Pendeln macht dumm

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Es gibt sie, die Mobilitätsbehinderten, Leute, die nicht umziehen mögen, nur um einen besseren Job zu bekommen. Ähnlicher Art sind die Pendler, die täglich ein, zwei oder drei Stunden Fahrtzeit im Auto oder in der Bahn, zum Teil in Fernzügen, verbringen, nur weil sie nicht umziehen wollen. Diese Fahrtzeiten dehnen sich wie ein Kaugummi und verkleben das Leben dieser Zwischenmenschen, die nirgendwo siedeln. Ich selbst bin einst täglich zwischen Augsburg und München gependelt und kann bestätigen, was mir heute der Leiter einer Düsselorfer PR-Agentur sagte: Pendler unter den Mitarbeitern werden dümmer. Wieso dümmer? Der Agenturchef klagt mir sein Leid. Das kreative Agenturleben beginnt eigentlich erst um halb elf vormittags. Kreative Menschen stehen nicht vor Tau und Tag auf, weil sie abends noch das Stadtleben genießen, das Spätprogramm des Kinos besuchen oder sich die Köpfe in Restaurants heißreden. Kreative Menschen leben ja auch nicht auf dem Land, wo man mit dem ersten Hahnenschrei aufsteht und sich abends schnell ins Bett verabschiedet, weil draußen nichts los ist. Von der Urbanität, vom Luxus des Spätaufstehens und vom nächtlichen Lebensgenuß haben diese Pendler jedoch nichts. Der Agenturboss sagt warum: Seine Pendler kommen erst vormittags, aber bereits total übermüdet ins Büro. Hinter ihnen liegt die immergleiche Bahnfahrt, die monoton und geisttötend ist. Diese Vormittagsstarter stehen auf wie die Bergmänner, früh um sechs, um dann scharf getrieben dem Bahnhof zuzueilen, der das Nadelöhr für den Arbeitsbeginn darstellt. Endlose Schlangen, stumpfsinnige Fahrten, immer dieselben Gesichter, löschen den letzten Kreativfunken aus, der für einen fröhlichen Arbeitsbeginn nötig ist. Pendeln macht ja auch so unendlich müde! Da das Pendlerunwesen abends weitergeht, in umgekehrter Richtung, darf ein Pendler niemals seinen Arbeitsabend im Büro vertändeln. In den Innenseiten ihrer Spinde hängen Fahrpläne, minutengenau hetzt der Pendler aus dem Büro, so um halb sieben, denn er will ja vor neun zuhause sein. Pendler, die aus dem Büro stürmen, kennen nur ein Ziel, den Bahnhof. Zufällig querende Kollegen werden ignoriert, der Zug wartet nicht. Abends kann sich keiner dieser Pendler noch irgendwas Unsinniges im Fernshen angucken, nicht mal über das Spätabendprogramm kann er sich aufregen, keine Talkshow, kein Spätfilm lockert seine Abendleben auf, Nachtleben gibt's nicht. Der Pendler legt sich so zeitig wie ein Landwirt ins Bett, denn er muss ja morgens wieder früh raus - um spät anzukommen. Das ist absurd. Die Pendlermühle schleift alles ab, was nach Spontanität aussieht. Auch der Arbeitstag in der Agentur wird langsam aber sicher im Zeittakt abgespult, sagt der Agenturchef. Es darf keine Verzug geben, weil der Zug nie wartet. Es darf keine Änderungen geben, die Pendlerstrecke ändert sich ja auch nicht. Briefings werden wie Fahrpläne absolviert. Niemand mag mehr warten, Wartezeiten sind Gift für die Seele des Pendlers . Es gibt kein Links, kein Rechts, kein Oben und kein Unten, Schräges schon gar nicht - sondern nur ein Geradeaus. Ein unerbittliches Hin- und Zurück. So etwas stumpft ab. Innerlich und äußerlich: Ein Leben auf Schienen! 



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