Chef Schmid.

Zum einen verlangsamt sich das Wachstumstempo. Zum anderen drängen globale Marken wie North Face und Jack Wolfskin, Salomon, Adidas und Columbia mit hohen Investitionen in den allein in Europa zehn Milliarden Euro schweren Markt. "Outdoor ist das Segment, in dem mit viel Kapitaleinsatz der Erfolg schon fast erzwungen wird", sagt Joachim Stumpf, Geschäftsführer der Münchner Handelsberatung BBE. "Derzeit steht der Verdrängungswettbewerb klar im Vordergrund."

Nicolas Warchalowski, Chef des schwedischen Outdoor-Ausrüsters Haglöfs Quelle: PR

Vor allem der US-Anbieter North Face ist auf Eroberungstour. Europa-Chef Timo Schmidt-Eisenhart sagt: "Es gibt in ähnlicher Größenordnung für uns kaum wirkliche Konkurrenz in diesem Markt." Bis 2015 wollen die zum Bekleidungskonzern VF Corporation gehörenden Amerikaner ihren Umsatz auf drei Milliarden Dollar mehr als verdoppeln und jedes Jahr um 16 Prozent wachsen. Vor wenigen Tagen erst schloss VF zudem den Kauf der US-Outdoor-Marke Timberland ab – für 2,3 Milliarden Dollar, den höchsten bislang in der Branche bezahlten Preis. Damit sorgt VF für steigenden Druck in allen Segmenten. Antje von Dewitz, seit 2009 an der Spitze des deutschen Familienunternehmens Vaude, sagt: "Die Spielregeln in der Branche haben sich enorm verändert."

Haben die großen Marken die vergangenen Jahre vor allem dazu genutzt, auf ihren Heimatmärkten stark zu werden, suchen sie ihren Umsatz nun verstärkt im Ausland (siehe Grafik). Nach der 700-Millionen-Euro schweren Übernahme durch den Finanzinvestor Blackstone vor wenigen Wochen will etwa Christian Brandt, Finanzchef der deutschen Marke Jack Wolfskin, neben China auch in Skandinavien und Osteuropa auf Umsatz-Jagd gehen. Bisherige Platzhirsche wie Fjällräven und Haglöfs in Schweden oder Salewa in Italien geraten daheim unter Druck. Haglöfs, vor einem Jahr vom japanischen Sportkonzern Asics übernommen, drängt seinerseits ins Ausland: "Heute steht Asien gerade für vier Prozent unseres Umsatzes, 2015 sollen es 15 Prozent sein", kündigt Vorstandschef Nicolas Warchalowski an. Vaude verbündete sich jüngst mit dem Hersteller Kailas, um den Vertrieb in China zu forcieren.

Veränderte Spielregeln

Produktionsengpässe in den asiatischen Herstellerländern machen sich vor allem für kleine und mittelgroße Marken bemerkbar. "Die Großen werden größer und die Kleinen zunehmend verdrängt", sagt Mark Held, Geschäftsführer des Branchenverbandes European Outdoor Group. "Das wird die Konsolidierung beschleunigen."Teures Marketing, die Inszenierung der Marke und auch der Einfluss der Mode werden immer wichtiger. Selbst der Europa-Manager der kanadischen Edel-Marke Arc’teryx, Reto Tischhauser, sagt: "Funktion allein reicht heute nicht mehr aus für den Erfolg einer Jacke – hat sie die falsche Farbe, droht der Flop." Damit steigt zugleich das Risiko, auf hohen Entwicklungskosten sitzen zu bleiben.Schließlich verschärft sich gerade der Kampf um den Umsatz zwischen großen Marken und Handel. North Face, Wolfskin und Salomon treiben ihr Wachstum immer stärker auch mit eigenen, margenstärkeren Shops voran. Das schadet Kaufhäusern wie Globetrotter, mit sieben deutschen Standorten, knapp 250 Millionen Euro Umsatz und 800 Marken nach eigenen Angaben Europas größter Outdoor-Händler. "Der Kunde kann sein Geld nur einmal ausgeben", schimpft Geschäftsführer Andreas Bartmann, "das ist Umsatz, der abfließt." Die Marken halten dagegen und werfen großen Ketten wie etwa Decathlon vor, die namhaften Anbieter als Lockvögel zu benutzen, gleichzeitig aber den Umsatz mit Eigenmarken wie Quechua zu forcieren: "Wir werden ganz klar missbraucht", ärgert sich Mammut-Chef Schmid. "Unsere Sorge ist, dass die großen Filialisten immer stärker ihre eigenen Marken nach vorne stellen, bei denen sie höhere Margen erzielen."

