Pommes frites aus Belgien Delikatesse aus der Tüte

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Preiswert und doch eine Delikatesse: die perfekten Pommes Frites Quelle: Reporters/LAIF

150 Kilo Rindertalg verbrauchen die Mitarbeiter von Antoine pro Tag, mittags wird das Fett automatisch gefiltert, jeden Abend entsorgt. Altes Fett sorgt nicht nur für einen unangenehmen Geruch, es hinterlässt auch einen unerwünschten Beigeschmack.

Entscheidend ist auch der Garvorgang. In Belgien kommen Pommes frites nicht einmal, sondern zweimal ins Fett. Spitzenkoch Wynants sagt, dass er in keinem der großen französischen Kochbücher je einen Hinweis auf den zweiten Durchgang gefunden hat. Die zweigeteilte Garzeit hat ihren Sinn. Beim ersten Bad im Fett garen die Kartoffeln, sodass das Innere später wie Püree auf der Zunge zergeht. Das zweite Bad verleiht den Kartoffeln ihre krosse Kruste.

Bei beiden Durchgängen kommt es auf die richtige Temperatur an. „Ist das Fett im ersten Durchgang zu heiß, dann wird die Kartoffel außen hart, behält aber gleichzeitig einen harten Kern“, weiß Antoine-Erbe Willaert aus der Zeit, als er selbst an der Fritteuse stand. Die vollautomatischen Fritteusen sind bei Antoine für den ersten Durchlauf auf eine Temperatur zwischen 130 und 140 Grad programmiert.

Bevor die Kartoffeln anschließend weiterverarbeitet werden, müssen sie ruhen. „Ich schmecke es sofort heraus, wenn beide Arbeitsgänge ohne Pause aufeinander geschlossen gefolgt sind“, sagt Willaert. Ruhen die Pommes wiederum zu lange, beeinträchtigt das ebenfalls die Qualität. „Dann trocknen sie aus und ziehen sich zusammen“, sagt Willaert.

Beim zweiten Arbeitsgang, der nur wenige Minuten dauert, müssen die Thermometer zwischen 160 und 180 Grad anzeigen. Nach drei, vier Minuten fischt Frittenbäcker Del Vecchio die fertigen Fritten heraus, lässt sie kurz abtropfen und salzt sie, bevor er sie mit geübten Handgriffen in eine handgedrehte Papiertüte hievt. Auf zwölf Quadratmeter Arbeitsfläche muss jeder Handgriff sitzen.

20 Saucen stehen im „Maison Antoine“ zur Auswahl, doch Kenner essen ihre Frites pur oder „nature“, wie es auf Französisch heißt. Die Saucen kommen aus der Fabrik und würden nur das delikate Aroma der Kartoffeln übertünchen. Die Kartoffel wählt Chef Willaert sorgfältig aus, wegen der Textur und wegen ihres Eigengeschmacks. Normalerweise arbeiten er und sein Team nur mit der Sorte Agria, einer Abart der festkochenden Bintje. „Maison Antoine“ lässt sich bei Landwirten im Brüsseler Umland Jahr für Jahr Felder reservieren. Im Handel ist Agria kaum zu bekommen. „Die Frittenindustrie krallt sich die Ernte“, erzählt Willaert.

Auch Berühmtheiten schätzen die Gourmet-Pommes

Wenn die schlecht ausfällt, muss er auf andere Sorten ausweichen. Das ist mit aufwendigen Garproben verbunden, denn jede Kartoffelsorte reagiert anders auf das Fettbad. Doch selbst wenn sich die Frittenköche auf die neuen Knollen einstellen, erzielen sie nur selten dieselben Resultate. Ein Schild in der Auslage weist Kunden dann darauf hin, dass wegen der Kartoffeln die Fritten leider nicht ganz so wie üblich schmecken.

Nicht nur die Kunden honorieren Willaerts Qualitätsbewusstsein. Das edle Restaurant Stirwen, lange Zeit mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet und noch immer eines der besseren Restaurants Brüssels, lässt sich die Fritten von „Maison Antoine“ über die Straße liefern und vermerkt den Ursprung der Beilage stolz auf der Karte. „So gut wie wir bekommen sie es einfach nicht hin“, erklärt Willaert seine Lieferbeziehungen. Er glaubt generell, dass Fritten aus den belgischen Friterien denen aus Restaurants überlegen sind. „Wir haben die besseren Geräte“, betont er und zeigt auf seine Fritteuse im Wert von 75.000 Euro.

Tag für Tag reiht sich so ein sehr gemischtes Publikum in die Warteschlange vor der achteckigen Bude. Mittags kommen aus der nahe gelegenen EU-Kommission Anzugträger ebenso wie Arbeitslose aus dem Viertel, um für 2,20 Euro eine große Tüte mit 340 Gramm Fritten zu erstehen. Zum Glück für die belgischen Frittenbäcker lässt sich die Kundschaft von Gesundheitsdiskussionen nicht besonders beeindrucken. Eine ähnlich heftige Debatte über das krebserzeugende Acrylamid wie in Deutschland gab es hier nicht.

Willaert zerbricht sich über solche Themen nicht den Kopf, solange seine Kundschaft sonntags regelmäßig für seine Fritten über eine halbe Stunde ansteht. Und so lange Stars aus der ganzen Welt vorbeischauen, um bei ihm perfekte Fritten zu probieren. Rocksänger Mick Jagger hat er persönlich bedient, Schauspielerin Cathérine Deneuve erkannte einer seiner Angestellten trotz Kopftuchs und Sonnenbrille. Der französische Sänger Johnny Hallyday, der als Steuerflüchtling einen Wohnsitz in Brüssel besitzt, ist sogar Stammkunde.

Allerdings lässt er sich die Fritten regelmäßig ans andere Ende des Platzes bringen, um einen Menschenauflauf zu vermeiden. Als er das erste Mal in seinem roten Ferrari bei „Maison Antoine“ vorfuhr, sammelten sich binnen weniger Minute Schaulustige. Seitdem ruft sein Manager vorher kurz durch und kündigt seine Ankunft am anderen Ende des Platzes an.

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