Rauchverbot Abschied vom Absacker

Raucher werden in Kneipen und Bars in Hinterzimmer verdrängt. Mit ihnen verschwindet unsere Kultur des Ausgehens. Erkundungen in München und Rhein-Main.

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Raucher werden in Kneipen und Quelle: AP

Jürgen Füssl ist ein Geistesverwandter Karl Valentins: bajuwarisch, anarchisch und von hinterfotzigem Humor. Anfang März, zwei Monate nach Inkrafttreten des bayrischen Nichtraucherschutzgesetzes, hat er seine Schwabinger Bistro-Bar, das „Namenlos“, den Landtagsabgeordneten zum Kauf angeboten, weil sein Umsatz durch das Rauchverbot um rund 20 Prozent gesunken war, weil er Ärger mit den Nachbarn bekam, die sich über Lärm und Gestank der Raucher vor der Tür beschwerten, und weil er neuerdings einen Türsteher beschäftigt, den er sich gar nicht leisten kann.

„Raucherclub“ steht inzwischen über dem Kneipeneingang in der Fallmerayerstraße. Getreu dem Gesetz, das strenge Einlasskontrollen vorschreibt, hat Füssl ein neues Schloss, eine Klingel und ein Lämpchen installieren lassen, das rot aufleuchtet, sobald sich die Kneipentür öffnet. Wer Clubmitglied werden will, trägt sich in eine Liste mit Namen und Adresse ein und erhält eine Mitgliedskarte.

So ähnlich macht es, schon aus Notwehr, mittlerweile jedes fünfte Münchner Lokal. Membercards sind Kult in München. Kneipengänger tragen sie dutzendweise im Etui. Auch Nichtraucher, die keine Lust haben, unter sich zu bleiben. Täglich geschlossene Gesellschaft – das ist, je nach Standpunkt, eine dreiste oder kreative Umgehung des Gesetzes. „Noch nie zuvor ist in Bayern ein Gesetz so demonstrativ unterlaufen worden wie das Rauchverbot“, kommentierte die „Süddeutsche Zeitung“. Unbeabsichtigt hat das staatliche Rauchverbot zu einer Situation geführt, mit der Liberale schon immer sympathisierten: Der Bürger, dessen Freiheit das Recht auf Selbstschädigung einschließt, soll selber entscheiden können, ob er sich in einer Raucher- oder Nichtraucherbar aufhalten will.

Dabei hatte es der Freistaat diesmal besonders gut gemeint. Ganz auf der Höhe der Zeit, hat die bayrische Regierung erkannt, dass das Jahrhundert der Zigarette abgelaufen ist – und sich deshalb das schärfste Rauchverbot aller Zeiten ausgedacht. „Fitness“ heißt das Gebot der Stunde. In einer Gesellschaft, die das „bloße Leben als höchsten Wert anerkennt“, schreibt der Philosoph Norbert Bolz, „geht es im Kern um Selbsterlösung durch Selbstmedikation: Wellness, Trennkost oder Urschrei. Einziges Kriterium ist die Unantastbarkeit der Grenzen des Individuums: Buddhisten, Scientologen oder die PDS kann man tolerieren – aber keine Raucher.“

Da ist es nur konsequent, dass die Nikotiniker zum Schutz der Nichtraucher hinter die Kulissen des öffentlichen Lebens verbannt werden – in die geschlossene Gesellschaft. Beim „Jodlerwirt“, der in der Altenhofstraße ab 18 Uhr krachlederne Gemütlichkeit inszeniert, hat der Gast die Wahl. Unten im Parterre ist „geschlossene Gesellschaft“, wo man ordentlich Dampf ablassen kann, im ersten Stock hingegen ist – zur Freude der singenden Musikanten – „Rauchen verboten“. Nach dem Umsatzeinbruch im Januar seien die Umsätze mit der Umwidmung zum Raucherclub „unten“ zwischen 60 und 100 Prozent gestiegen, frohlockt die Chefin Mathilde Wolf. Der Laden brummt, und die Gesänge der Zecher dringen bis zur Theatinerstraße. „Wissen’s“, sagt die Jodlerwirtin, „der Raucher, der trinkt gern“ – und formuliert damit das Geschäftsgeheimnis jeder Kneipe und Bar.

Alkohol und Tabak sind Komplizen – das gilt für eine Kult- und Absturzkneipe wie das „Schwabinger 7“ ebenso wie für das feine „Roosevelt“ am Thierschplatz, eine klassische American Bar im Stil der Vierzigerjahre. Inhaber Kai Uthoff bietet 400 Sorten Rum an, Longdrinks und „pures Braunes“, kein Weißbier, erst recht keine Apfelsaftschorle. Seine Klientel, zwischen 45 und 60, hört Swing, manchmal Soul. 300.000 Euro hat der Chef in das Lokal investiert. Die Bar sei sein „Oldtimer“, sagt Uthoff, sein „Jugendtraum“, der auf drei Säulen ruht: Trinken, Rauchen und Musikhören.

