Pharma Mercks umstrittener Managerkauf

Um sein kriselndes Pharmageschäft zu retten, kauft der Dax-Konzern etliche Manager von außen ein. Das sorgt intern für Frust und Ärger.

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Stefan Mappus Quelle: dapd

An seiner früheren Arbeitsstätte war der Bewerber gescheitert; Erfahrungen im Pharmageschäft hatte der 45-Jährige gleichfalls nicht vorzuweisen. Dennoch entschieden sich Karl-Ludwig Kley, Vorstandschef des Pharma- und Chemiekonzerns Merck, und die Vertreter der Eigentümerfamilie dafür, Stefan Mappus einzustellen. Der ehemalige baden-württembergische Ministerpräsident, der Wirtschaftswissenschaften studiert und vor seiner politischen Karriere im Vertrieb von Siemens gearbeitet hat, gilt ihnen als hoffnungsvoller Nachwuchsmanager mit nützlichen Kontakten. In der Merck-Zentrale in Darmstadt bereitet sich Mappus nun auf eine Führungsfunktion im Ausland vor, voraussichtlich in Südamerika.

Der Ex-Ministerpräsident ist zwar der prominenteste, aber längst nicht der wichtigste Neuzugang, der derzeit bei Merck anheuert. Anfang September hat ein ganzer Schwung neuer Top-Manager den Dienst aufgenommen – darunter die Spanierin Belen Garijo, die Britin Annalisa Jenkins und der US-Inder Udit Batra. Die internationale Truppe soll endlich das seit Jahren kriselnde Medikamentengeschäft von Merck voranbringen. Anders als Mappus können die anderen Neuen reichlich Arznei-Erfahrung vorweisen: Sie kommen von großen Konkurrenten wie Sanofi, Bristol-Myers Squibb und Novartis.

Solche Kompetenz wird in Darmstadt dringend benötigt. Seit mehr als zwei Jahrzehnten ist in den Labors von Merck kein neues, großes Medikament mehr entstanden. Nur dank des starken Chemiegeschäfts ist Merck in den vergangenen Jahren noch gut über die Runden gekommen (siehe Grafik). Will Merck mit seiner Pillensparte nicht in der Bedeutungslosigkeit versinken und mittelfristig in eine finanzielle Bredouille geraten, muss der Konzern handeln.

Neuheiten Fehlanzeige

Umsatz- und Gewinnanteile bei Merck

Die multinationale Eingreiftruppe ist die letzte Chance von Kley. Seinen eigenen Managern traut der Merck-Boss, der 2006 als Finanzvorstand der Lufthansa zu Merck wechselte, die Wende offenbar nicht mehr zu. Viele altgediente Führungskräfte sind frustriert, dass Top-Positionen fast nur noch mit externen Managern besetzt werden. Ob die Neuen mehr Erfolg haben werden, ist dabei noch nicht mal ausgemacht: Eine Strategie ist erst in Umrissen erkennbar. Bis die Veränderungen greifen, werden mindestens drei Jahre vergehen. Wer sich in dieser Umbruchzeit erfolgreich profiliert, hat beste Aussichten auf die Nachfolge des heute 60-jährigen Kley.

Das Grundübel der fehlenden Arznei-Innovationen ist altbekannt. 2006 kauften die Darmstädter für gut zehn Milliarden Euro den Schweizer Pharmakonzern Serono – unter anderem, um neue Medikamente in ihre Entwicklungs-Pipeline zu bekommen. Eigentlich hatte es Merck auf Schering abgesehen – doch die Berliner ließen sich lieber von Bayer übernehmen.

Serono erfüllte viele Erwartungen bisher nicht. Zwar profitiert Merck von dem angejahrten Serono-Medikament Rebif gegen multiple Sklerose. Doch Neuheiten blieben weitgehend Fehlanzeige. Neben Rebif sorgen vor allem die auch schon etwas älteren Medikamente Erbitux (Darmkrebs) und Gonal-f (künstliche Befruchtung) für konstante Umsätze und Gewinne.

Kley und sein Pharma-Chef Elmar Schnee hatten nach dem Kauf von Serono die Sparte neu aufgestellt. Alles sollte schneller, effektiver, besser werden. Die beiden Manager reduzierten die Zahl der Forschungsgebiete, strichen Projekte, übertrugen ihren Forschern aber auch neue Aufgaben und mehr Verantwortung. „Wir haben in den vergangenen drei Jahren in unserer Forschung und Entwicklung keinen Stein auf dem anderen gelassen“, bilanzierte Konzernchef Kley im Herbst 2009.

Erstarrungsprozess von Quelle: dpa

Doch das reichte nicht. Merck musste Rückschläge verkraften. Der Konzern wollte das erfolgreiche Krebsmedikament Erbitux – das ursprünglich vom US-Unternehmen Imclone stammt und von Merck einlizenziert wurde – auch gegen Lungenkrebs anbieten. Doch die europäische Zulassungsbehörde EMEA verweigerte vor zwei Jahren die Zulassung, weil ihr der Nutzen zu gering erschien. Gleichfalls fiel auch die Multiple-Sklerose-Pille Cladribin bei den Behörden durch. Die Prüfer verlangten weitere jahrelange Studien für die Tablette, die bei Merck schon als potenzieller Blockbuster mit Milliardenumsätzen galt.

