Presseschau Libyens Stunde Null - mit offenem Ausgang

Die Wirtschaftspresse setzt sich damit auseinander, wie es nach Gaddafis Tod weitergeht. Vor den Libyern liege ein schwieriger Weg, zumal die Legitimität des Übergangsrates fraglich ist, sind die Leitartikler überzeugt.

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Ein Gaddafi-Gegner feiert den Fall des Diktators. Quelle: handelsblatt.com

Keinen „radikalen Wechsel“ erwartet der Nouvel Observateur aus Frankreich vom Tod Muammar al Gaddafis: „Seine Macht war bereits beschnitten, dass er nun getötet wurde, hat eher symbolische Bedeutung.“ Libyen dürfe nun nicht in Euphorie fallen: „Dem Volk, das gelitten hat, steht sie zwar zu, doch Gaddafis Tod ist nicht die Lösung aller Probleme des Landes.“ Immerhin sei der Machthaber der „Zement“ gewesen zwischen den vielen Stämmen Libyens.

„Auch ist die Legitimität des Übergangsrates, dessen Truppen Gaddafi getötet haben, fraglich: Er vereint Libyer, die von der Demokratie überzeugt sind, mit Libyern, die Verbindungen zu Al Qaida halten. Zudem wurde er mit Hilfe ausländischer Kräfte, allen voran Frankreich, gegründet, dass lässt Libyer an seiner Rechtsmäßigkeit zweifeln.“ Der Tod Gaddafis schlage eine neue Seite in der Geschichte Libyens auf, der Übergangsrat müsse diese nun zusammen mit dem Volk neu beschreiben: „Doch es gibt noch viele Probleme und Hindernisse.“

Auch ein Gastkommentator der britischen Financial Times, der ehemalige stellvertretende UN-Generalsekretär Mark Malloch-Brown, gibt sich verhalten. „Gaddafis Sturz sei Grund für Erleichterung, nicht für Euphorie.“ Endlich könnten die Libyer freier atmen, nun da sie wissen, dass diese monströse und unvorhersagbare Figur aus ihrem Leben verschwunden sei.

Doch dieser Schatten werde nur geliftet, wenn die neue libysche Führung die richtigen Lehren zöge. Werde die Art seines Dahinscheidens als schnöde Rache eingeordnet, dann könnte noch im Tod Colonel Gaddafis Macht zu herrschen und zu teilen auferstehen. „Märtyrer werfen lange Schatten“, gibt die FT zu bedenken.

Mit Gaddafis Tod endet ein dunkles Kapitel

Am Ende eines blutigen Diktatorenlebens habe Muammar al-Gaddafi seinem ganzen Volk den Krieg erklärt gehabt, ist die Zeitung Die Welt überzeugt. In diesem Krieg sei er nun selbst umgekommen. Wie sein Leben sei sein Tod eine Angelegenheit zwischen ihm und dem Westen gewesen.

„Wer in all diesen internationalen Gleichungen nie eine Rolle spielte, waren die Libyer selbst, die sich nach den Revolutionen in Tunis und Kairo ebenfalls erhoben.“ Mit Gaddafis Tod ende dieses dunkle Kapitel der libyschen Geschichte. Nun ist der Weg frei zum Aufbau eines besseren, freieren und demokratischeren Landes. „Eine Chance, die sich die Libyer hart erkämpft haben. Die sie aber auch leicht wieder verspielen können“, gibt das Blatt zu bedenken.

Mit dem Tod Gaddafis sei das Ende seiner Ära unwiderruflich besiegelt, bilanziert die Financial Times Deutschland. Die Revolution wäre mit einem noch immer flüchtigen Gaddafi nicht vollständig gewesen, ist das Blatt überzeugt. „Trotzdem wird der Diktator nicht nur denen fehlen, die ihn bis zuletzt unterstützt haben, sondern auch den Revolutionären.“ Denn Gaddafi sei ihr gemeinsamer Feind gewesen.

Durch ihn sei die Gesellschaft brutalisiert. Libyen hinterlasse er als ein Land ohne Zivilgesellschaft, ohne Parteien, ohne politisches Leben – das bei null anfangen müsse. Ob dabei der Übergang von der Diktatur zu einer freiheitlichen, demokratischen Gesellschaft gelinge, hänge davon ab ob mit Gaddafi-Loyalisten rechtsstaatlich umgegangen werde, die Rebellen geordnet entwaffnet und die islamistischen Kräfte in Libyen eingebunden werden könnten.

„Die Libyer kämpften nicht für Demokratie“

Den Libyern könne es jedenfalls ähnlich gehen, wie einem jungen Iraker, der nach dem Sturz Saddam Husseins nach der anfänglichen Euphorie ernüchtert feststellte, fürchtet das Blatt: „Ich habe immer gedacht, Saddam ist das Problem. Jetzt verstehe ich so langsam, dass wir Iraker es sind.“

Auch das österreichische Wirtschaftsblatt interessiert sich vor allem für die Frage „Wie weiter?“. Und räumt mit einem „gerade in Europa sehr häufigen Wunschbild auf“: „Die Libyer kämpften (wie die Tunesier oder Ägypter) nicht für Demokratie. In erster Linie wollten sie endlich ihren Tyrannen loswerden, der trotz labilem Geisteszustand immer wieder von westlichen Politikern hofiert wurde“, ist das Blatt überzeugt.

In zweiter Linie gehe es den Menschen im sogenannten „Arabischen Frühling“ um Wohlstand und Bildung. Komme der Öl-Reichtum nicht mittelfristig bei den breiten Massen an, hätten die sozialrevolutionären Radikal-Islamisten gute Erfolgschancen – ob in Libyen oder in der arabischen Welt generell.Fundstück: Verfluchter Diamond JimLautsprecher an: Harvard-Ökonom Gregory Mankiw bringt in seinem Blog den neuesten Protestsong von Merle Hazard. In dem verflucht der Country-Barde „Diamond Jim“, James Dimon, Vorstandsvorsitzenden der US-Investmentbank JP Morgan. Wieder so eine Bank, die „too big too fail“ sei.

Für Handelsblatt.com zusammengestellt von ecolot.de. Mitarbeit: Midia Nuri, Peggy Pfaff.

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