Eine dieser Säulen brach am 1. Januar weg. Die Folge: Gerade mal elf Gäste verloren sich an den beiden Wochenenden danach im „Roosevelt“. Mittlerweile kommt das Publikum wieder. Die Bar wurde Mitte Januar zum Raucherclub umgewidmet, mit inzwischen mehr als 3100 Mitgliedern: Immobilienmakler, die bei Whisky und Zigarre einen Geschäftsabschluss feiern, Rechtsanwälte, die den Arbeitstag in der stimulierenden Duftaura eines Zigarillos ausklingen lassen wollen, in die Jahre gekommene Bohemiens, die nach elf Uhr auf einen Wodka Tonic hereinschauen, der mit einer Filterlosen nun mal am besten schmeckt.

Das Rauchen, glaubt Uthoff, ist ein Gemeinschaftserlebnis. Unter der Dunstglocke des Qualms entsteht automatisch ein Gefühl der Zusammengehörigkeit. Nach 22 Jahren Erfahrung in der Gastronomie ist er sich sicher: Raucher sind anders als Nichtraucher. Der Nichtraucher studiert sorgfältig die Karte, der Raucher zeigt spontan auf den neuen Malt Whisky im Regal. Raucher, so sagen es Untersuchungen, sind geselliger, extrovertierter, sprunghafter, umtriebiger, risikofreudiger, vielleicht auch erlösungsbedürftiger als Nichtraucher, weshalb sie zur Zigarette als oraler Ersatzbefriedigung greifen, deren Wirkung bis zur nächsten Zigarette währt.

Rauchen kann vieles sein, Sucht, Gewohnheit und Genuss. Dass es gesund ist, hat noch niemand ernsthaft behauptet. Trotzdem können oder wollen viele Raucher nicht lassen von ihrer Passion. Die Bar und das Bistro erweisen sich hier als unentbehrliche Nothelfer. Nur knapp ein Viertel der Bevölkerung raucht, doch 75 Prozent davon halten die Nacht-Gastronomie unter Dampf. Kein Wunder, dass Gastwirte, die sich ans Rauchverbot halten und ihre Bar weiterhin als offene Gesellschaft verstehen, ihre Kundschaft verlieren. Selbst in Münchens berühmtester Bar, dem „Schumann’s“, ist an manchen Tagen zwischen elf und zwölf nicht mehr viel los. „Wir hatten 80 Prozent Raucher“, sagt Charles Schumann, „deshalb trifft es uns besonders schlimm. Keineswegs wird jetzt mehr getrunken.“ Die Umsatzeinbußen schätzt er auf 15 Prozent. Vorbei die Zeiten, da man sich bis in die Puppen am Glas und an der Zigarette festhielt. Die Spätschicht dünnt aus, diese „Schumann’s“-typische Mischung aus Künstlern, Modemachern, Schriftstellern und Journalisten.

Ob damit die Bar als Lebensform infrage gestellt ist? „Die ganze Kultur ist infrage gestellt, wenn immer mehr verboten wird“, sagt Schumann, „ein tolles Essen, und danach eine Zigarre oder Zigarette, das bedeutet Freude, Geselligkeit, Lebensgenuss.“ Der Bar-Chef hätte nichts dagegen gehabt, wenn der Gesetzgeber flexibler gewesen wäre und das Rauchverbot auf die Zeit bis elf Uhr begrenzt hätte. So aber bietet das „Schumann’s“ inzwischen „noch mehr“ warme Küche.

Die feine Speisegastronomie ist vom Rauchverbot ökonomisch kaum betroffen. Die „Bar Muenchen“, Nachfolgerin des alten „Schumann’s“ an der Maximilianstraße und eigentlich mehr Restaurant als Bar, verzeichnet sogar ein Umsatzplus, obwohl der „zweite Schwung“, die Gäste nach elf Uhr, durch das Rauchverbot ausbleibt. Gleichwohl, die Tischgemeinschaft, eines der heiligsten Güter aller Kulturen, zeigt auch in der „Bar Muenchen“ aufgrund des Rauchverbots erste Risse. Der Inhaber Stefan Hruby hat auf Aschenbecher vor der Tür verzichtet. Der Gast soll am Eingang nicht von einer Traube von Rauchern empfangen werden. Aber nach anderthalb Stunden kommt es schon mal vor, dass Tischnachbarn einander zuzwinkern und sich zu einer gemeinsamen Zigarette verabreden. Der Nichtraucher bleibt dann sitzen. Oder geht mit hinaus, um das Gespräch nicht abbrechen zu lassen, und lernt, ganz zwanglos, wiederum einen anderen Gast kennen.