Die Darmstädter hatten zur Verwunderung einiger Fachleute auf eine wichtige Studie zu Cladribin verzichtet und stattdessen entsprechende Daten des US-Konzerns Johnson & Johnson übernommen, der die Entwicklung von Cladribin einst auf den Weg gebracht hatte. Dieses Vorgehen sei mit den Behörden abgestimmt gewesen, argumentiert Merck.

Das Cladribin-Desaster dürfte Pharma-Chef Schnee den Job gekostet haben, auch wenn der Schweizer offiziell „aus persönlichen Gründen“ kündigte. Intern klagten Merck-Manager, Schnee sei in Darmstadt zu wenig präsent gewesen. Er führte das Pharmageschäft vor allem von seiner Schweizer Heimat aus.

Zwei Frauen für Merck

Aktien-Info Merck

Im Januar dieses Jahres übernahm Stefan Oschmann die Leitung des Pharmageschäfts. Der promovierte Tiermediziner hatte zuvor mehr als zwei Jahrzehnte lang für den US-Namensvetter Merck & Co. gearbeitet, der mit den Darmstädtern außer dem Namen nichts mehr gemein hat. Während Schnee vieles laufen ließ, handelte Oschmann schnell. Er kündigte erneut an, Bürokratie abzubauen und Kosten zu senken. Vor allem tauschte er gemeinsam mit Kley in rascher Folge das Personal aus. Zuweilen verkündeten beide im Wochentakt die Verpflichtung neuer externer Manager. Es ging zu wie bei einem Fußball-Bundesligaklub kurz vor Ende der Transferperiode – in dem Metier kennt sich Kley als Aufsichtsratsvorsitzender des 1. FC Köln aus.

Wenige Wochen nach Oschmanns Amtsantritt gingen US-Chef Fereydoun Firouz, dessen Geschäft sich nicht wie erhofft entwickelt hatte, und Roberto Gradnik, der unter anderem für das Multiple-Sklerose-Geschäft mit dem Flop Cladribin verantwortlich zeichnete. Beide stammten noch aus der alten Führungsriege von Serono.

Vor allem zwei Frauen sollen nun das Pharmageschäft voranbringen. Oschmann engagierte die Britin Annalisa Jenkins als neue Entwicklungschefin. Sie kommt vom US-Konzern Bristol-Myers Squibb und diente einst als Stabsärztin bei der britischen königlichen Marine. Die Spanierin Belen Garijo, zuvor in Diensten des französischen Sanofi-Konzerns, soll sich um das operative Tagesgeschäft kümmern und vor allem das Medikamenten-Marketing koordinieren.

Das Geschäft mit rezeptfreien Medikamenten wie dem Nasenspray-Klassiker Nasivin leitet künftig Udit Batra, ein Inder mit US-Pass, der von der Schweizer Novartis kommt. Unter Vorgänger Peter Shotter war die Sparte dahingedümpelt, während etwa Konkurrent Bayer mit rezeptfreien Pillen hohe einstellige Wachstumsraten erzielte. Vor allem auf dem Zukunftsmarkt China schwächelte Merck.

„Hinter den Kulissen laufen im Konzern noch zahlreiche weitere Entlassungen und Umbesetzungen“, sagt ein Merck-Insider.

Rote Zahlen im Quartal

Matthias Zachert Quelle: Merck

Eine neue Strategie für das Pharmageschäft ist allerdings erst in Umrissen erkennbar. Bislang ist neben Kosteneffizienz und Bürokratieabbau nicht viel mehr bekannt, als dass künftig Forschung und Entwicklung wieder getrennt geführt werden. Einen Einstieg in das lukrative Geschäftsfeld Biosimilars – das sind Nachahmermedikamente zu erfolgreichen Biotech-Präparaten, etwa gegen Krebs – will Oschmann prüfen.

Wie die Strategie im Details aussehen soll, darüber werden auch die gerade eingestellten Führungskräfte mitentscheiden. Bis die Veränderungen greifen, dürften jedoch mindestens drei Jahre vergehen.

Gelingt es Oschmann bis dahin, das Pillengeschäft wieder flottzukriegen, kann er sich berechtigte Hoffnung auf die Nachfolge von Kley machen. Der hat zwar einen Fünfjahresvertrag, könnte aber, wie aus dem Unternehmen zu hören ist, auch vorzeitig Platz machen.

Auf Kleys Posten dürfte auch Matthias Zachert schielen. Der 43-jährige Merck-Finanzvorstand ist einer der Überflieger der deutschen Wirtschaft. Der gelernte Industriekaufmann und studierte Betriebswirt arbeitete für die frühere Hoechst AG und später als Finanzvorstand für den Brötchenbäcker Kamps und den Chemiekonzern Lanxess. Dort erwarb er sich den Ruf, gut mit Aktionären zu kommunizieren.

