Private Krankenversicherungen Kunden bezahlen für Systemfehler bei Krankenversicherungen

Auch wenn die Politiker der Branche jetzt das Leben erleichtern: Die Webfehler im System bleiben, Unternehmen und Kunden werden sie teuer bezahlen.

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Wechselstimmung im Wartezimmer Quelle: Foto: LAIF/Marcus Vogel

Im nächsten Jahr wird, so scheint es, für die private Krankenversicherung (PKV) alles besser. Bis zu 40.000 Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) – so schätzt das Bundesgesundheitsministerium – werden 2011 zur Konkurrenz, der PKV, wechseln, weil die Wartezeit von drei auf ein Jahr verkürzt wird. Die Ausgaben für Arzneien werden zum Teil gedeckelt. Und die ausufernden Arzthonorare könnten eingefangen werden, da die veraltete und umstrittene Gebührenordnung endlich neu verhandelt wird. Geht es nach dem Willen der PKV, könnten die Unternehmen dann endlich kostengünstigere Einzelverträge mit Ärzten abschließen.

Doch die Aufbruchstimmung trügt. Die Finanzkrise wirkt fort: Sie beschert einigen Versicherern nur noch niedrige Zinsen auf die 145 Milliarden Euro Alterungsrückstellungen ihrer Kunden. Damit drohen denen höhere Beiträge, um das Polster fürs Alter sicherstellen zu können. Dazu tobt ein bisher ungesehener Provisionskrieg in der Branche. Um möglichst viele Versicherte zu den Privaten zu locken, bezahlen einige Anbieter ihren Vermittlern enorme Provisionen. Die Branche kannibalisiert sich selbst.

Jetzt rufen ihre Verbandsfunktionäre sogar die Politik zur Hilfe. „Die Branche muss umgehend handeln. So kann man das nicht laufen lassen“, sagt Reinhold Schulte, Chef sowohl der Signal Iduna als auch des PKV-Verbandes. Notfalls müsse man das Verkäuferhonorar über die Kalkulationsverordnung gesetzlich regeln lassen.

Die eigentlichen Probleme der PKV aber sind die Webfehler im komplizierten deutschen System der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung. Vor 20, 30 Jahren störte sich kaum jemand an ihnen – langfristig werden sie jedoch zu Sprengsätzen für das ganze Geschäftsmodell der privaten Vollkrankenversicherung. Die Kosten und Beiträge laufen aus dem Ruder, Wettbewerb findet nur um Neukunden statt, echte Vertragsfreiheit gegenüber Ärzten und Kliniken existiert nicht, die Leistungen sind längst nicht mehr automatisch besser als in der GKV, ihre Qualität wird weniger kontrolliert als bei gesetzlich Versicherten, die Konstruktion der Tarifklassen erweist sich für immer mehr Versicherte als teure Falle.

Vor allem aber wackelt bei einigen Anbietern das werbeträchtigste Argument der PKV, nämlich dass ihr Modell der Alterungsrückstellungen im Unterschied zur GKV grundsätzlich demografiefest sei.

Vor diesem Hintergrund werden sich die 40.000 Wechselwilligen ihren Übertritt zur PKV und die Wahl des Anbieters gut überlegen.

Das gravierendste Problem der PKV liegt darin, dass die Alterung der Gesellschaft und die steigende Lebenserwartung der Bundesbürger sie in den nächsten Jahren sehr viel härter treffen werden als die gesetzlichen Kassen.

Grund dafür ist die Altersstruktur. Die Altersklassen, grafisch dargestellt, bilden in der GKV einen soliden, nach oben zulaufenden Baum. In der PKV hat dieser Baum aber einen feisten Bauch bei den jetzt 40- 60-Jährigen, vor allem bei den Männern (siehe Grafiken auf der nächsten Seite). Das ist ausgerechnet jene Altersgruppe, die mit steigendem Alter mehr medizinische Leistung braucht. Dazu kommt: Gerade diese Versicherten haben oft noch einen Vertrag, der ihnen im Gegensatz zu jüngeren Policen den medizinischen Himmel auf Erden verspricht – schön für sie, auf Dauer aber teuer für die Tarifgemeinschaft.

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