Über allen Gipfeln ist Ruh’? Von wegen.

Das Firmenlogo des Quelle: Marcus Brandt/dpa

Zuzuschreiben hat die Branche die Unruhe vor allem ihrem eigenen Erfolg. Kaum eine andere – außer vielleicht die IT- und Computerindustrie – kann auf eine ähnliche Wachstumsstory zurückblicken. Die meisten großen Marken waren vor nicht mal 25 Jahren noch Zwerge. Jack Wolfskin machte 1988 einen Umsatz von fünf Millionen Euro – für 2011 peilt der Konzern 350 Millionen an. Mammut, Teil des Zürcher Mischkonzerns Conzzetta Holding, setzte 1998 rund 20 Millionen Euro um – heute verkaufen die Eidgenossen Seile, Bergschuhe und Rucksäcke im Wert von mehr als 180 Millionen Euro. Und Marktführer und Umsatz-Milliardär North Face, hervorgegangen aus einem kleinen kalifornischen Kletterspezialisten, landete im Jahr 2000 für gerade mal 25 Millionen Dollar unter dem Dach des Jeans- und Dessous-Multis VF.

Profitieren konnten alle von einem gesellschaftlichen Trend: zurück zur Natur. "Der Loha klettert, wandert, raftet – und sei es in Gedanken", sagt Thomas Lipke, neben Andreas Bartmann Geschäftsführer von Globetrotter. Als Lohas bezeichnen Gesellschaftsforscher die Anhänger eines gesunden, nachhaltigen Lebensstils: Menschen mit höherem Einkommen, die beim Kauf einer statusträchtigen Outdoor-Jacke schon mal 400 Euro auf den Tisch legen – auch wenn die neue Joppe in vielen Fällen nur selten den Stadtrand und so gut wie nie das Hochgebirge sieht.

Gefühlte Authentizität

Die Bankenkrise beförderte den Trend: So mancher von Arbeitslosigkeit bedrohte Manager und Angestellte spürte das Verlangen, sich neu zu orientieren und eine spontane Sehnsucht nach bleibenden Werten. Während die Aktien der Geldhäuser auf Talfahrt gingen, blühte das Geschäft mit Wanderjacken. Den Rest übernahmen Trendsportarten wie Parcours (Hindernislauf durch die Stadt), Bouldern (Klettern in Absprunghöhe) oder Slacklining (Herumturnen auf fingerbreiten, zwischen Bäumen oder Felsen gespannten Seilen). Sie halfen, das etwas angestaubte Image der Branche aufzupolieren – weg von der Kniebundhose und roten Wollstrümpfen.

Natürlich würden für die neuen Hobbys auch Jeans und Turnschuhe reichen – trägt aber kaum einer. Wer aktiv ist, will Ausrüstung. In den Pionierjahren der Branche war das vor allem ein Job für Spezialisten und Tüftler wie Patagonia-Gründer Yvon Chouinard, der seine eigenen Kletterhaken schmiedete. Oder die in München als Sattlerei und Lederwarenfabrik gegründete Firma Salewa. Auch Schuhmacher Meindl gehört in diese Riege – die mehr als 300 Jahre alte Manufaktur aus dem bayrischen Kirchanschöring ist der wohl letzte unabhängige deutsche Bergschuhhersteller.

Im Kern lebt die Szene vor allem von der gefühlten Authentizität. Und die hat ihren Preis. Und sie riecht manchmal auch streng. "Den Schweißgestank kriegen wir nie mehr raus aus den Klamotten", grinst Rolf Reinschmidt, "dabei haben wir die schon mehrfach gewaschen."