Trotz Raucherräumen haben Quelle: AP

Rauchen, das wusste schon der Triestiner Schriftsteller Italo Svevo, stellt eine „gesellschaftliche Beziehung auch unter Unbekannten her, wie bei den Hundehaltern“. „Smirting“ heißt der Begriff, der den Flirtfaktor Rauchverbot umschreibt. Man plaudert über dies und das, vor allem über das Rauchen und dass man eigentlich aufhören wolle und dass es ganz leicht sei, weil man es schon 100-mal gemacht habe.

In allen Münchner Szenevierteln stehen Grüppchen draußen vor der Tür, über denen Rauchzeichen aufsteigen. Drinnen lichten sich so mit fortschreitendem Abend die Tischreihen. Die meisten Gäste gehen, seit es das Rauchverbot gibt, nach der ersten Flasche Wein und trinken ihren Grappa um die Ecke im Raucherclub. Oder sie leben ihre Alkohollaunen in der Disco aus. Zum Beispiel im „P1“, wo unlängst öffentlich wurde, dass die Schickeria macht, was ihr passt. Im Münchner Nobelclub, hieß es, werde trotz Bußgeldwarnung ungeniert geraucht. Geschäftsführer Klaus Gunsch-mann dementierte sofort. Geraucht werde nur bei Kundenveranstaltungen. Gäste, die sich nach drei, vier Wodka eine Zigarette anzünden, würden freundlich auf die Terrasse gebeten, wo das „P1“ eine chillige Liegelandschaft für Raucher geschaffen hat.

Dabei weiß jeder Szenekenner, dass nicht nur in Nobelclubs ab vier, fünf Uhr morgens eigene Regeln herrschen. Plötzlich breitet sich Undergroundstimmung aus, und es wird hemmungslos gepafft und getrunken wie zu Zeiten der Prohibition. Das Nachtleben reizt zur Illegalität. Kontrollen werden bisher eher lässig gehandhabt. „Hat hier jemand geraucht?“, fragen die Polizisten in der Eckkneipe und drücken Augen und Nasenlöcher zu. Dabei kann in den meisten Bundesländern, wenigstens in Nebenräumen ohne Barausschank, ganz offiziell geraucht werden. Im Berliner „Bangaluu Club“ etwa gehen die Raucher auf die Dachterrasse oder in den Raucherraum im zweiten Stock, in dem die Luft trotz Klimaanlage zum Schneiden ist. Und in Frankfurts Renommier-Club „Cocoon“ in der Carl-Benz-Straße steht eine separate Raucherbar für die Restaurantgäste kurz vor der Eröffnung. Gourmets, die das Clubgewitter meiden, ziehen sich demnächst in die exklusive Lounge zurück, trinken ihren Whisky und geben sich dem Nikotinbehagen hin. Bei Weihnachtsfeiern und Firmenevents, dritte Domäne des „Cocoon“, können Raucher und Nichtraucher künftig friedlich koexistieren.

Der Raver indessen muss sich weiterhin im Freien herumquetschen, wenn er sich eine anstecken will. Dutzende stehen draußen zusammen, während drinnen mächtig geschwitzt wird. Früher hat der Zigarettenrauch die Körpergerüche gnädig verdeckt, heute riecht es in den Diskos wie in der Turnhalle. „Es stinkt nach Mensch“, sagt eine Raverin. Kein Zweifel, das Rauchverbot schärft den olfaktorischen Sinn – sowohl für feine Küchengerüche als auch unangenehme Körperausdünstungen, für das betörende Parfüm und den Gestank verqualmter Räume. So bietet die Frankfurter „Piper Red Lounge“ in der Bleichstraße einen verrucht anmutenden, mit roten Stofftapeten ausgeschlagenen Rauchersalon, der ab elf Uhr so verraucht ist wie ehedem die Raucherabteile der Bahn. Und in der gemütlichen „Mosaiic Bar“ in der Töngesgasse, wo man oben rauchfrei unter einem Beduinenzelt auf Kissen lagern kann, heizen sich im Keller die Zigaretten- und Shisha-Raucher gegenseitig ein. Die erste Frage der Gäste ist immer: „Können wir rauchen?“