Seit Juni ersetzt Zachert bei Merck Finanzvorstand Michael Becker, der aus Altersgründen ausschied und wegen seiner ruppigen, komplizierten Art bei Analysten oft aneckte. Allerdings verunglückte Zacherts Start: Seine Kommunikation mit dem Kapitalmarkt scheint nicht gut funktioniert zu haben. Viele Analysten waren verblüfft, als Merck für das zweite Quartal 2011 statt des erwarteten Gewinns einen Quartalsverlust in Höhe von 84 Millionen Euro auswies. Im Vorjahresquartal lag der Gewinn noch bei 187 Millionen Euro.

Unangenehme Überraschung

Kley und Oschmann hatten jede Menge Einmalaufwendungen in die Bilanz gepackt – unter anderem nahm Merck eine Wertberichtigung in Höhe von 161 Millionen Euro auf eine überdimensionierte Biotech-Produktionsanlage in der Schweiz vor. Dem Kehraus bei den Führungskräften folgte nun das bilanzielle Großreinemachen. „Mit den Zahlen zum zweiten Quartal hat Merck die Markterwartungen deutlich verfehlt, der Umfang der Sonderbelastungen hat unangenehm überrascht“, urteilte Thorsten Strauß, Analyst bei der Nord/LB. Strauß stört sich zudem daran, dass auch das um Sonderaufwendungen bereinigte Ergebnis unter den Erwartungen lag.

Gleichzeitig senkte Merck seine Umsatz- und Gewinnprognose für 2011. Das Unternehmen rechnet nun mit gut zehn Milliarden Euro Umsatz und einem operativen Ergebnis von etwa einer Milliarde Euro nach 1,1 Milliarden im Vorjahr.

Verpackung von Arzneimitteln Quelle: dpa

Viele Merck-Kenner sehen denn auch in Bernd Reckmann einen aussichtsreichen Anwärter auf den Chefposten. Er verantwortet das Chemiegeschäft – unter anderem Flüssigkristalle und Farbpigmente –, das seit Jahren den Großteil zum Gewinn beiträgt. Die – im Gegensatz zu Oschmann und Zachert – lange Betriebszugehörigkeit von gut 25 Jahren dürfte Reckmann bei der Eigentümerfamilie Pluspunkte einbringen. Derzeit darf er sich bei der Integration des US-Laborausrüsters Millipore bewähren, den Merck 2010 übernommen hat.

Bis seine Nachfolge feststeht, muss Kley noch einige unangenehme Aufgaben erledigen. Die Belegschaft hat er bereits auf weitere Kostensenkungen eingeschworen, auch ein Stellenabbau erscheint möglich. Gleichzeitig müht er sich, den Frust über die zahlreichen externen Neubesetzungen zu dämpfen. „Für Merck ist es ungewöhnlich, Manager von außen zu holen“, konstatierte er bei der Vorlage der Quartalszahlen im Juli und versprach: „Das soll aber kein Dauerzustand sein. Künftig liegt der Fokus auf internem Potenzial.“ Kurz danach warb Merck als Chef für den Laborausrüster Millipore den Amerikaner Robert Yates vom Pharmakonzern Roche ab.

Vorbild Boehringer

Viele Erfolgserlebnisse dürften Kley während seiner Amtszeit nicht mehr beschieden sein. Zwar läuft die Entwicklung eines neuen Medikaments gegen Hirntumore sowie eines Impfstoffs gegen Lungenkrebs durchaus vielversprechend. Doch die Früchte wird wohl erst sein Nachfolger ernten: Bis zur potenziellen Markteinführung dürfte in beiden Fällen etwa ein halbes Jahrzehnt vergehen.

Kley möchte zumindest das Pharmageschäft noch zurück in die Erfolgsspur führen. Sein Vorbild heißt Boehringer Ingelheim. Das Pharma-Familienunternehmen aus dem rheinland-pfälzischen Ingelheim legte eine erstaunliche Wende hin. Vor zwei Jahrzehnten hatte Boehringer kaum attraktive Medikamente zu bieten. Inzwischen brilliert das Unternehmen mit Innovationen wie dem Anti-Schlaganfallmittel Pradaxa. In den späten Achtziger- und Neunzigerjahren baute Boehringer seine Forschung und Entwicklung völlig um, untersuchte seine Medikamenten-Kandidaten gründlicher und verpflichtete vielversprechende Führungskräfte von außen. Dazu zählten der frühere Bayer-Manager Rolf Krebs und der Forscher Andreas Barner, der von Ciba-Geigy (heute Novartis) kam. Beide standen später an der Spitze von Boehringer Ingelheim. Auf eine ähnliche Strategie setzt nun auch Kley. Er lässt sich dabei von Krebs und dem früheren Boehringer-Manager Hans-Jürgen Leuchs beraten, die beide im Merck-Aufsichtsrat sitzen.

Neuzugang Mappus dürfte in Kleys Plänen allerdings zunächst eine weniger wichtige Rolle spielen. Zur Berufung des Quereinsteigers aus der Politik gab Merck noch nicht mal eine Pressemitteilung heraus. Die Verpflichtungen von Oschmann, Zachert, Jenkins, Garijo und Batra verkündete der Konzern dagegen hochoffiziell.

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