Bergsteiger Reinhold Messner Quelle: dapd

Reinschmidt ist seit vier Jahren Chef des Outdoor-Segments beim Dax-Konzern Adidas. Eben hat er eine knallrote Jacke hereingeholt, die der Profi-Kletterer Alexander Huber bei einer Bergtour in der Antarktis trug. Er und sein Bruder Thomas sind die Vorzeigegesichter von Adidas’ Outdoor-Sparte. Die Franken haben das Wachstum der Branche registriert und wollen mitmischen. Schon vor mehr als 30 Jahren stattete Adidas Reinhold Messner bei dessen Mount-Everest-Besteigung mit Trekkingschuhen aus, ließ das Thema danach aber schleifen und konzentrierte sich auf Fußball, Running oder Basketball.

Jetzt ist Adidas zurück im Geschäft – doch das auf eher leisen Sohlen. Denn Reinschmidt hat erkannt, dass in der Outdoor-Branche der Grat zwischen Massenmarkt und Individualität extrem schmal ist. Wächst der Umsatz zu schnell mit zu einfachen Produkten, bleibt das Besondere, wofür die Kunden schließlich bezahlen sollen, auf der Strecke. Darum vertreibt der Riese seine Produkte seit diesem Herbst auch in den USA nur über Spezialisten.

Bislang geht das Rezept auf: "Wir sind im ersten Halbjahr um knapp 40 Prozent gewachsen und haben damit den Markt deutlich übertroffen, der im gleichen Zeitraum etwas ruhiger war als in den Vorjahren", sagt Reinschmidt. Damit liegt er voll im Plan. Denn bis 2015 will Adidas-Boss Herbert Hainer den Konzernumsatz von derzeit 12 auf 17 Milliarden Euro pushen – die Draußen-Sparte soll dazu eine halbe Milliarde Euro beisteuern, wenn es mehr wird, gerne.

Das treibt den Wettlauf der Marken weiter an. "Wenn Sie die Label abschneiden", sagt ein Branchenkenner, "können heute selbst Experten die Qualitätsunterschiede zwischen höherpreisigen Outdoor-Jacken nur noch unter der Lupe erkennen." Ein klarer Vorteil für Konzerne mit tiefen Taschen, denn Marketing wird so immer erfolgskritischer.

Design statt Outdoor

Manchmal reicht auch eine Idee. Wie jetzt bei der kanadischen Hardcore-Marke Arc’teryx, die für viele Experten in Sachen Qualität, Innovation und Preis Branchenmaßstab ist. Zwar spürt auch Arc’teryx – bislang mit einem Umsatz von gut 80 Millionen Euro etwa so groß wie die Familienunternehmen Schöffel und Vaude – den Druck, versucht aber, sich der Branchenentwicklung ein Stück weit zu entziehen.

Der Trick: "Wir definieren uns nicht länger als Outdoor-Firma, sondern als Designunternehmen", sagt Europa-Chef Reto Tischhauser. Statt sich auf bestimmte Zielgruppen wie Kletterer, Snowboarder oder Trail-Runner zu konzentrieren, hält sich Arc’teryx aus den Szenen heraus und versucht sich stattdessen mit einer neuen Linie – im Modemarkt.

Die Logik: Wenn Outdoor-Jacken schon in der Stadt getragen werden, müssen sie auch nicht mehr unbedingt nach Berg aussehen. "Das Know-how haben wir aus unseren Designlaboren – warum sollten wir das nicht auch für andere Zwecke nutzen?", sagt Tischhauser. Inzwischen hängen die Jacken der Linie Veilance schon im Edelkaufhaus Barney’s in New York und im Berliner Trendladen Firmament.

Alten Gewohnheiten bleibt Arc’teryx dennoch treu – zu neuen Spitzenpreisen freilich: Die Insulated-Shell-Jacke etwa kostet 1200 Euro. Das dürfte fürs Jungfraujoch dann doch zu schade sein.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%