Trotz Raucherräumen haben, nicht anders als die niedersächsischen, brandenburgischen oder baden-württembergischen, auch die hessischen Gastronomen seit Oktober vergangenen Jahres Gäste verloren. Vor allem Einraumgaststätten, aber auch Bars mit mehreren Räumen. Um 20 Prozent sei sein Umsatz gesunken, sagt Wolfgang Stiesch, Geschäftsführer der „Paris’ Bar“ im Frankfurter Literaturhaus am Mainufer. Die Tür zum hohen, geräumigen Raucherraum verbindet nicht nur. Sie trennt das Lokal in zwei Parallelgesellschaften, die lose durch einen Pendlerverkehr zusammengehalten werden, der das Gefühl des Abgeschlossenseins noch verstärkt. Das verunsichere die Gäste, sagt Stiesch: „Sie bleiben nicht mehr so lang. Den Absacker trinkt man lieber zu Hause.“

Umsatzverluste von durchschnittlich 13 Prozent in der „getränkegeprägten Gastronomie“ Hessens hat das Statistische Landesamt in Wiesbaden dieser Tage festgestellt. Es können im Einzelfall deutlich mehr sein. Armin Braun, Chef der Wiesbadener „Pudel Bar“ in der Wilhelmstraße, registrierte im Oktober gar 50 Prozent weniger Gäste, „auch wegen des Rauchertourismus“. Die Raucher wichen über den Rhein nach Mainz aus; in Rheinland-Pfalz gibt es erst seit Mitte Februar dieses Jahres ein Rauchverbot. Und die Nichtraucher, vor allem die Frauen, vermissten plötzlich das Fluidum, die flirrende Stimmung. Heute lohnt nur noch für die Nachbarländer von Nordrhein-Westfalen der Rauchertrip, hier tritt erst am 1. Juli das Rauchverbot in Kraft.

Der „Nassauer Hof“, Wiesbadens erste Hoteladresse, hat inzwischen Konsequenzen aus dem Rauchverbot gezogen: Bisher konnte man nur abseits der Lobby vor den Meistersälen rauchen, was bei arabischen Gästen für Kopfschütteln sorgte. Jetzt gibt es aufgrund drastischer Umsatzeinbußen wieder eine Raucherbar. Die Gäste kommen ab elf Uhr, nach Konzert- oder Casinobesuch.

„60 Prozent der Spieler sind Raucher“, sagt der Chef der Wiesbadener Spielbank Thomas von Stenglin. Sie wollen auf die beruhigende Wirkung des Nikotins nicht verzichten. Seit Oktober sind von den Tischen des sogenannten klassischen Spiels der Wiesbadener Spielbank mit Roulette, Poker und Black Jack die Aschenbecher verschwunden. Der Umsatz, so der Spielbankchef, ist hier um 20 Prozent zurückgegangen. Noch weichen die Raucher ins Automatenspiel aus, von Mai an können sie wieder klassisch rauchen. Die Kurhausgastronomie von „Käfer’s“ wird eine zusätzliche separate Raucherbar in der Rotunde einrichten.

Für Nichtraucher sind Rauchverbote natürlich höchst erfreulich. Mütter können mit ihren Kindern wieder unbesorgt in Cafés einkehren und der Pullover duftet nach dem Barbesuch immer noch wunderbar nach „Perwoll“. Nur der starke Raucher kommt sich verloren vor. Durch die neue Raucherpolitik sind seine Gewohnheiten durcheinandergeraten. „Die „Süddeutsche“, der Espresso, die Zigarette und das nette Lächeln der Kellnerin gehörten zu meinem täglichen Lebensrhythmus“, sagt der Wiesbadener Kameramann Johannes Knauf. Dieser Rhythmus sei „empfindlich gestört“. Ausgehen in Zeiten des Rauchverbots, das bedeute für ihn, ständig auf der Suche zu sein nach einem Platz, wo er als Raucher willkommen ist. Das lässige „En passant“ eines Bistrobesuchs, die schnelle Zigarette am Tresen sei dahin.

Knauf erinnert sich, wie seine Eltern, die Nichtraucher waren, ihren Gästen aus Aufmerksamkeit Zigaretten ihrer Lieblingssorte aus der Silberschale anboten. Das ist lang her. Wenn er heute zu einer Party eingeladen ist, freut er sich, wenn ein Aschenbecher zu sehen ist, fragt höflich, ob er rauchen dürfe, oder geht gleich auf den Balkon. Aber eigentlich geht er kaum noch aus. Warum auch? Zu Hause ist es viel schöner. Neben seiner Bibliothek hat er sich eine gemütliche Leseecke eingerichtet, mit Sessel, Beistelltisch und einem „ausgesprochen schönen Aschenbecher von Ricard“.

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