
Von allen Parteien habe derzeit die FDP die unbequemste Botschaft zu bieten, kokettiert ihr Vorsitzender. Dann holt Guido Westerwelle Luft und kommt auf die Freiheit zu sprechen, „ein geländegängiges Wort“, unter dem aber viele doch „nur die Nach-Mallorca-Reise-Freiheit“ verstünden. Für Liberale dagegen gehe es „um die Freiheit, Verantwortung zu übernehmen“. Und diese Freiheit, sekundierte am Montag bei der 50-Jahr-Feier der Friedrich-Naumann-Stiftung in Bonn die liberale Ikone Lord Ralf Dahrendorf, sei „in Deutschland zu einem Minderheits-Ideal geworden“.
Auch wenn es die liberale Partei bei der demoskopischen Sonntagsfrage derzeit auf rund elf Prozent schafft – so viele Bundesbürger würden die Liberalen wählen, wäre nächsten Sonntag Bundestagswahl –, so bleibt sie trotz der Schwäche der großen Koalition weiterhin in ihrem Minderheiten-Dasein eingepfercht. Und auch personell erscheint die Partei eingeengt. Zeichnete sich die Partei einst durch Querdenker und -köpfe wie Karl-Hermann Flach, Walter Scheel, Hans-Dietrich Genscher und Otto Graf Lambsdorff aus, ist sie jetzt in der allgemeinen Wahrnehmung auf Guido Westerwelle zusammengeschrumpft. Eine „Ein-Mann-Show“, entfuhr es seinem Vorgänger als FDP-Chef, Wolfgang Gerhard, Anfang des Jahres.
Bei näherer Betrachtung ist die FDP jedoch nur in einen temporären Westerwelle-Schlummerzustand verfallen. Und es ist Westerwelle selbst, der den Nachwuchs durchaus zielstrebig fördert: still, um die selbstbewussten Platzhirsche in Partei- und Fraktionsvorstand nicht offen herauszufordern; konsequent, um am Ende doch die alte Nomenklatura aufzuknacken und die Partei zu verjüngen.
Vor allem im Bundestag arbeitet sich eine Nachwuchsriege nach oben. Zwar agieren immer noch Rainer Brüderle, 62, Hermann-Otto Solms, 67, oder auch der langjährige Haushaltsexperte Jürgen Koppelin, 62, als alte Schlachtrösser, doch streben jüngere Abgeordnete ins Rampenlicht. Zu den fleißigsten Fragestellern im Parlament zählen die beiden Finanzexperten Frank Schäffler und Volker Wissing. Diese schöpfen ihr Kontingent von monatlich vier Anfragen an die Bundesregierung regelmäßig aus und graben in den Tiefen von IKB-Krise, Bankenaufsicht, Einkommensteuer- und Umsatzsteuerrecht nach Missständen. Wissings Frage, weshalb für Mulis, also Kreuzungen zwischen Eseln und Pferden, ein ermäßigter Umsatzsteuersatz gelte, aber nicht für Esel, gab den Bundesfinanzminister der Lächerlichkeit preis. Dieser verschanzte sich hinter der bürokratischen Antwort, die Abgrenzung richte sich nach gesetzlichen Vorgaben.
Schäffler bringt derweil die FDP vor ihrem Bundesparteitag ein wenig in Schwung. Für seinen nordrhein-westfälischen Landesverband erarbeitete der Herforder ein alternatives Einkommensteuer-Konzept. Dieses sieht einen Grundfreibetrag von 10.000 Euro vor, anschließend zehn Prozent Steuersatz bis 30.000 Euro, 20 Prozent bis 60.000 Euro und 30 Prozent für darüber hinausgehendes Einkommen. Damit verspricht das Schäffler-Papier eine deutlich höhere Entlastung als der offizielle, vom Präsidium beschlossene Leitantrag für den Parteitag, der auf Altmeister Solms zurückgeht. Bemerkenswerterweise hat Westerwelle sowohl Schäffler als auch Solms für ihr jeweiliges Steuerkonzept unterstützt. Was manche als liberalen Wettbewerb oder Führungsschwäche auslegen, betrachten andere in der Partei als Teil von Westerwelles Strategie, die Jüngeren gegenüber den Älteren aufzubauen.
Auf den einflussreichen Posten des Vorsitzenden im Bundestag-Haushaltsausschuss hievte Westerwelle den 41-jährigen Otto Fricke und nicht den etablierten Haushaltsexperten Koppelin. Der Krefelder Fricke hat so die Chance, sich mit profunder Detailkenntnis im Berliner Politikbetrieb einen Namen zu erarbeiten. Auch der 31-jährige Daniel Bahr kann sich als gesundheitspolitischer Sprecher profilieren, genauso die 32-jährige Miriam Gruß als jugendpolitische Sprecherin.
