
Jan Oetjen wollte der Schnellste sein. Also bot der Vorstand des Internet-Unternehmens 1&1 im rheinland-pfälzischen Montabaur etwas an, was es erst demnächst geben soll. Wer Kunde einer der beiden 1&1-Töchter GMX oder Web.de sei, so Oetjen am vergangenen Dienstag, dürfe sich schon jetzt kostenlos vorregistrieren lassen: für den künftigen rechtsverbindlichen elektronischen Brief namens De-Mail. Wenn der auf den Markt komme, so Oetjen, habe jeder, der sich jetzt anmelde, die gewünschte Adresse schon mal sicher.
Die Aufforderung Oetjens an die rund 26 Millionen Web.de- und GMX-Kunden war wohlkalkuliert und zielt auf einen neuen großen Spieler im Geschäft mit der Internet-Kommunikation: die Deutsche Post. Deren Brieftochter geht kommenden Donnerstag mit dem seit Monaten mit Spannung erwarteten elektronischen Brief namens E-Postbrief an den Markt.
Das Angebot ist das strategisch wichtigste Projekt des Logistikkonzerns. Zusätzlich zu den vorhandenen Briefkästen, Briefmarken und Briefträgern bietet der 30-prozentige Staatsriese künftig auch eine Art Briefkasten im Internet, der wie eine elektronische Schaltzentrale funktioniert. Über die soll künftig möglichst viel Korrespondenz laufen. Um auf Nummer sicher zu gehen, müssen sich die Nutzer dazu mit ihrem Personalausweis registrieren. Damit ist jeder eindeutig identifiziert. Dadurch soll insbesondere der Abschluss rechtsverbindlicher Geschäfte auf elektronischem Weg möglich werden.
Neue Briefdienste
Die Sommertage 2010 markieren eine Wende im Briefverkehr – durch Einführung einer bundesweit gültigen, staatlich anerkannten E-Mail-Adresse namens De-Mail. Das erforderliche De-Mail-Gesetz wird noch in diesem Jahr verabschiedet. Dann müssen personenbezogene Daten wie Kontoauszüge oder Krankheitsdaten nicht mehr persönlich oder per Brief zugestellt werden, um rechtsgültig zu sein.
Die Folgen der Elektronisierung sind gravierend. Ein großes Risiko trifft die Deutsche Post. Denn mit seinem E-Postbrief kannibalisiert der bisherige Marktführer sein bröckelndes Beinahe-Monopol im Briefgeschäft. Gleichzeitig wittern Internet- und Telekommunikationskonzerne wie Deutsche Telekom und 1&1 neue Einnahmequellen, die bisher großenteils der Post vorbehalten waren.
Entsprechend heftig wird der Wettbewerb, der sich anbahnt. Aus Sorge, sie könnte künftigen Konkurrenten den Weg bereiten, zog sich die Deutsche Post vor gut einem Jahr aus einem Konsortium zurück, das in Friedrichshafen am Bodensee das De-Mail-System testete. Der gelbe Riese setzt lieber auf das eigene System.
Im Gegenzug wagt sich 1&1 auf den Briefmarkt. Das Unternehmen bietet Web.de.-und GMX-Kunden an, deren elektronische Dokumente künftig auszudrucken, zu kuvertieren und als echten Brief zustellen zu lassen — natürlich nicht von der Post, sondern von deren Konkurrenten. Für den Service, auch Hybridbrief genannt, verlangt der Portalbetreiber54 Cent, einen Cent weniger als die Post für ihren Standardbrief. Der Service ziele vor allem „auf Gelegenheitsschreiber, die gerade keine Briefmarke zur Hand haben, oder Vereinsvorsitzende, die Rundbriefe an 200 Mitglieder verschicken müssen“, sagt 1&1-Vorstand Oetjen.
Den Nutzen der Elektronisierung genießen Unternehmen und Konsumenten gleichermaßen. Für sie wird vieles preiswerter, einfacher und sicherer: Jede rechtlich relevante Korrespondenz — ob Rechnung, Versicherungsvertrag, Behördenantrag, Kaufangebot oder schlicht die einfache vertrauliche E-Mail — kann bald ohne Briefmarke und Papier einfach über das Internet laufen. Allein Versicherungen erwarten Einsparungen von mehreren Millionen Euro pro Jahr, wenn sie künftig sämtliche Policen und Anträge durch den Äther schicken können.