Der Nachwuchs steht zudem für eine Bürgerlichkeit, die einige an der FDP bislang vermisst haben. Insbesondere enttäuschte Unions-Wähler, die nach einer neuen politischen Heimat suchen, empfinden die FDP als Fluchtpunkt zu kühl und ohne bürgerliche Werte – ein Gefühl, das Westerwelle nach Meinung parteiinterner Kritiker trotz aller rhetorischen Geschliffenheit aussendet. Fricke, Schäffler, Wissing, Bahr und Gruß sind allesamt verheiratet, fast alle haben Kinder und sind kirchlich engagiert. Vor Ort in ihren Wahlkreisen können die liberalen Bürgerlichen denn auch einen beachtlichen Teil von CDU-Frustrierten auf ihre Seite ziehen, insbesondere auch Handwerker, beobachtet Schäffler im Münsterländischen, seit in Berlin die in der schwarz-roten Koalition gefangene Union ihr konservatives Profil verwischt.
Nordrhein-Westfalen entwickelt sich dabei zu einer neuen Bastion für die FDP, seit sie hier 2005 zusammen mit der von Jürgen Rüttgers geführten CDU die Regierung übernommen hat. Der liberale Landeschef Andreas Pinkwart, 47, schärft seither als Innovationsminister das technologische Profil des bevölkerungsreichsten Bundeslandes, das sich zuvor jahrzehntelang an die hochsubventionierte Steinkohle geklammert hatte. Zwar kann der Wirtschaftsprofessor nicht an die emotionalen Spitzenwerte seines FDP-Vorgängers Jürgen Möllemann anschließen, doch arbeitet er umso aktiver in der Sache. Ob das Nationale Demenzforschungszentrum für Bonn oder das Blackberry-Forschungs- und Entwicklungszentrum in Bochum, Pinkwart kämpft um jede zusätzliche Forschungseinrichtung für NRW. Auf dem Münchner FDP-Bundesparteitag mischt Pinkwarts Truppe zudem bei den großen Themen Forschung und Einkommensteuerreform mit eigenen Anträgen mit.
Damit verschieben sich die geografischen Gewichte innerhalb der liberalen Partei in die Mitte Deutschlands. Federn lassen muss der traditionell starke Landesverband Baden-Württemberg, den Birgit Homburger, 43, eher mütterlich-emotional zu führen versucht. Ganz anders dagegen Philip Rösler, 34, der in Niedersachsen als Landes- und Fraktionschef der Liberalen mit Intellekt und Rhetorik brilliert. Der Mediziner und Reserveoffizier begeistert aus dem Stegreif mit Reden zu Liberalismus, Generationskonflikten oder Leitkultur und wird von manchem in der Partei als möglicher Nachfolger von Westerwelle gewichtet.
Noch aber ist der Bundesvorsitzende unangefochten. Die Partei konzentriert sich auf die Bundestagswahl in gut einem Jahr. Und so lädt Westerwelle seine Liberalen ganz entspannt zum Bundesparteitag am 31. Mai und 1. Juni in München. Große Schlagzeilen wird die FDP auch bei diesem Treffen jedoch nicht produzieren. Dafür sorgt allein schon der gleichzeitig stattfindende Zukunftskonvent der SPD in Nürnberg, wo sich die Sozialdemokraten um ihren Vorsitzenden Kurt Beck herum lustvoll weiterstreiten und mit linken Forderungen wie einer Vermögensteuer Aufmerksamkeit erheischen könnten. Diesen Unterhaltungsfaktor kann die FDP gegenwärtig nicht bieten.
Stattdessen nähern sich die Liberalen der Bundestagswahl 2009 an. Die Spitzenkandidatenfrage ist geklärt, ohne dass sie überhaupt jemand gestellt hat. Westerwelle ist unumstritten in der Partei, die zuvor fast jeden ihrer Vorsitzenden lustvoll zu demontieren pflegte. Zwar gilt der 46-Jährige als kühl, nicht wärmend, als gelitten, nicht geliebt, und er entspricht gewiss nicht den bürgerlichen Vorstellungen der FDP-Klientel. Doch es gibt (noch) keinen Konkurrenten weit und breit. Nach dann elf Jahren Opposition scheint zudem 2009 eine Regierungsbeteiligung in zwei Konstellationen denkbar: in der klassischen Variante mit CDU und CSU; oder als Jamaika mit den Grünen als Drittem im Bunde. Ob es für die erste Lösung reicht, ist ungewiss. Ob die zweite, für die es rechnerisch sicher reichen dürfte, aber politisch zustande kommt, ist ebenfalls fraglich. Die Grünen müssten sich nämlich Richtung Bürgerlichkeit bewegen, Bundeskanzlerin Angela Merkel hätte mit einer Dreier-Koalition gewiss mehr Mühe als mit einer derangierten SPD – und Marktwirtschaft hat ohnehin nicht mehr viel Konjunktur in Deutschland.
Als Trostpflaster bleibt der FDP immerhin, dass sie „als einzige Partei seit dem Jahr 2000 kontinuierlich an Mitgliedern gewinnt“, so ihr Bundesgeschäftsführer Hans-Jürgen Beerfeltz. In den ersten vier Monaten 2008 traten 2500 Bürger der FDP bei, die Mitgliederzahl stieg netto um 600 auf 65.500. Stolz ist Beerfeltz, dass die Hälfte der Neuzugänge jünger als 35 Jahre alt ist und die FDP mit einem Durchschnittsalter ihrer Mitglieder von 49 Jahren jüngste Partei geworden ist.